Die SPÖ fühlt sich an Schwarz-Blau unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) als Kanzler zu Anfang des Jahrtausends erinnert. Die Zusammenlegung von Arbeit und Wirtschaft unter einem Minister Kocher sei „ein schwerer Fehler, der die Arbeitnehmerinteressen vernachlässigt“, so der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch stieß in dasselbe Horn. „Schon unter Schwarz-Blau I wurde unter Beweis gestellt, dass die Zusammenlegung der Ressorts Arbeit und Wirtschaft zu einer nachhaltigen Verschlechterung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geführt hat“, kritisierte er.
Es seien Jahre des Sozialabbaus mit schweren Belastungen und inakzeptablen Verschlechterungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewesen, so Muchitsch weiter. Schon damals sei reine Lobbypolitik für Konzerne und Großunternehmer betrieben worden. Das lasse nichts Gutes erwarten und sei auch völlig unnötig, jetzt wo diese Regierung ohnehin schon in den letzten Zügen liege. „Nehammer sollte endlich den Weg für Neuwahlen freimachen und nicht noch in den letzten Tagen versuchen, reine ÖVP-Klientelpolitik umzusetzen“, so Muchitsch.
Kritik auch von Arbeitnehmervertretungen
Kritik kam auch von Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaft: „Man muss kein Schwarzmaler sein, um die Zusammenlegung der Ressorts für Arbeit und Wirtschaft in ein Ministerium als sehr problematisch für die ArbeitnehmerInnen zu werten“, so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian in einer Aussendung. „Es reicht ein Blick ins Archiv“, meinte er mit Verweis auf den Anfang der 2000er Jahre. Auch aus Sicht von AK-Präsidentin Renate Anderl sind „Interessenkonflikte zwischen den Anliegen von Arbeitnehmer:innen und Unternehmen vorprogrammiert“.
NEOS, IV und WKÖ: Zusammenlegung macht Sinn
NEOS hingegen kann der Zusammenlegung etwas abgewinnen. Die Wiederzusammenführung der Agenden für Wirtschaft und Arbeit macht für NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos Sinn. Auch die Industriellenvereinigung (IV) sieht in der Zusammenlegung der Ressorts eine „sinnvolle Weichenstellung“, meinte IV-Präsident Georg Knill in einer Aussendung. Ähnlich sieht das Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf (ÖVP).
„Martin Kocher wird auch in seinem nun erweiterten Ressort seine Fachkompetenz unter Beweis stellen, mit der er schon als Arbeitsminister überzeugen konnte – und das im besten Interesse des österreichischen Wirtschaftsstandortes“, so Kopf.
Minister Martin Kocher zum Regierungsumbau
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) baut sein Regierungsteam um. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) überträgt er die Wirtschaft und wertet ihn damit auf. Und er holt sich drei Neue ins Team. Arbeits- und Neowirtschaftsminister Kocher nimmt dazu Stellung.
Nehammer stellte neue Teammitglieder vor
Nehammer hatte am Dienstag, wenige Tage vor dem ÖVP-Parteitag, nach den Rücktritten von Tourismusministerin Elisabeth Köstinger und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (beide ÖVP), in der Politischen Akademie der ÖVP die Neuaufstellung im ÖVP-Regierungsteam präsentiert.
Das Wirtschaftsressort wird eingespart, dafür gibt es eine neue Staatssekretärin und einen neuen Staatssekretär. Die Tourismusagenden werden vom Landwirtschafts- in das neue große Arbeits- und Wirtschaftsministerium übertragen. Mit Susanne Kraus-Winkler werde Kocher die neue Tourismusstaatssekretärin zur Seite gestellt, wie Nehammer sagte. Sie ist derzeit Obfrau des Fachverbands Hotellerie in der Wirtschaftskammer.
