Gordon Parks, Untitled [Helen Frankenthaler surrounded by her paintings _ umgeben von ihrer Malerei], New York, 1957
Courtesy of and © The Gordon Parks Foundation
Kunstpionierin

Helen Frankenthaler trotzte dem „Boys Club“

Im Rampenlicht sind die „Genies“ Jackson Pollock und Willem de Kooning gestanden. Dabei prägten Frauen den Abstrakten Expressionismus entscheidend mit – bis die meisten von ihnen aus dem Kanon verdrängt wurden. Mit Helen Frankenthaler holt die Kunsthalle Krems in Niederösterreich nun eine herausragende Protagonistin vor den Vorhang: eine erste österreichische Retrospektive der Poetin der flüssigen Farbe.

Allein durch ihre Bilder reüssieren – darum ging es der 1928 geborenen Frankenthaler und ihren damaligen Künstlerkolleginnen Lee Krasner, Elaine de Kooning, Grace Hartigan und Joan Mitchell. Über ihr Geschlecht wollten die Malerinnen des amerikanischen Abstrakten Expressionismus (AbEx) nie definiert werden – und sie wollten auch nicht „feministische Kunst“ machen.

Die aufkeimende New Yorker Szene nach 1945 war allerdings eine Männerwelt, der Kampf der Abstrakten Expressionistinnen gegen Sexismus wurde so zur Begleiterscheinung ihrer Suche nach dem „perfekten Gemälde". „Sie rebellierten nicht gegen die Regeln einer Gesellschaft, die sie marginalisierte. Sie erkannten sie schlicht nicht an“, so beschreibt Mary Gabriel in ihrem Buch „Ninth Street Women“ (2019) die damalige Strategie der Künstlerinnen.

Fotostrecke mit 8 Bildern

Helen Frankenthaler, Untitled (on 21st Street), 1951
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien
„Untitled (on 21st Street)“, 1951
Helen Frankenthaler, Hôtel du Quai Voltaire, 1956
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien
„Hotel du Quai Voltaire“, 1956
Helen Frankenthaler, New York Bamboo, 1957
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien, , Foto © Robert McKeever, courtesy Gagosian
„New York Bamboo“, 1957
Helen Frankenthaler, Third Floor, 94th Street, No IV, 1960
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien
„Third Floor, 94th Street, No IV“, 1960
Helen Frankenthaler, Viewpoint, 1974
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien
„Viewpoint“, 1974
Helen Frankenthaler, September, 1975
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien
„September“, 1975
Helen Frankenthaler, Santa Fe XIII, 1990
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien
„Santa Fe XIII“, 1990
Helen Frankenthaler, Southern Exposure, 2002
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien
„Southern Exposure“, 2002

Selbstbewusstes Zweimeterstatement

Dass diese sich nicht einfügen wollten in die kleinen, ihnen zugedachten Nischen, zeigt etwa Frankenthalers Auftritt 1951 bei der legendären „9th St. Exhibition of Paintings and Sculpture“, jener Schau, die als Initialzündung des Abstrakten Expressionismus gilt.

Frankenthaler war damals erst 22, frisch vom College gekommen und lieferte gleich das größte Bild der Ausstellung. Das selbstbewusste Zweimeterstatement begründete auch die Karriere der Tochter wohlhabender Eltern: Mitte der 50er Jahre wurden ihre Bilder vom Museum of Modern Art (MoMA) angekauft, 1959 stellte sie auf der documenta aus, 1966 im US-Pavillon der Venedig Biennale und 1969 im New Yorker Whitney Museum.

Geschichte der Malerei gegen den Strich gebürstet

Trotz ihrer Bedeutung wurde die 2011 verstorbene Künstlerin im deutschsprachigen Raum bisher kaum wahrgenommen. Die Kunsthalle Krems zeigt nun mit „Malerische Konstellationen“ die erste Frankenthaler-Personale in Österreich – und setzt damit ihren seit zwei Jahren bestehenden Schwerpunkt zeitgenössischer Künstlerinnen ganz unterschiedlicher Stilrichtungen fort.

Helen Frankenthaler, Grotto Azura, 1963
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien, Foto © Tim Pyle, Light Blue Studio
Mit ihren Soak-Stain-Bildern revolutionierte Frankenthaler die Kunst: „Grotta Azura“ (1963)

Die Schau, die 70 Papierarbeiten und eine Auswahl an Gemälden von den späten 1940er Jahren bis in die frühen 2000er zeigt, liegt am Puls der Zeit: Wie in anderen kunsthistorischen Strömungen wurde auch gegenüber dem Abstrakten Expressionismus in den letzten Jahren die Geschichte gegen den Strich gebürstet. Eine Reihe von Einzelausstellungen und Publikationen (etwa besagte „Ninth Street Women“) ließen in den letzten Jahren den Malerinnen dieser Kunstrichtung international Gerechtigkeit widerfahren.

