Vogelperspektive von einem Strand in Addu-Atoll
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Umweltdesaster

Sandabbau bedroht Malediven-Atoll

Auf den Malediven sorgt ein geplantes Projekt zur Landgewinnung für Aufruhr. Damit das Addu-Atoll künftig nicht Opfer der steigenden Meeresspiegel wird, soll Sand aus Lagunen abgetragen und andernorts aufgeschüttet werden. Während die Regierung neben einer langfristigen Perspektive für den Tourismus auch mit Küstenschutz argumentiert, befürchten Umweltschützer eine Zerstörung des Ökosystems.

Bis zu fünf Millionen Kubikmeter Sand sollen aus einer Lagune in der Mitte der sechs Inseln des Addu-Atolls ausgebaggert werden. Auf den neu aufgeschütteten Flächen sollen dann unter anderem vier neue Inseln mit Viersterneresorts entstehen. Das Projekt der maledivischen Regierung gebe der nächsten Generation Land und der Wirtschaft der Inseln eine langfristige Perspektive, so der Tenor von Befürwortern des Projekts. Denn tief liegende Inselgruppen wie jene der Malediven werden bei einem Anstieg der Meeresspiegel als besonders gefährdet eingestuft.

„Addu ist das zweitgrößte besiedelte Gebiet der Malediven. Es braucht einen wirtschaftlichen Wandel, und es braucht Land“, sagte Ali Nizar, Bürgermeister von Addu City, dem „Guardian“. In den letzten 20 Jahren habe es insgesamt nur drei derartige Projekte gegeben, mit dem „Addu Development Project“ könne Land für die nächsten 50 bis 100 Jahre gesichert werden.

Karte zeigt die geplanten Maßnahmen auf dem Addu-Atoll auf den Malediven
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147,1 Millionen US-Dollar (137,5 Mio. Euro) kostet das Landgewinnungsprojekt, das eine indische Bank finanzieren soll

Man habe sich die Entscheidung in Hinblick auf die mutmaßlichen Umweltschäden, die durch die Baggerarbeiten entstehen, aber nicht leicht gemacht. „Jedes Projekt würde der Umwelt Schaden zufügen. Darum müssen wir Maßnahmen ergreifen, um diesen Schaden zu minimieren“, so Nizar. Ein einziges großes Projekt würde dem Addu-Atoll, das 2020 zum UNESCO-Reservat erklärt wurde, zudem weniger schaden als mehrere kleine.

„Irreversible Schäden“ für Seegraswiesen und Korallen

Das sehen Umweltorganisationen und ein lokales Zivilgericht jedoch anders. Die Seegraswiesen und Mangrovenwälder in den Lagunen des Atolls nehmen nicht nur CO2 auf und sind deshalb wichtig fürs Klima – Einheimische betreiben dort auch Tauchtourismus und Fischfang. Laut einer Umweltverträglichkeitsprüfung könnte das Projekt zur Urbarmachung zu „langfristigen, irreversiblen Schäden“ in dem Gebiet führen.

So könnten etwa Korallen und Seegraswiesen in großem Ausmaß verschüttet werden. Eine Konsequenz der Baggerarbeiten seien auch aufgewirbelte Sedimente, die „die nahe gelegenen Ökosysteme ersticken und ihre Fähigkeit, sich langfristig zu erholen, beeinträchtigen“. Das hätte wiederum Auswirkungen auf die örtliche Fischerei und Delfine. Die Umweltauflagen, die das Bauunternehmen einzuhalten habe – wie etwa die des Einsatzes nachhaltiger Techniken und die Schaffung neuer Korallen –, reichten nicht aus.

Baggerfirma verweist auf Klimaanpassungsmaßnahmen

Der Direktor für Baggerarbeiten, Niels de Bruijn, verteidigte das Projekt mit dem Argument, dass es den Menschen vor Ort dabei helfen würde, Häuser zu bauen und touristisches Angebot zu schaffen. „Selbst wenn wir alle Pariser Klimaziele erreichen, wird der Meeresspiegel trotzdem steigen“, so de Bruijn. „Bei der Klimaanpassung geht es also darum zu sehen, was wir tun können, um den Menschen zu helfen und sie vor dem Klimawandel zu schützen.“ Ähnliche Klimaanpassungsstrategien seien auch in Bali oder auf den Bahamas zu erwarten.

Boot spray-t Sand auf das Ufer
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Viele kleine Inselstaaten investieren in Sandabbauprojekte, um Land und damit auch Touristen zu sichern

Die Antikorruptionsorganisation Transparency Maldives bezweifelt laut „Guardian“, dass die geplanten Inseln einen direkten Nutzen für die Menschen vor Ort hätten und deren Wohnprobleme lösten. „Die zusätzlichen Inseln, die zurückgewonnen werden, sind für die Entwicklung des Tourismus bestimmt und sollen den Reichen und der Elite zur Verfügung gestellt werden, damit sie dort Geschäfte aufbauen können“, sagte etwa eine Mitarbeiterin der Organisation.

Expertin: Strategie hat Vor- und Nachteile

Laut Jayeeta Gupta, Professorin für Umwelt und Entwicklung im globalen Süden an der Universität von Amsterdam, ist das Projekt im Addu-Atoll keine Ausnahme. Da das Risiko für einen Anstieg des Meeresspiegels immer mehr zunehme, investierten viele kleinere Inselstaaten in große Sandabbauprojekte.

Diese Strategie sei sowohl positiv als auch negativ zu bewerten, sagte sie gegenüber dem „Guardian“. Denn einerseits würden zwar Entwicklungspotenzial und Anpassungsfähigkeiten der Inseln erhöht, gleichzeitig jedoch auch neue Probleme geschaffen werden – wie etwa die sinkende Qualität der Korallen, die durch derartige Projekte in Mitleidenschaft gezogen werden.

„Viele importieren auch Arbeitskräfte unter Bedingungen, die nicht den grundlegenden Arbeitsschutznormen entsprechen“, so Gupta. „Auf der anderen Seite versuchen diese Länder, die enormen Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen, indem sie ihre kurzfristigen Einnahmen maximieren, da ihre langfristige Zukunft nicht gesichert ist.“

Ein Ressort auf den Malediven aus der Vogelperspektive
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Die Inseln der Malediven liegen bereits jetzt im Schnitt nur eineinhalb Meter über dem Wasser

Offener Brief an ehemaligen Präsidenten

In einem offenen Brief an den aktuellen Parlamentssprecher und ehemaligen Präsidenten der Malediven, Mohamed Nasheed, fordern Organisationen rund um Transparency Maldives die Ergreifung dringender und sofortiger Maßnahmen, „um dieses zerstörerische Projekt zu stoppen“. Zudem sollten sich der Ausschuss für Umwelt und Klimawandel sowie der Ausschuss für Menschenrechte und Gleichstellungsfragen genauer mit den Auswirkungen des Projekts befassen.

Nasheed trat in den vergangenen Jahren bereits mit medienwirksamen Aktionen vehement dafür ein, bei den Zielen zur Reduktion der globalen Erwärmung „keine Kompromisse einzugehen“. 2009 hielt er etwa eine Kabinettssitzung auf dem Meeresgrund ab, um auf die Lage der Malediven aufmerksam zu machen. „Ich denke, dass 1,5 Grad wieder und wieder gefordert werden und niemals verlassen werden dürfen. Alles, was über 1,5 Grad liegt, wird die Malediven nicht mehr erreichen. Wir können keinen Selbstmordpakt unterschreiben“, sagte er gegenüber dem „Guardian“.