Ein Staatssekretariat für Digitalisierung und Breitband kommt ebenfalls. Diese Agenden werde Florian Tursky, bisher Büroleiter des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter (ÖVP), übernehmen, so Nehammer. Die Digitalisierungsagenden wandern damit wieder vom Wirtschafts- in das Finanzministerium von Magnus Brunner (ÖVP). Der Direktor des ÖVP-Bauernbundes, der Osttiroler Norbert Totschnig, wird das Landwirtschaftsministerium übernehmen – mehr dazu in tirol.ORF.at. Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) bekommt zusätzlich die Zivildienstagenden, sie waren zuvor unter Köstinger im Landwirtschaftsministerium angesiedelt.
Angelobung Mittwoch
Die Angelobung soll Mittwochfrüh erfolgen, wie es aus der Präsidentschaftskanzlei Dienstagnachmittag hieß. Die Gespräche mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen fanden noch am Dienstag statt. Rosen streute Nehammer dem Koalitionspartner Grüne: Sie seien in die Regierungsumbildung involviert gewesen und hätten diese mitgetragen. Nehammer betonte das gute Verhältnis und eine gute Vertrauensbasis zu Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler und der grünen Klubchefin Sigrid Maurer sowie auch deren gute Zusammenarbeit mit ÖVP-Klubchef August Wöginger.
Für die Kompetenzverschiebungen ist noch eine Änderung des Bundesministeriengesetzes notwendig – also die Zustimmung des grünen Regierungspartners. Kogler zeigte sich in einem schriftlichen Statement „froh, dass die Entscheidungen von der ÖVP rasch getroffen wurden und wir jetzt zügig weiterarbeiten können“.
Lob zum Abschied und Vorschusslorbeeren
Der Kanzler sprach Köstinger und Schramböck „ein großes Danke und meine Anerkennung“ aus. Beide hätten viel Einsatz gezeigt und viele Anfeindungen, Häme und Spott erdulden müssen. Er billigte beiden – wie seinem gesamten Team – die selbstbestimmte Entscheidung über den Zeitpunkt ihres Rückzugs zu. Vereinbart sei aber auch gewesen, dass er informiert werde, wenn es so weit ist. Deshalb sei solch eine rasche Umbildung möglich gewesen. Die „Bundesländer- und Teilorganisationslogik“ habe man dabei nicht in den Vordergrund gestellt, unterstrich er.
Nehammer war auch voll des Lobes für seine neuen bzw. inhaltlich aufgewerteten Teammitglieder. Totschnig sei ein „großer, leidenschaftlicher Kämpfer für die Anliegen der Bäuerinnen und Bauern“, aber auch „persönlich ein Freund“, Tursky ein „guter Vertrauter“, Experte und bewährter Krisenmanager, Kocher ein „absolut erfahrener Experte“. Plakolm habe in Fragen der Jugend schon bisher einen wesentlichen Beitrag geleistet und erhalte mit dem Zivildienst nun eine positive thematische Abrundung. Kraus-Winkler sei eine, die die Ängste, Nöte und Zukunftshoffnungen der Tourismusbranche aufnehmen könne.
SPÖ will Neuwahlantrag einbringen
Die Opposition kritisierte die ÖVP-Regierungsumbildung. Die SPÖ wird in der nächsten Nationalratssitzung einen Antrag auf Neuwahlen einbringen. Auch die FPÖ pocht auf Neuwahlen. „Nach diesen beiden Rücktritten ist endgültig ‚Game over‘. Die Regierung Nehammer ist gescheitert“, sagte der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Leichtfried bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Für diese Regierung sei es an der Zeit, zur Seite zu treten. Die SPÖ werde deshalb in der nächsten Nationalratssitzung einen Neuwahlantrag einbringen.
