Ukrainische Geflüchtete schauen aus einem Zugfenster
Reuters/Darrin Zammit Lupi
Symbol des Widerstands

Ukrainische Eisenbahn trotzt Angriffen

Transport von Geflüchteten, Rohstoffen und – auch westlichen – Waffen: Die ukrainische Eisenbahn hat mit ihrem 22.000 Kilometer umfassenden Schienennetz einen entscheidenden Anteil im ukrainischen Widerstand gegen die russische Invasion. Trotz gezielter russischer Angriffe auf zentrale Punkte der Bahninfrastruktur wie Eisenbahnbrücken und Logistikzentren gelang es den russischen Truppen bisher nicht, die Bahn in der Ukraine lahmzulegen.

Obwohl viele Städte und Dörfer zerstört wurden, ist die weit verzweigte Eisenbahn noch funktionsfähig. Eigentlich spielt die Bahn auch für die Logistik russischer Truppen eine wichtige Rolle, analysiert die Russland-Expertin Emily Ferris vom britischen Royal United Services Institute in „Foreign Policy“. Doch Russland schaffte es weder große Logistikzentren der ukrainischen Bahngesellschaft Ukrsalisnyzja völlig unter Kontrolle zu bringen noch wichtige Eisenbahnknotenpunkte im Norden der Ukraine etwa in Tschernihiw und der Region Kiew.

Das führte dort zu logistischen Problemen, wo Russland auf die Straße angewiesen war und Fahrzeuge aufgrund der anfänglich winterlichen Bedingungen stecken blieben. Die Offensive im Norden schlug letztlich fehl. Nun fokussiert sich Russland auf den Süden und Osten. Fehlende vollständige Kontrolle und zerstörte Knotenpunkte der Eisenbahn verunmöglichen es Russland aber weiterhin, per Bahn für Nachschub zu sorgen. Ferris bezeichnete das „übermäßige Vertrauen auf die Eisenbahn“ für den Einsatz in der Ukraine als einen der „größten Stolpersteine“ Russlands.

Ein Zug von Dnipro fährt an zerstörten Gebäuden in einem Vorort von Lwiw vorbei
AP/Philip Crowther
Viele Städte und Dörfer wurden zerstört, die Bahn kann bisher dennoch Mobilität und Logistik aufrechterhalten

Verstärkte Angriffe auf Eisenbahninfrastruktur

Da eine Kontrolle des Eisenbahnnetzes in der Ukraine derzeit aussichtslos scheint, versucht Russland nun offenbar verstärkt, die Infrastruktur zu zerstören. Das ukrainische Eisenbahnnetz ist seit einigen Tagen zunehmend ins Visier der russischen Truppen geraten. Angegriffen wurden vor allem Bahnhöfe, Umspannwerke, die die Bahn mit Strom versorgen, und Eisenbahnbrücken – nicht zuletzt um Waffenlieferungen aus dem Westen zu unterbinden.

Auch soll die Verstärkung für die im Osten und Süden eingesetzten ukrainischen Soldaten erschwert werden. Moskaus „Ziel ist es, kritische Infrastrukturen aus militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen so weit wie möglich zu zerstören“, sagte der stellvertretende Infrastrukturminister Juri Waskow gegenüber Reuters.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Zug während einer Fahrt nach Kiew
Reuters/Janis Laizans
EU-Kommissionschefin von der Leyen reiste mit dem Zug nach Kiew

Transportiert wurden bisher Millionen Flüchtlinge, Hilfslieferungen, Rohstoffe und westliche Waffen. Ärzte ohne Grenzen richtete in Zügen mobile Krankenstationen ein. Auch die zahlreichen Politiker und Politikerinnen, die Kiew einen Besuch abstatteten – vom britischen Premier Boris Johnson bis zur EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – reisten per Bahn in die Ukraine.

Trotz Ausbaus beschränkte Kapazitäten

Bis Kriegsbeginn wurde der Großteil der Exporte von Rohstoffen wie Weizen, Kohle und Stahl über die Schwarzmeer-Häfen abgewickelt. Drei Viertel des ukrainischen Außenhandels liefen vor der russischen Invasion über diese Seehäfen. Aufgrund deren Blockade durch russische Kriegsschiffe, der durch zerstörte Brücken und Kontrollpunkte blockierten Straßen sowie des knappen Treibstoffs entwickelte sich die Bahn zu einer wichtigen Verbindung nach außen. Die Westgrenzen und die Donau-Häfen seien derzeit die einzige Möglichkeit für Export und Import, sagte Waskow.

Allein im April seien 3,5 Mio. Tonnen Fracht über die westlichen Grenzen auf der Schiene transportiert worden. Die Eisenbahnbetreiber entwickeln demzufolge Grenzterminals für Stück- und Flüssiggüter und für die Umladung von Breit- auf Schmalspur und umgekehrt. Aber selbst wenn man diese Kapazität um 50 Prozent steigern könne in den nächsten Monate, werde das „nicht einmal ausreichen, um mindestens die Hälfte der Mengen zu befördern, die in Friedenszeiten über die Seehäfen transportiert wurden“, so Waskow.

Tschechische Freiwillige befüllen einen Güterzug mit Hilfsgütern für die Ukraine
APA/AFP/Michal Cizek
Der Transport über die Schiene wurde auch für zahlreiche Hilfsgüter genützt

Auch ÖBB-Chef Andreas Matthä sagte kürzlich im „FAZ“-Interview, dass die Transportkapazitäten über die Bahn begrenzt seien. Es gebe einen „Flaschenhals wegen fehlender Kapazitäten bei Wagen und Lokomotiven sowie an den Umschlagsorten an den Grenzen der Ukraine zu Ungarn, Polen und der Slowakei“.

Bahn-Chef: Bis zu 200.000 Passagiere täglich

Auch muss – auf dem Gebiet der Ukraine – bei der Streckenplanung flexibel reagiert werden, wenn gefährliche Gebiete durchfahren werden müssen oder wenn Schienen zerstört wurden und Ausweichrouten gefunden werden müssen. Nach Angaben des Ukrsalisnyzja-Chefs Olexandr Kamyschin gegenüber Reuters würden seit Kriegsbeginn täglich bis zu 200.000 Menschen transportiert werden. Diese Angaben sind unabhängig nicht überprüfbar.

Auch die 230.000 Beschäftigten der Bahn sind laut Kamyschin großteils weiterhin im Dienst. Vor dem Krieg zählte die ukrainische Bahngesellschaft zu den größten Arbeitgebern. Die Bahn wurde erst 2012 für die Fußballeuropameisterschaft modernisiert und die Infrastruktur um rund 700 Mio. Euro verbessert, berichtete die Deutsche Welle.

Zerstörte Eisenbahnbrücke über den Fluss Irpin
Reuters
Diese zerstörte Eisenbahnbrücke in der Region Kiew wurde innerhalb weniger Wochen wieder aufgebaut

Es gibt jedenfalls Beispiele, die zeigen, wie schnell zerstörte Infrastruktur wieder aufgebaut werden kann. Das gehe ohne Rücksichtnahme auf lange bürokratische Wege, heißt es aus dem Bahnunternehmen. Das gilt auch für größere Bauten. Innerhalb eines Monats etwa wurde die Eisenbahnbrücke wieder instandgesetzt, die die vom Krieg zerstörten Städte wie die Kiewer Vororte Irpin, Butscha und Borodjanka mit der Hauptstadt verbindet.