Kinder warten auf Essensausgabe in New Delhi
APA/AFP/Prakash Singh
Bericht

Verheerendes Ausmaß an Hunger bei Kindern

Das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) beklagt katastrophale Ausmaße von schwerer Unterernährung bei Kindern in vielen Teilen der Welt. Eine Kombination aus globalen Krisen hat bereits vor dem Krieg die Ernährungssicherheit von Millionen Familien bedroht, nun dürfte sich die Lage weiter verschlechtern.

„Noch bevor der Krieg in der Ukraine die weltweite Ernährungssicherheit gefährdete, hatten Konflikte, Klimaschocks und Covid-19 bereits verheerende Auswirkungen auf die Fähigkeit von Familien, ihre Kinder zu ernähren“, so Exekutivdirektorin Catherine Russell. Weltweit leiden UNICEF zufolge 13,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren an einer Form der Mangelernährung, die als schwere Auszehrung bezeichnet wird.

Schwere Auszehrung ist die sichtbarste und lebensbedrohlichste Form von Hunger. Dieser Zustand führt laut UNICEF zu einem von fünf Todesfällen in dieser Altersgruppe. Die Organisation legte am Dienstag dazu den Bericht „Schwere Auszehrung: Ein übersehener Notfall für das Überleben von Kindern“ vor. Trotz wachsender Fallzahlen und steigender Behandlungskosten sei die Finanzierung zur Rettung der betroffenen Kinder nun gefährdet.

Arbeiter mit Getreidesack im Jemen
Reuters/Khaled Abdullah
Schon vor dem Ukraine-Krieg gab es in zahlreichen Ländern Hungerkrisen – etwa im Jemen

Therapeutische Nahrung wird teurer

Mindestens zehn Millionen stark unterernährte Kinder hätten aktuell keinen Zugang zur wirksamsten Behandlung, der gebrauchsfertigen therapeutischen Nahrung. Eine Kombination aus globalen Schocks für die Ernährungssicherheit – der Ukraine-Krieg, der Kampf gegen die Pandemie und Dürren wegen des Klimawandels – würde derzeit „die Bedingungen für einen signifikanten Anstieg der schweren Auszehrung weltweit schaffen“.

Millionen Kinder schwer unterernährt

Das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) hat katastrophale Ausmaße von schwerer Unterernährung bei Kindern in vielen Teilen der Welt beklagt. Einblicke gibt der am Dienstag veröffentlichte Bericht „Schwere Auszehrung: Ein übersehener Notfall für das Überleben von Kindern“.

Die Preise für gebrauchsfertige therapeutische Nahrungsmittel dürften in den nächsten sechs Monaten um bis zu 16 Prozent steigen, durch Verteuerung der Rohmaterialien. Das könnte laut UNICEF dazu führen, dass bei den derzeitigen Ausgaben bis zu 600.000 Kinder mehr als bisher nicht versorgt werden können. „Für Millionen von Kindern bedeuten diese Päckchen mit therapeutischer Paste jedes Jahr den Unterschied zwischen Leben und Tod“, so Russell.

Südasien als „Epizentrum“

Südasien sei „Epizentrum“ der schweren Auszehrung, wo etwa eines von 22 Kindern daran leide. Das sind doppelt so viele wie in Afrika südlich der Sahara. In Afghanistan werden laut dem Kinderhilfswerk in diesem Jahr 1,1 Millionen Kinder betroffen sein, fast doppelt so viele wie 2018. Die Dürre am Horn von Afrika bedeute, dass die Zahl der Kinder mit schwerer Auszehrung schnell von 1,7 Millionen auf zwei Millionen ansteigen könnte, während für die Sahelzone ein Anstieg von 26 Prozent im Vergleich zu 2018 vorhergesagt wird.

Archivbild zeigt Getreidefeld nahe Kiew
Reuters/Valentyn Ogirenko
Die Ausfälle in der „Kornkammer“ Ukraine sorgen für eine gefährliche Lage

Der Bericht weist zudem darauf hin, dass selbst in relativ stabilen Ländern wie Uganda die Auszehrung von Kindern seit 2016 um 40 Prozent oder mehr zugenommen hat. Schwere zyklische Dürren und unzureichender Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen tragen dazu bei.

Hilfszahlungen zu niedrig

Die Hilfszahlungen seien alarmierend niedrig und würden voraussichtlich noch stark zurückgehen. Vor 2028 bestehe kaum Hoffnung, das Niveau vor der Pandemie wieder zu erreichen. Die weltweite Hilfe für die Bekämpfung der Auszehrung belaufe sich auf nur 2,8 Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe im Gesundheitssektor und auf 0,2 Prozent der Gesamthilfe.

Die Regierungen sollen die Unterstützung um mindestens 59 Prozent über das Entwicklungshilfeniveau von 2019 erhöhen, um alle behandlungsbedürftigen Kinder in 23 Ländern mit hoher Krankheitslast zu erreichen.

Ukraine-Krieg als Brandbeschleuniger

Internationale Organisationen warnen angesichts des Krieges in der Ukraine bereits länger vor einer großen Hungerkrise in zahlreichen Weltregionen. Sowohl die Ukraine als auch Russland sind wichtige globale Exporteure von Weizen, Mais und Sonnenblumen. Der Krieg droht die Ernte signifikant zu reduzieren und in anderen Ländern für Hunger zu sorgen.

Die Lage wird dadurch verschärft, dass Indien als zweitgrößter Weizenproduzent der Welt am Samstag den Export des Getreides verboten hat. Begründet wurde das mit einer drohenden Hitzewelle. Man wolle die Ernährungssicherheit im eigenen Land gewährleisten. Mit ausdrücklicher Genehmigung der Regierung seien Ausfuhren weiterhin erlaubt, betonte die Regierung. Die Weizenpreise auf dem Weltmarkt erreichten am Montag angesichts der Ankündigung den höchsten Stand seit 14 Jahren, eine Tonne kostete zwischenzeitlich 438 Euro.

Arbeiter in einer Mühle in Ahmedabad
Reuters/Amit Dave
Indiens Exportverbot hat die Preise nach oben schnellen lassen – ein Teufelskreis

Jemen warnt vor Katastrophe

Für ohnehin von Hunger gefährdete Länder ist die Lage eine Katastrophe – etwa für den Jemen. In dem Land herrscht seit sieben Jahren ein Bürgerkrieg, schon vor der Krise grassierte dort der Hunger. Laut dem Welternährungsprogramm hat fast die Hälfte der 40 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner nicht genug zu essen. Das Land importiert etwa 90 Prozent seiner Lebensmittel. Nun warnte der größte Weizenimporteur des Landes, dass die Lage angesichts der hohen Preise kaum noch zu stemmen sein.

Ohne rasches Handeln würden Hunderttausende Menschen innerhalb weniger Monate extremen Hunger leiden, teilte der jemenitische Konzern HSA Group am Montag mit. „Wenn wir allein arbeiten, können wir nicht versprechen, dass sich eine Katastrophe in den kommenden Monaten abwenden lässt.“