Leichtfried macht die Regierung für den Absturz in „sämtlichen Rankings“ verantwortlich. Wo geschlossenes Handeln gefordert sei, gebe es einen Rücktritt nach dem anderen. „Der Kanzler wählt seine Minister nicht nach Kompetenz aus, sondern danach, keinen Ärger mit der ÖVP Tirol oder dem Bauernbund zu bekommen“, kritisierte er die Postenbesetzungen der vergangenen Jahre. „Transparenz und Kontrolle haben noch nie die ÖVP gewählt, inzwischen wählt der Anstand auch nicht mehr die Grünen.“
FPÖ sieht „ÖVP-Regierungsbasar“
Bei den Themen Teuerung, Energie und Pflege sei „nichts weitergegangen“. Es sei Zeit für die Senkung von Steuern und Lohnsteuern und Pensionserhöhungen, so Leichtfried. Er kritisierte auch fehlende Pläne der Bundesregierung, um die Gasversorgung zu sichern, so Leichtfried weiter.
FPÖ-Chef Herbert Kickl ortete am Dienstag in einer Aussendung einen „ÖVP-Regierungsbasar“, notwendig sei „ein Aufwachen des Bundespräsidenten“, so der FPÖ-Chef. Alexander Van der Bellen müsse „jetzt endlich seine staatspolitische Verantwortung leben und nicht wieder in den unreflektierten Angelobungstrott verfallen. Er muss diesem jämmerlichen ÖVP-Schauspiel ein Ende setzen“, so Kickl weiter. Das Regierungsteam habe nichts mehr mit jenen Personen zu tun, die im Jahr 2019 in die Nationalratswahl gegangen seien. Van der Bellen müsse den Weg für Neuwahlen freigeben.
NEOS kritisiert Postenbesetzung
Einen „Skandal der Sonderklasse“ sieht FPÖ-Wirtschaftssprecher Erwin Angerer darin, dass die Wirtschaftsagenden ein „Anhängsel“ des Arbeitsministeriums werden sollen. Arbeitsminister Kocher habe sich schon bisher nicht ausreichend um den Arbeitsmarkt gekümmert, befand auch FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. In der CoV-Krise sei Kocher zudem als „Scharfrichter“ aufgefallen, so Belakowitsch weiter.
Kritik an Nehammers Postenbesetzungen übte auch NEOS: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) habe nichts weitergebracht, vom Bildungsminister bleibe nichts in Erinnerung, und in Sachen Energie habe es keine Weiterentwicklung gegeben, sagte NEOS-Generalsekretär Hoyos bei einer Pressekonferenz. Ministerposten würden lediglich aufgrund der Herkunftsbundesländer der Anwärter vergeben, kritisierte er. „Es kann doch nicht sein, dass ich Minister werde, nur weil ich Tiroler bin.“ Weiters warf Hoyos der ÖVP ein Korruptionsproblem vor. „Wir erleben, was wir schon die letzten Jahre erlebt haben: Die ÖVP hat ein Korruptionsproblem.“
Erste Forderungen
Zufrieden zeigten sich auch jene Institutionen, deren Vertreter nun in die Regierung wechseln – von Bauernbund über Wirtschaftsbund bis zu nahestehenden Organisationen wie Tourismusvertretungen und Landwirtschaftskammer. Die neuen Regierungsmitglieder seien Experten bzw. Vollprofis.
Auch erste Forderungen durch die Ressortverschiebungen wurden schon geäußert. Die Bundesjugendvertretung (BJV) appellierte in einer Aussendung, die neuen Chancen durch die Verschiebung der Zivildienstagenden ins Jugendstaatssekretariat zu nutzen und das Engagement im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps als Zivilersatzdienst anzuerkennen.
Der WWF wiederum appellierte an den neuen Landwirtschaftsminister, bis Herbst einen Bodenschutzvertrag zu verhandeln und konkrete Maßnahmen gegen den Flächenfraß durchzusetzen. Der Verein gegen Tierfabriken (VGT) nutzte die Bekanntgabe der neuen Regierungsmitglieder gleich für eine Aktion gegen Vollspaltenböden. Der Handelsverband erwartet einen „noch stärkeren Einbezug“, um die Folgen der Pandemie und Ukraine-Krise „geeint zu bekämpfen“. Auch auf „faire Spielregeln“ zwischen lokaler, europäischer Wirtschaft und internationalen Internetgiganten ohne Betriebsstätte in Österreich solle ein Fokus gelegt werden.