ABLandwirtschaftsminister Norbert Totschnig und Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler
APA/Roland Schlager
Regierungsteam komplett

Kaum Schonfrist für Totschnig und Co.

Nach der Angelobung des neuen Landwirtschaftsministers Norbert Totschnig (ÖVP) Mittwochfrüh ist das neu gestaltete Regierungsteam geschlossen zur Präsentation im Nationalrat angetreten. Dabei ergab sich gleich eine harte Debatte: Die Opposition kritisierte die kürzlich vorgestellte Pflegereform scharf. Die SPÖ brachte einen Neuwahlantrag ein.

Totschnigs Angelobung war wegen einer CoV-Infektion verschoben worden. Rechtzeitig für die Nationalratssitzung vollzog Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Zeremonie Mittwochfrüh. Danach wurde Totschnig, ebenso wie die beiden neuen Spitzen der Staatssekretariate, Susanne Kraus-Winkler und Florian Tursky (beide ÖVP), dem Nationalrat vorgestellt.

Kanzler Karl Nehammer dankte den abgetretenen Ministerinnen Margarete Schramböck und Elisabeth Köstinger (alle ÖVP). Die Umgestaltung der Regierung nahm Nehammer ins Zentrum seiner Rede: „Wir haben zusammengeführt, was aus unserer Sicht zusammengehört.“

Es gebe ein klar strukturiertes Landwirtschaftsministerium, was gerade in Zeiten des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Frage der Versorgung wichtig sei, der Zivildienst ergänze die Jugendagenden, und die Digitalisierung komme zum Bundesrechenzentrum ins Finanzministerium. Die Folgen der Teuerung könne man wohl nicht ganz verhindern, man wolle sie aber bestmöglich lindern.

Neuwahlantrag und Misstrauensantrag

Am Mittwoch ist Norbert Totschnig (ÖVP) als Landwirtschaftsminister angelobt worden. Zusammen mit den neuen Staatssekretären musste er sich in seiner ersten Nationalratssitzung in dieser Funktion mit einem Neuwahlantrag und einem Misstrauensantrag befassen.

ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher betonte nun auch als Ressortchef für die Wirtschaft, dass Österreich mit guten Wirtschaftszahlen in schwierige Zeiten gehe. Dass bei ihm die Kompetenzen zusammengezogen werden, sieht er auch als Chance. Schon bisher habe man eng kooperiert, nun könne vieles stringenter und schneller erledigt werden.

„Fingers crossed“ für Totschnig

Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) dankte den ausgeschiedenen Ministerinnen und mahnte angesichts mancher Angriffe auf die Ressortchefinnen Respekt voreinander ein. Kogler lobte zudem Köstinger für ihren Kampf für die Landwirte, er warb auch einmal mehr für die Energiewende.

Schonfrist gibt es kaum für den neuen Minister. Van der Bellen machte bei der Angelobung in der Hofburg für Totschnig vor allem zwei große Herausforderungen aus: die Folgen des Krieges in der Ukraine und den Klimawandel. Die Ukraine sei eine der „Kornkammern der Welt“, im schlimmstmöglichen Szenario komme es weltweit zu einem Getreidemangel – „also ‚fingers crossed‘ kann ich nur sagen für uns alle“.

Auch Tierschützer warteten zu Totschnigs Amtsantritt gleich mit Forderungen auf. Der Verein gegen Tierfabriken (VGT) forderte Totschnig per Aussendung auf, ein Vollspaltenverbot in der Schweinehaltung noch in das Tierschutzpaket aufzunehmen. Zudem fordere die NGO zusammen mit 50 anderen Organisationen in einem offenen Brief „eine echte Agrarwende“.

Totschnig appelliert an Kooperationsgeist

Toschnig setzte bei seinem Antritt auf Zusammenarbeit. Er nehme die neue Aufgabe „voller Freude und Demut an“. Der Neominister weiter: „Wer mich kennt, weiß, dass ich auf gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe Wert lege. Ob am Bauernhof oder in der Politik – wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir partnerschaftlich arbeiten. Das war immer mein Zugang und so werde ich auch mein Amt als Landwirtschaftsminister anlegen.“

Kurze Vorstellungsstatements gab es auch von den weiteren Neuen. Kraus-Winkler versprach, für die Erholung des Tourismus in Österreich alles in Bewegung setzen zu wollen, Tursky stellte bis 2030 Gigabit-Datenanschlüsse für ganz Österreich in Aussicht. Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm, die nun auch für Zivildienst und Ehrenamt zuständig ist, dankte Nehammer für das erweiterte Vertrauen.

Regierung verteidigt Pflegereform

Im Nationalrat ging es am Mittwoch inhaltlich zunächst um die kürzlich von ÖVP und Grünen vorgelegte Pflegereform. Es sei das größte Reformpaket seit Jahrzehnten, nun müsse man sich gemeinsam an die Umsetzung machen, lautete der Tenor der Koalition. „Die Bezeichnung Meilenstein ist angebracht“, sagte die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer. Man mache einen großen Schritt, um die Situation der pflegenden Menschen, großteils Frauen, tatsächlich zu verbessern. Sie erinnerte daran, dass hier nicht nur der Bund tätig werden könne: „Liebe Länder, da gibt es jetzt keine Ausreden mehr.“ Auch die Sozialpartner seien nun am Zug, so ÖVP-Klubchef August Wöginger.

Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/Roland Schlager
Nehammer stellte am Mittwoch sein neu zusammengestelltes Team vor

Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) berichtete von positiven Rückmeldungen. Viele hätten ihm gesagt, dass sie schon gar nicht mehr an die Reform geglaubt hätten und diese nun als Signal der Wertschätzung werteten. Rauch sah auch einen „Arbeitsnachweis für die Funktionsweise der Regierung“, wie er sagte: „Sie funktioniert. Das Pflegepaket ist ein schlagender Beweis dafür.“

Kritik an „Anhäufung von Überschriften“

Anders fiel freilich die Einschätzung der Opposition aus. Josef Muchitsch (SPÖ) ortete einen Eintrag in der „Geschichte Ihres Versagens in der Pflegereform“. Seit die ÖVP den Bundeskanzler stelle, sei im Pflegebereich nichts geschehen.

Eine „Anhäufung von Überschriften“ sah auch Dagmar Belakowitsch (FPÖ), das werde zu neuer Enttäuschung in der Bevölkerung führen. Die Finanzierung sei nicht garantiert, und was ab dem Jahr 2024 passiere, sei vollkommen offen. Fiona Fiedler (NEOS) äußerte eine ähnliche Einschätzung. Die ganze Branche werde verhöhnt.

Reform der Sozialhilfe, höheres Defizit

Am Mittwoch beschloss der Nationalrat auch die Reform der Sozialhilfe. Sie enthält unter anderem eine neue Härtefallklausel. Zudem gibt es eine Härtefallklausel, über die die Länder den Bezieherkreis ausweiten können. Dabei handelt es sich beispielsweise um Menschen mit humanitärem Bleiberecht, die ihre Arbeit verloren haben.

Künftig müssen zudem betreute Wohneinrichtungen von den Ländern nicht mehr wie ein gemeinsamer Haushalt behandelt werden, was den individuellen Bezug erhöht. Pflegegeld soll bei der Sozialhilfe nicht mehr berücksichtigt werden und zwar nicht nur wie bisher bei der bezugsberechtigten Person, sondern auch bei pflegenden Angehörigen im gemeinsamen Haushalt. Was die Anrechnung des 13. und 14. Monatsgehalts bei Personen betrifft, die neben ihrem Arbeitseinkommen Sozialhilfeleistungen beziehen, liegt die Entscheidung künftig bei den Ländern.

Kritik kam von der SPÖ unter anderem daran, dass es sich bei den meisten Lockerungen nur um Kann-Bestimmungen für die Länder handle. Die FPÖ sah bei Zugewanderten ein Entgegenkommen der ÖVP gegenüber den Grünen. NEOS stimmte zwar zu, erkannte aber weiter Strukturprobleme und würde beispielsweise lieber Sozial- und Notstandshilfe zusammenlegen.

Der Nationalrat sorgte am Mittwochnachmittag für die budgetären Belastungen durch Ukraine-Krieg und weitere Pandemiekosten vor. Mit einer Novelle zu Bundesfinanzgesetz und Finanzrahmen wird das Defizit vorsorglich erhöht. Für heuer wird ein Defizit von 3,1 Prozent des BIP eingetaktet statt der bei der Budgeterstellung geplanten 2,3 Prozent.

SPÖ mit Neuwahlantrag

Unstimmigkeiten gab es auch wegen des Neuwahlantrags, den die SPÖ am Mittwoch eingebracht hat. „Diese Regierung scheitert kläglich, wenn es um die Teuerung, die Energieversorgung und die Pflege geht", so SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. Die Regierung müsse sich entscheiden, ob sie weiter „an der Macht kleben“ wolle. Wöginger konterte, für die Koalition sei es erst Halbzeit in der Legislaturperiode. „Und wir werden auch die zweite Halbzeit gut zu Ende spielen.“ Die Regierung sei handlungsfähig und habe noch viel vor. „Neuwahlen, wie sie die SPÖ fordert, braucht niemand“, so Wöginger.

Die FPÖ hatte einen ähnlichen Neuwahlantrag schon länger eingebracht und pochte nun auf eine Fristsetzung dafür. Der Antrag fand aber keine Mehrheit. Außerdem brachte die FPÖ einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Bundesregierung ein, der allerdings von keiner anderen Fraktion unterstützt wurde.

Klubchef Herbert Kickl meinte, die Regierung sei „ein Flohzirkus, das reinste Durchhaus“, und ihr einziger Kitt sei ihre Angst vor Wahlen und der Strafe durch die Bevölkerung. „Dieser Wahltag, das wird der Tag der großen Abrechnung, das prophezeie ich Ihnen heute“, sagte er. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger erinnerte an die Vielzahl der Regierungsumbildungen in jüngster Zeit. „Diese Bundesregierung muss endlich liefern“, meinte sie.