Sicherheitskräfte in einem Lager
AP/Mark Schiefelbein
Uiguren interniert

Datenleak belegt chinesische Unterdrückung

Ein internationales Medienkonsortium hat kurz vor dem Besuch der UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet in der Provinz Xinjiang Belege für die Masseninternierung von Uiguren in China veröffentlicht. Fotos aus dem Inneren, geheime Reden und Behördenweisungen zeigten, dass es sich bei den Lagern nicht wie von China behauptet um „berufliche Fortbildungseinrichtungen“ handle, erklärten an der Recherche beteiligte Medien.

Das Konsortium spricht von zehn Gigabyte an als „vertraulich“ oder „intern“ klassifizierten chinesischen Regierungsdaten. Insgesamt soll der Datensatz Informationen von 300.000 durch die Behörden registrierte Chinesen, das Gros davon Uiguren, enthalten. Die Uiguren stellen mit rund zwölf Millionen Menschen etwa die Hälfte der Einwohner Xinjiangs. Peking hat seit Jahren religiöse und kulturelle Praktiken sowie die Sprache der Uiguren im Visier.

Laut dem Bayerischen Rundfunk und dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ findet sich in dem Datensatz – den „Xinjang Police Files“ – auch eine bisher unbekannte Rede des ehemaligen KP-Chefs der Region Xinjiang aus dem Jahr 2017, in der es heißt, jeder Gefangene, der auch nur versuche, ein paar Schritte weit zu entkommen, sei „zu erschießen“.

Auf den von den Medien veröffentlichten Bildern sind Sicherheitskräfte mit Sturmgewehren zu sehen. Ein Foto zeigt einen Häftling in einem „Tigersessel“ – einer Foltervorrichtung, bei der die Beine überdehnt werden. Ein anderes zeigt einen mit einem Schlagstock bewaffneten Beamten. Auch Aufnahmen misshandelter Häftlinge wurden von den Medien veröffentlicht.

Luftbild von Tekes, China
AP/Mark Schiefelbein
Luftaufnahme von Tekes

„Spiegel“: Bilder aus Umerziehungslager in Tekes

„Der Ort, an dem diese Männer und Frauen fotografiert wurden, ist kein offizielles Hochsicherheitsgefängnis“, schreibt der „Spiegel“. „Die Bilder stammen aus einem Umerziehungslager in Tekes in der nordwestchinesischen Region Xinjiang, in der vor allem Uiguren weggesperrt werden.“

Außerdem werden drakonische Strafen dokumentiert. Der BR nennt mehrere Beispiele: „Ein Mann soll gemeinsam mit seiner Mutter eine Stunde lang eine Audiodatei gehört haben, in der es unter anderem um ‚religiöse Steuern‘ ging“ – das Strafausmaß? „20 Jahre wegen Vorbereitung einer terroristischen Handlung.“ Ein Mann, der 15 Tage in einem Fitnesscenter trainiert hatte, wurde zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Behörden werteten den Besuch als „Vorbereitung einer terroristischen Handlung“.

Peking ortet „antichinesische Kräfte“

Chinas Regierung sieht „antichinesische Kräfte“ hinter der Veröffentlichung. „Gerüchte und Lügen zu verbreiten kann die Welt nicht täuschen und die Tatsache nicht verdecken, dass Xinjiang eine friedliche, wohlhabende Gesellschaft und eine blühende Wirtschaft hat und die Menschen in Frieden und Glück leben und arbeiten“, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin vor der Presse in Peking.

Die chinesische Botschaft in den USA erklärte indes nur, die Maßnahmen in Xinjiang richteten sich gegen terroristische Bestrebungen, es gehe nicht um „Menschenrechte oder eine Religion“. Eine ausführliche Anfrage ließ China den Medien zufolge bisher unbeantwortet.

