Fahrzeug von Share Now auf der Straße
ORF.at/Christian Öser
Stellantis übernimmt

Mercedes und BMW geben Carsharing ab

Mit der Fusion ihrer Carsharing-Töchter Car2Go und Drive Now haben die an sich konkurrierenden deutschen Autokonzerne Mercedes-Benz und BMW für einiges Aufsehen gesorgt. Rund drei Jahre später werden die Karten neu gemischt und das damals als großes Zukunftsprojekt aus der Taufe gehobene Gemeinschaftsunternehmen Share Now an Stellantis, den Mutterkonzern von Fiat Chrysler, Peugeot und Opel, verkauft.

„Mercedes-Benz Mobility und BMW Group beabsichtigen, ihr Gemeinschaftsunternehmen Share Now an Stellantis zu veräußern“, hieß es am Dienstag etwa in einer BMW-Aussendung. Eine entsprechende Vereinbarung sei von den drei beteiligten Unternehmen bereits unterzeichnet – über Details der Transaktion sei Stillschweigen vereinbart worden. Ausständig sei noch die Zustimmung der zuständigen Kartellbehörden. Schließlich verwies BMW auf die zusammen mit Mercedes entwickelte „Pionierleistung“ in Sachen stationsunabhängige Autovermietung.

Mit der Übernahme von Europas derzeitigem Markführer Share Now erhalte Stellantis „die Möglichkeit, Carsharing in Europa weiter auszubauen und so die vielfältigen Mobilitätsbedürfnisse seiner Kunden zu erfüllen“. Stellantis ist bereits mit der Tochter Free2move auf dem Carsharing-Markt aktiv.

Stellantis will auch Flotte übernehmen

Der Kauf von Share Now sei „ein entscheidender Schritt für die Beschleunigung“ von Free2move, sagte dessen Chefin Brigitte Courtehoux. Man gewinne für das eigene, seit 2020 profitable Angebot mit bisher rund zwei Millionen Kunden weitere 3,4 Millionen hinzu. Die Autos von Share Now werde man übernehmen und auch künftig keine reine Stellantis-Flotte anbieten, meinte Courtehoux. Man verfüge zwar über 14 starke Marken, aber werde auch andere Kundenwünsche berücksichtigen.

BMW und Mercedes wollen sich indes auf die Dienste Charge Now zum Laden von Elektroautos und die „Multimobilitäts-App“ Free Now konzentrieren. Damit „fokussieren wir auf zwei Wachstumsfelder, die unseren Kunden auch in Zukunft die ganze Bandbreite an Mobilitätsdienstleistungen bieten und den Ausbau der Elektromobilität unterstützen“, sagte Gero Götzenberger von Mercedes-Benz Mobility, laut dem Carsharing weiter „ein wichtiger Bestandteil der urbanen Mobilität und bei Free Now ein wesentliches Element im Mobilitätsangebot“ bleiben soll.

Europcar auf VW-Einkaufsliste

Europas größter Autokonzern Volkswagen ist ebenfalls auf dem Markt aktiv und will mit der milliardenschweren Übernahme des französischen Autovermieters Europcar ein führender Anbieter werden. Europcar soll zu einer Plattform für Angebote rund um Carsharing, Mitfahrdienste und Abomodelle ausgebaut werden. Die Hersteller richten sich auf ein verändertes Nutzungsverhalten vor allem jüngerer Kunden ein, die Autos nicht mehr besitzen, sondern für kurze Zeit mieten oder abonnieren wollen.

Volkswagen verfügt unter der Marke WeShare in einigen Städten bereits über Aktivitäten im Carsharing und bietet mit Moia Mitfahrdienste an. VW-Chef Herbert Diess sieht in der Kombination von Vermietung und Carsharing den einzigen Weg, das Zweite profitabel zu betreiben. Mobilitätsdienste könnten in den kommenden Jahren nach seiner Einschätzung schneller wachsen als der Autoverkauf – erst recht, wenn sich autonomes Fahren durchsetze und Robotaxis auf die Straße kämen.

„Aus Deutschland angeschobenes Digitalisierungsprojekt“

Für Mercedes-Benz und BMW bedeutet der Verkauf der 2019 mit großen Erwartungen gestartete Carsharing-Tochter dennoch „das Ende einer Ära“ – daran ändere nach Angaben des Wirtschaftsmagazins „Capital“ auch der Versuch der beiden Autokonzerne, „den Verkauf zu einer strategischen Entscheidung aufzuhübschen“, nichts.