Ausstellungshinweis

Helen Frankenthaler. Malerische Konstellationen. Kunsthalle Krems, bis 30. Oktober, dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr.

Entgegen landläufigen Annahmen war die erste rein amerikanische Kunstbewegung nämlich kein reiner „Boys Club“, wo ausschließlich „Bad Boys“ wie Pollock Farbe mit großer Geste auf die Leinwand schütteten: Der Abstrakte Expressionismus hätte ohne Malerinnen wie Krasner, Elaine de Kooning und Frankenthaler schlicht so nicht existiert – wie eben der Blick auf Frankenthaler zeigt.

Poesie des Flüssigen

In Krems startet die Schau mit ihrem kubistisch inspirierten Frühwerk, gefolgt von expressiven „trockenen“ zeichnerischen Arbeiten, mit denen die Künstlerin ab 1950 reüssierte, etwa „Circus Landscape“ (1951), ein Farbfeuerwerk zwischen Figurativem und Abstraktion. Noch viel stärker wirken allerdings ihre berühmten Soak-Stain-Bilder, was sich frei mit „Eingeweichte Fleckentechnik“-Bild übersetzen lässt.

Helen Frankenthaler, Beginnings, 1994
© 2022 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / Bildrecht Wien, Foto © Roz Akin
„Beginnings“, 1994 – eine spätere, lyrische Papierarbeit in der Soak-Stain-Technik

Mit diesen farbenfrohen und amorphen Leinwandarbeiten rüttelte Frankenthaler ab 1952 die Kunstwelt auf und revolutionierte sie Richtung Farbfeldmalerei: Inspiriert von Pollocks Actionpainting verflüssigte Frankenthaler Farbe mit Terpentin, goss sie auf der unbehandelten, nicht grundierten Leinwand behutsam in unterschiedliche Richtungen und ließ die anfangs zentimeterdicken Lacken langsam einsickern.

Schwerpunkt Papierarbeiten

Die zarte und zugleich kräftige Poesie des Flüssigen mit ihren ausfransenden Farbrändern, die dadurch entstand, lässt sich auf Fotos kaum einfangen – nicht zuletzt ein Grund, sich die Bilder in der Ausstellung anzuschauen. Als Inspiration dienten Frankenthaler oft Landschaften, vor allem auch Meeresbuchten und Grotten. Das zeigen Titel wie „Grotta Azura“ (1963), „Viewpoint I“ (1974) und „Arctic Thaw“ (1990), aber auch blaue Farbfelder und horizontale Linien, die sich auf den Bildern materialisieren.

Was in der Kunsthalle Krems deutlich wird, ist, wie sehr nicht zuletzt Papier bei Frankenthaler eine Rolle spielte: Während das monumentale „Salome“ (1978) auf vier Meter Länge mit einem kontrolliert-atmosphärischen Farbspiel beeindruckt, sind es die spontaneren Papierarbeiten, auf denen ihre flüssige Poesie nur so dahersprudelt.

„Süß und unambitioniert"

Frankenthalers innovative Kraft wurde von einigen schnell erkannt: Ihr damaliger Freund, die Kritikerlegende Clement Greenberg, führte etwa Morris Louis und Kenneth Noland – die später als bedeutendste Vertreter der Color-Field-Abstraktion in die Geschichte eingehen sollten – in ihr Atelier, was sichtbare Spuren in deren Arbeit hinterließ. Greenberg, der auch den Begriff der Farbflächenmalerei prägen sollte, ließ Frankenthaler in seinen Aufsätzen allerdings lange unerwähnt.

Ein misogyner Grundtenor zeigte sich auch in Kritiken, die sich über den femininen Charakter von Frankenthalers Soak-Stain-Bildern mokierten: Die „Times“ bezeichnete eine Ausstellung 1953 als „süß und unambitioniert“. Die Malerin Mitchell nannte ihre Künstlerkollegin gar abschätzig eine „Damenbinden-Malerin“.

Späte Gerechtigkeit

Auch wenn Frankenthaler durchaus Karriere machte – ihre Werke erzielen für gewöhnlich siebenstellige Summen auf dem Auktionsmarkt, in New York galt sie als „Grande Dame“ des Abstrakten Expressionismus –, blieben viele Malerinnen des Abstrakten Expressionismus im Schatten ihrer männlichen Kollegen. In „Ninth Street Women“ beschreibt Gabriel, dass Frauen just dann an den Rand gedrängt wurden, als sich die Kunstrichtung Ende der 50er etabliert hatte und der Markt die Kunstwelt zu kontrollieren begann. Ihre postume Wiederentdeckung ist – das zeigt auch die Frankenthaler-Schau – mehr als angebracht.