Anthropologe: Daten widerlegen „Staatspropaganda“

Der Datensatz wurde der Mitteilung zufolge dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz zugespielt. Dieser ist ein bekannter China-Forscher, der schon früh auf die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang hinwies und 2021 von Peking mit Sanktionen belegt wurde. Er teilte die Daten, die er laut „Spiegel“ offenbar von einem Hacker erhalten hatte, mit insgesamt 14 westlichen Medien. Neben dem „Spiegel“ und BR waren auch die BBC, „Le Monde“, „El Pais“ und das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) beteiligt.

„Nach Angaben des Forschers stellte die Quelle keinerlei Bedingungen, auch habe es keine Bezahlung gegeben“, heißt es im „Spiegel“ auch. Das Bildmaterial sei „einzigartig“ und widerlege „die chinesische Staatspropaganda“, dass es sich um „normale Schulen“ handle, wird Zenz vom Bayerischen Rundfunk zitiert. Um die Daten zu prüfen, sprachen die Medien mit Exiluiguren, deren Angehörige seit Jahren verschwunden waren. Zudem wurden GPS-Daten aus einem Teil der Fotos ausgelesen sowie Gebäudeaufnahmen mit Satellitenbildern abgeglichen.

Lager in der chinesischen Uigurenregion
AP/Mark Schiefelbein
China wird beschuldigt, mehr als eine Million Uiguren und andere muslimische Minderheiten in Xinjiang interniert zu haben

Scharfe Kritik aus Deutschland und Österreich

Die Veröffentlichung löste auch im Ausland scharfe Kritik aus. Die neuen Datenlecks „entlarven die chinesische Propaganda und offenbaren ein Bild des Schreckens“, sagte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des deutschen Bundestages, Renata Alt (FDP). „China muss für diese Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden“, forderte Alt.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verlangte eine transparente Aufklärung der Vorwürfe im Zusammenhang mit den Enthüllungen. Bei einer einstündigen Videokonferenz mit ihrem chinesischen Amtskollegen Wang Yi habe die Ministerin am Dienstag „auch die schockierenden Berichte und neuen Dokumentationen über schwerste Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang“ angesprochen, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin mit.

In Österreich zeigte sich die außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, entsetzt: Das Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen, das sich in den veröffentlichten Dokumenten zeigt, sei „erschreckend“. Sie verlangte in einer Aussendung „entschiedene diplomatische Reaktionen sowohl im Rahmen der Vereinten Nationen als auch auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene. Angesichts der Deutlichkeit der Menschenrechtsverletzungen ist auf EU-Ebene eine Verschärfung der Sanktionen zu verhandeln.“

Bachelet reist nach Xinjiang

Bachelet wird voraussichtlich am Dienstag und Mittwoch die Städte Urumqi und Kashgar in Xinjiang besuchen. Die USA hatten Zweifel daran geäußert, dass Bachelet ein „unmanipuliertes“ Bild der Lage erhalten würde. „Statt Menschenrechtsverbrechen aufzuklären, geht sie das immense Risiko ein, durch ihren Besuch zum Vehikel der chinesischen Propaganda zu werden“, sagte die aus Österreich stammende Geschäftsführerin der Tibet Initiative Deutschland (TID), Tenzyn Zöchbauer.

2017 war in China die Verordnung zur Entradikalisierung in Kraft getreten. Zurschaustellungen religiöser oder kultureller Zugehörigkeiten werden seitdem als extremistisch eingestuft. Die Regierung in Peking wird beschuldigt, seither mehr als eine Million Uiguren und andere muslimische Minderheiten in der Region im äußersten Westen des Landes in „Umerziehungslagern“ interniert zu haben.

Peking werden unter anderem Zwangssterilisierungen und Zwangsarbeit vorgeworfen. Außerdem sollen die Behörden kulturelle Stätten dem Erdboden gleichmachen. Die gesamte Region wird streng überwacht. Die USA, Kanada und die Niederlande sprechen von einem Genozid. China bestreitet die Vorwürfe vehement.