Gasleitungen in Lubmin, Norddeutschland
AP/Michael Sohn
Kredit für Moskau?

Das Problem mit dem Rubel-Konto

Der Wirtschaftskrieg zwischen Russland und der EU eskaliert derzeit beinahe unkontrolliert. Die Gasversorger in der EU sind nicht zu beneiden. Sie müssen eine Antwort auf die Frage finden: wie in Rubel bezahlen, ohne in Rubel zu zahlen – oder, wie Brüssel warnt, gar Moskau einen Kredit zu gewähren? Zwischen EU-Sanktionen und russischem Rubel-Dekret gefangen, sind sie der Politik ausgeliefert. Doch diese ist so „disruptiv“ wie seit Jahrzehnten nicht. Eine Auflösung des Dilemmas könnte freilich ganz anders aussehen.

Keiner kennt sich derzeit aus, die Quadratur des Kreises ist bisher nicht gefunden – und mit jedem Tag steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch nicht gefunden wird. Denn es geht um Prinzipien des wirtschaftlichen Handelns – und das bei völligem Vertrauensverlust.

Die Ausgangslage ist noch relativ klar: Russland will die europäischen Länder zwingen, für russisches Gas und Öl in Rubel zu zahlen. Ein entsprechendes Dekret erließ der russische Machthaber Wladimir Putin schon im März. Allerdings lehnten die EU-Staaten das einhellig ab und verwiesen darauf, dass es ein Vertragsbruch wäre. In etwa 97 Prozent der Verträge sind Euro oder Dollar als Zahlungsmittel festgelegt, nur in wenigen gibt es eine Option, die Zahlungsart zu ändern.

OMV und Co. in der Zwickmühle

Westliche Unternehmen, die Gas oder Öl aus Russland importieren – darunter die OMV und etwa auch die deutsche Uniper –, sind seither in der Zwickmühle. Sie dürfen nicht gegen die Wirtschaftssanktionen verstoßen, die die EU gegen Russland verhängt hat. Und sie müssen gleichzeitig die russischen Vorgaben erfüllen, da Moskau andernfalls mit dem Stopp weiterer Lieferungen droht. Mit dem Gaslieferstopp nach Polen und Bulgarien hat Russland erste Exempel statuiert. Die beiden Länder weigerten sich, bei ihren jetzt fälligen Zahlungen die von Russland vorgeschriebene Überweisungsmethode anzuwenden. Russland reagierte prompt und drehte den Gashahn zu.

Entscheidende Seitentangente

Das soll wohl vor allem auch für den wichtigsten Abnehmer Deutschland als warnendes Beispiel dienen. Denn Berlin hatte Stunden zuvor angekündigt, binnen Tagen Alternativen für alle russischen Ölimporte zu haben – mit anderen Worten: Demnächst dürfte die EU den Ausstieg aus russischem Öl beschließen. Das wiederum trifft Moskau – rein von den Summen – viel stärker als ein Gasembargo. Am Donnerstag verweigerte Russland auch die Annahme einer deutschen Zahlung, allerdings für eine offenbar vergleichsweise kleine Gaslieferung.

Russland ist auf das Geld aus Europa angewiesen – auch um den Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren. Die Steuern aus dem Öl- und Gasgeschäft machen den Großteil der russischen Steuereinnahmen aus. Jetzt sind sie noch wichtiger geworden, da der Rest der Wirtschaft – insbesondere das Exportgeschäft – aufgrund der westlichen Sanktionen schwer getroffen ist. Für das Öl findet Moskau zwar auf dem Weltmarkt andere Abnehmer, aber es fehlt teils die Infrastruktur, und der Westen könnte den Druck auf Drittstaaten erhöhen und sie etwa von russischen Ölkäufen abhalten.

OMV verzeichnet Gewinne

Aufgrund der hohen Energiepreise verzeichnet die OMV im ersten Quartal des Jahres einen Gewinn von 2,6 Milliarden Euro. Der Krieg in der Ukraine und die Diskussion über den Lieferstopp von russischem Öl und Gas haben die Energiepreise zuletzt stark steigen lassen. Die OMV sucht derzeit nach sanktionskonformen Lösungen, die Verträge mit dem russischen Gaskonzern Gasprom sollen aber noch bis 2040 laufen.

Problematische Vertragsänderung

Doch zurück zum Gasstreit: Gasprom begründete den Lieferstopp an Polen und Bulgarien damit, dass diese nicht bereit waren, seine Zahlungsbedingungen – sprich Zahlung in Rubel – zu übernehmen. Das wird grundsätzlich von den beiden Ländern bestätigt, aus ihrer Sicht stellt es sich freilich etwas anders dar: Bulgarien verwies gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Politico“ darauf, Gasprom habe dem staatlichen Gasimporteur Bulgargas eine Vertragsergänzung zukommen lassen. Darin sei gefordert worden, die Kontrolle über das Geld einer dritten „Gesellschaft“ zu überlassen, um das Konvertieren des Geldes von Euro in Rubel zu komplettieren. Und das laut Energieminister Alexander Nikolow ohne Garantien, dass weiter Gas geliefert wird.