Fahrzeug von Share Now
ORF.at/Christian Öser
Mercedes-Benz und BMW machen seit 2019 beim Carsharing gemeinsame Sache – nun wird Share Now verkauft

Mercedes-Benz und BMW hätten „das Carsharing wie kein anderer Autokonzern groß gemacht“: „Erstmals wurde es flächendeckend möglich, Fahrzeuge per App zu finden und vom Straßenrand weg zu mieten – es war eine einfache, unkomplizierte Form der Autonutzung, die zumindest in Großstädten zu einer Modeerscheinung wurde“, so „Capital“, dem zufolge es sich „ausnahmsweise“ auch um ein Digitalisierungsprojekt handle, „das aus Deutschland angeschoben worden war“.

CoV als „Schleudertest“

Die stationsunabhängige Kurzzeitmiete hat den Vorteil, dass ein Kunde das Auto flexibel in seiner Nähe finden kann. Der Aufwand für den Betreiber, die übers Stadtgebiet verteilten Wagen aufzutanken und in Ordnung zu halten, ist aber größer als bei festen Verleihstationen. Das Carsharing der deutschen Konzerne warf bisher allenfalls in einzelnen Städten Gewinne ab. Über einen Verkauf wurde daher schon länger spekuliert.

„Mit dem Exit aus dem Carsharing stutzen Mercedes und BMW ihre Mobilitätsdienste weiter zurecht“, heißt es im „Handelsblatt“, das bereits im Vorjahr über einen anstehenden Verkauf berichtete und in diesem Zusammenhang die CoV-Pandemie als „Schleudertest“ für Share Now bezeichnete. Mit den Lockdowns blieben in den europäischen Metropolen demnach sowohl Geschäftsleute als auch Touristen aus, weswegen BMW und Daimler 2020 zeitweise bis zu 20 Prozent ihrer Carsharing-Flotte stilllegen mussten.

Reuters-Angaben zufolge verbuchte Mercedes-Benz aus den Mobilitätsdiensten, die in den vergangenen beiden Jahren unter der Coronavirus-Pandemie litten, zuletzt einen Verlust von 329 Millionen Euro bei einem Umsatz von 260 Millionen Euro.

Viel Aufwand, wenig Gewinn

BMW und die damalige Daimler AG hatten ihre Mobilitätsdienste 2019 zum Gemeinschaftsunternehmen Your Now zusammengelegt. Dazu gehören neben Share Now der Taxi- und Mitfahrvermittler Free Now sowie die Ladestationen-Plattform Charge Now. Noch im gleichen Jahr kündigte das Unternehmen den Abschied aus dem Nordamerika-Geschäft an. Im März 2021 wurde die Parkplatz-App Park Now an den schwedischen Konkurrenten Easypark verkauft. Die Mobilitäts-App Reach Now wurde eingestellt.

Ob aus „Now“ nun „Yesterday“ geworden sei, bleibt mit Blick auf den nach wie vor heiß umkämpften Carsharing-Markt abzuwarten – laut „Capital“ ist das Geschäft der Flottensteuerung und der digitalen Vernetzung allerdings auch „mühsam“ und brachte BMW und Mercedes „zwar interessante Daten“, aber kaum nennenswerten Gewinn.

„Braut mit unwiderstehlicher Mitgift“

Die auch wirtschaftlich hoch angesetzten Erwartungen haben sich bei Share Now jedenfalls nie erfüllt, so das „Handelsblatt“, der Verkauf sei daher ein naheliegender Schritt. Die Rede ist von einem „Eingeständnis des Scheiterns“ – es sei ein „Schlussstrich“, den Mercedes und BMW nun beim Carsharing ziehen, zitierte das „Handelsblatt“ den deutschen Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer, dem zufolge Share Now „ohnehin bei einem Massenhersteller wie Stellantis (…) besser aufgehoben“ sei „als bei zwei Anbietern von Luxuskarossen“.

Das Geschäft mit Carsharing habe für BMW und Mercedes „nie geklappt“, so Dudenhöffer. Auf Stellantis warte angesichts eines erwarteten „Schnäppchenpreises“ hingegen nun wohl „eine Braut mit unwiderstehlicher Mitgift“.