Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch
APA/Roland Schlager
Warten auf Entscheidung

Hitzige Nationalratsdebatte über Impfpflicht

Recht hitzig hat der Nationalrat am Donnerstag anlässlich eines Volksbegehrens über die Coronavirus-Impfpflicht debattiert. Kommende Woche soll die Entscheidung stehen, ob die Impfpflicht auch über den Sommer ausgesetzt wird. Zwischen Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und der FPÖ entwickelte sich ein wortreicher Schlagabtausch.

Eigentlich hätte bei Verstößen gegen die Pflicht ab Mitte März gestraft werden sollen. Doch nach Empfehlung einer Expertengruppen wurde der verpflichtende Stich bis 1. Juni ausgesetzt. Eine weitere Aussetzung kann Gesundheitsminister Rauch für drei Monate verordnen – dafür braucht es ein Einvernehmen im Hauptausschuss des Nationalrates. Am Donnerstag ließ Rauch im Parlament nicht erkennen, wie die Zukunft der Impfpflicht aussehen könnte.

Er appellierte aber, „bitte einmal zur Kenntnis zu nehmen“, dass die Coronavirus-Impfung bei den neuen Varianten zwar nicht vor Ansteckung schützt, aber „nachweisbar davor, auf der Intensivstation zu landen, an Long Covid zu erkranken oder schwer zu erkranken“. „Das ist so, das ist inzwischen der Wissensstand weltweit“, meinte er in Richtung der FPÖ-Abgeordneten, die mit Zwischenrufen auffielen.

Rauch verwies auf Portugal

In Portugal sorgten die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 für einen starken Anstieg der Zahlen. Es sei, stellte Rauch fest, also „notwendig, mit einem gewissen Ausmaß an Vorsicht mit der Situation umzugehen, bei allen Wünschen nach Normalität und Beendigung der Pandemie“. Deshalb bereite sich das Ministerium auch mit einem Maßnahmenplan „seriös“ auf die Herbst-Winter-Saison vor.

Gesundheitsminister Rauch (Grüne)

Was die – von der FPÖ auch in der Debatte immer wieder in Abrede gestellte – Überlastung des Gesundheitssystems betrifft, bekannte sich Rauch dazu, künftig verstärkt die Belastung des Personals in den Blick zu nehmen. Die Einschätzung der Coronavirus-Lage müsse sich verstärkt daran bemessen, wie es dem Personal in Krankenhäusern, Pflege- und Altersheimen geht, „ob dort die Arbeit noch bewältigbar ist“.

FPÖ verlangt Aufhebung des Impfpflichtgesetzes

Aufs Tapet gebracht hatte das Thema das im Vorjahr von rund 269.000 Österreichern und Österreicherinnen – das waren 4,23 Prozent der Stimmberechtigten – unterstützte Volksbegehren „Impfpflicht: Striktes NEIN“. Mitgetragen wurde diese Forderung nur von der FPÖ.

Eine Reihe freiheitlicher Redner und Rednerinnen verlangte die Aufhebung des Impfpflichtgesetzes – unter Kritik am Eingriff in die Grundrechte und Hinweisen auf eine beschränkte („bestenfalls nur vor schweren Krankheitsverläufen schützende“) Wirkung sowie Zweifeln an der Sicherheit der Impfung.

FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak stellte sich die Frage, ob man eine „allgemeine Impfpflicht“ benötige, und beantwortete sie mit Blick auf Rauch gleich selbst: „Nein, wir brauchen sie nicht.“ Er verwies darauf, dass sich alle Parteien seit Beginn der Pandemie gegen eine Impfpflicht ausgesprochen hätten. Dass man sie dann einführen wollte, sei ein „Vertrauensbruch“ und „unehrlich“.

Warten auf Expertengruppe

Anders reagierten freilich die anderen Parteien. Das Volksbegehren „zielt darauf ab, mit vorhandenen Ängsten der Menschen zu spielen“, sagte Mandatar Ralph Schallmeiner (Grüne). Seitens NEOS fand Gerald Loacker das von den Proponenten geübte „Spiel mit direktdemokratischen Instrumenten“ spannend – sie hatten nämlich auch eine Pro-Impfpflicht-Initiative aufgelegt, die unter den 100.000 für die Parlamentsbehandlung nötigen Unterschriften blieb.

FPÖ-Gesundheitssprecher Kaniak

SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher ging mit der FPÖ ins Gericht – vor allem für die Empfehlung von Ivermectin als Coronavirus-Medikament. Dafür sei eine Entschuldigung angebracht, stellte er fest. Josef Smolle (ÖVP) strich hervor, dass das Impfpflichtgesetz ein „Rahmengesetz“ sei und vierteljährlich entschieden werde, ob die Angemessenheit noch gegeben ist. Dafür wurde eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt – und kommende Woche steht die nächste Entscheidung an, ob das Gesetz ausgesetzt bleibt.

Edtstadler geht von Aussetzung aus

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) war schon Ende April davon ausgegangen, dass die Kommission auch in ihrem Bericht Ende Mai eine weitere Sistierung empfehlen wird. Sie äußerte außerdem die Hoffnung, dass die Regierung die Impfpflicht nie operativ stellen müsse. Nach den ersten Impfungen im Frühjahr 2021 flaute der Andrang schnell ab. Impfkampagnen der ÖVP-Grünen-Regierung führten zu keiner Trendumkehr.

Unter Fachleuten gibt es unterdessen schon länger Diskussionen über Alternativen zu einer allgemeinen Impfpflicht. Epidemiologin Eva Schernhammer, die auch der Expertenkommission angehört, tritt etwa für eine Impfpflicht im medizinischen Bereich und in der Altenpflege ein.

Die Leiterin der Bioethikkommission, Christiane Druml, fordert eine Konzentration auf Gruppen wie Gesundheitsberufe, Personen ab 60 Jahren sowie Risikopatienten und -patientinnen aller Altersgruppen. Auch Virologin Dorothee von Laer hat vorgeschlagen, die Impfpflicht auf über 60-Jährige zu beschränken. Gesundheitsminister Rauch hat ein Herausgreifen einzelner Gruppen allerdings bisher abgelehnt.