Man habe aber nicht die Kontrolle über Steuergelder an eine dritte Partei übergeben wollen, „insbesondere an eine dritte Partei, die von einem Land kontrolliert wird, das uns gerade auf seine Feindesliste gesetzt hat“. Und Nikolow ergänzte: Damit verliere man „alle möglichen rechtlichen Ansprüche, Hebel, Gerichtsverfahren, einfach alles“. Dieses Risiko müssen auch andere Gasimporteure wie die deutsche Uniper und die OMV bei ihrer derzeitigen Suche nach einer Lösung berücksichtigen.

Was Putins Dekret fordert

Die Gasprombank – fast die einzige russische Bank, die nicht aus dem Bezahlsystem SWIFT ausgeschlossen ist – öffnet für OMV und Co. eigene Konten, auf die die Gasimporteure das Geld in Euro überweisen. Eine russische Bank – wohl die von Nikolow angesprochene „dritte Partei“ – würde die Zahlung in Rubel konvertieren und auf ein anderes Konto der Gasprombank rücküberweisen. Die Zahlung gilt aber erst als geleistet, wenn die Summe auf dem Rubel-Konto eingegangen ist.

Zahlung als „Kredit“ für Russland

Bereits letzte Woche hatte die EU-Kommission in einem Memo auf die Schwierigkeiten klar hingewiesen. Die Zahlung in Euro sei zwar in Ordnung. Dass Firmen gezwungen werden, ein zweites Konto in Rubel zu eröffnen, und die Überweisung erst vollzogen ist, wenn das Geld in Rubel konvertiert ist, sei aber nicht akzeptabel.

Der Grund: Der Konvertierungsprozess, der „ganz in Händen der russischen Behörden liegt“, könnte auch die Zentralbank, mit der laut Sanktionen keine Geschäfte gemacht werden dürfen, involvieren. Und die EU-Kommission warnte weiter: Der Konvertierungsprozess könnte eine „undefinierte Zeit“ dauern und „sogar als Kredit, den europäische Firmen gewähren, gewertet werden“.

Normalerweise sind Zahlungsmodalitäten im Vertrag klar geregelt. Und dass eine Zahlung erfolgte, lässt sich jedenfalls nachweisen, da es ja immer eine Korrespondenzbank gibt, von der das Geld auf das Gaspromkonto überwiesen wird. Anders gesagt: Russland versucht mit der Drohung des Lieferstopps eine einseitige Änderung privatwirtschaftlicher Verträge zu erzwingen. Das ist zumindest bemerkenswert, wenn auch aus russischer Sicht angesichts der EU-Sanktionen vielleicht nachvollziehbar.

Klug ist es wohl nicht: Denn es zieht der wirtschaftlichen Zusammenarbeit langfristig den Teppich unter den Füßen weg. So ein erzwungener totaler Vertrauensverlust verursacht tiefe Verwerfungen, unter denen jedenfalls zuallererst Russland leiden wird.

Boxhandschuhe ausgezogen

Einen Mittelweg gibt es derzeit offenbar nicht – auch OMV-Chef Alfred Stern sprach am Freitag von „großer Unsicherheit“: Man wisse noch nicht, wie man künftig die Zahlung durchführen werde. Im Mai muss die OMV die nächste Rechnung bezahlen. Fraglich ist, ob überhaupt ein für beide Seiten gesichtswahrender Kompromiss gefunden wird. Unklar ist auch, ob es die Bereitschaft dazu überhaupt noch gibt. Russland und die EU haben in ihrem Wirtschaftskrieg die Boxhandschuhe beiseitegelegt und liefern einander einen offenen Kampf, dessen Ausgang oder Abbruch nicht in Sicht ist.

Völliger Entzug als Ausweg aus Dilemma?

Sehr kurzfristig könnte Moskau die Oberhand behalten. In der EU gehen die Positionen weit auseinander, vor allem Polen drängt auf möglichst radikale Schritte, während Deutschland, Österreich und Ungarn bremsen. Doch die Entschlossenheit in der EU, auf Totalentzug („cold turkey“) bei russischem Gas und Öl zu gehen, wächst offenbar mit jedem russischen Dreh an der Daumenschraube.

Selbst der betont stoische deutsche Kanzler Olaf Scholz sagte am Donnerstag, man müsse für einen jederzeit möglichen russischen Gaslieferstopp bereit sein – und man sei das auch. Das könnte sich als ähnlich bemerkenswerte Kehrtwende wie jene bei der Lieferung von Panzern an die Ukraine entpuppen.