Vincent Lindon gratuliert Ruben Ostlund
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Filmfestival Cannes

Goldene Palme für „Triangle of Sadness“

Krieg und Starglamour, Hoch- und Populärkultur: Beim Festival an der Cote d’Azur prallten heuer die Realitäten besonders hart aufeinander. Der Hauptpreis der 75. Filmfestspiele geht – wie die vom französischen Schauspieler Vincent Lindon angeführte Jury am Samstagabend bekanntgab – an den Film „Triangle of Sadness“ des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund.

„Triangle of Sadness“ ist eine Satire auf die Welt von Influencern und Superreichen. Er spielt unter anderem auf einer Luxusjacht. Nachdem diese von Piraten gekapert wird, stranden ein paar der Schiffsreisenden auf einer Insel, wo die Hierarchien umgekehrt werden. Der Film, der sich im Wettbewerb um die Goldene Palme gegen 20 andere Wettbewerbsbeiträge durchsetzte, handelt von der Absurdität des Kapitalismus, Machtverhältnissen und von sozialer Ungleichheit.

„Wir hatten das Ziel, einen spannenden Film für das Publikum zu machen und zum Nachdenken anzuregen“, sagte Östlund, als er die mit hundert Diamanten besetzte goldene Trophäe entgegennahm. Der 48-jährige Regisseur hatte bereits 2017 mit seinem Film „The Square“ die Goldene Palme in Cannes gewonnen.

Schwedische Regisseur Ruben Ostlund
APA/AFP/Valery Hache
Für Ruben Östlund ist es die zweite Goldene Palme

Zar Amir Ebrahimi beste Schauspielerin

Mit dem Großen Preis der Jury, der zweitwichtigsten Auszeichnung des Festivals, wurden in diesem Jahr die französische Filmemacherin Claire Denis („Stars at Noon“) sowie der Belgier Lukas Dhont für „Close“ geehrt. Der Preis für die beste Regie ging an Park Chan-wook („Decision to Leave“).

„Triangle of Sadness“ holt Goldene Palme

In Cannes sind am Samstagabend die 75. Filmfestspiele zu Ende gegangen. Der Hauptpreis, die „Goldene Palme“, geht heuer bereits zum zweiten Mal an den schwedischen Regisseur Ruben Östlund. Er wird für die Satire „Triangle of Sadness“ geehrt.

Die iranische Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi nahm den Preis als beste Schauspielerin entgegen. Sie verkörpert in „Holy Spider“ von Ali Abbasi eine mutige Journalistin, die einem Serienmörder auf der Spur ist. Als bester Schauspieler wurde der Südkoreaner Song Kang-ho für seine Rolle in „Broker“ von Hirokazu Koreeda gewürdigt. Der Preis der Jury wurde an „Le Otto Montagne“ von Charlotte Vandermeersch und Felix Van Groeningen sowie zu gleichen Teilen an „EO“ von Jerzy Skolimowski vergeben.

Bereits am Vormittag hatte „All That Breathes“ von Shaunak Sen über die Rettung von Greifvögeln in Neu Delhi die Auszeichnung „L’Oeil d’Or“ für den besten Dokumentarfilm erhalten. Mit der Ehren-Palme wurde in diesem Jahr Hollywood-Star Forest Whitaker für sein Lebenswerk geehrt.

Spezialpreis für Brüder Dardenne

Die belgischen Filmemacher Jean-Pierre und Luc Dardenne wurden mit einem Spezialpreis ausgezeichnet worden. Die Auszeichnung werde speziell zu diesem Jubiläumsjahr vergeben, sagte Jury-Präsident Lindon. Die Dardenne-Brüder waren bereits mit vielen Filmen in Cannes eingeladen und gewannen zweimal den Hauptpreis Goldene Palme (1999: „Rosetta“, 2005: „Das Kind“). Dieses Jahr lief ihr Film „Tori and Lokita“ im Wettbewerb.

Das Werk erzählt von den jungen Migranten Tori und Lokita, die sich auf der Flucht kennengelernt haben und sich nun als Geschwister ausgeben, um Lokita (Joely Mbundu) einen Aufenthaltsstatus in Belgien zu ermöglichen. Doch die Behörden erkennen das nicht an, und Lokita läuft Gefahr, zurück zu müssen. Um Geld zu verdienen, arbeiten die beiden nachts als Drogenkuriere. Schließlich willigt Lokita in einen Job ein, der verhängnisvoll enden wird.

Festival im Clash der Realitäten

Bei der heurigen Festivalausgabe zeigte sich der Spagat des Megafilmfestivals noch deutlicher als sonst: Auf der einen Seite präsentierte sich Cannes als Hort des politisch hochbrisanten, kunstvollen Kinos, auf der anderen Seite als zentrale Präsentationsplattform für Unterhaltung. Hier erstmals wieder ein großes Staraufgebot – Julia Roberts, Anne Hathaway, Kristen Stewart, Sophie Marceau und Diane Kruger sowie die Filmemacher Paolo Sorrentino und Guillermo del Toro waren unter den Gästen –, dort die hereinbrechende Kriegsrealität, die den Glamour auf dem roten Teppich immer wieder konterkarierte.

Zur Eröffnung war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet worden. Auf dem Teppich folgten mehrere Protestaktionen, darunter die einer fast nackten Frau, die, bemalt mit der ukrainischen Flagge, gegen die Vergewaltigung von Kriegsopfern ein Zeichen setzte. Als einziger russischer Regisseur präsentierte der im Exil lebende Kirill Serebrennikow seinen Film „Tschaikowskis Frau“. „Nein zum Krieg“, rief er am Mittwoch nach der Vorstellung seines Films über die tragische Ehe des homosexuellen russischen Komponisten und erntete dafür tosenden Applaus beim Festival. Das offizielle Russland war heuer gänzlich ausgeladen worden.

Demonstrantin in Cannes
APA/AFP/Valery Hache
Eine der Protestaktionen auf dem roten Teppich: Eine fast nackte Frau setzte ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt an ukrainischen Frauen

Für Erschütterung sorgte die Doku „Mariupolis 2“ des im April bei den Dreharbeiten ermordeten litauischen Filmemachers Mantas Kvedaravicius. Der mit teils zittrigen Bildern gefilmte Vermächtnisfilm vermittelt eindrücklich die Realität im Krieg. Wie es ein Einwohner Mariupols darin in Worte fasst: „Es ist kein Witz, es ist der Tod.“ Auch ein spezieller Ehrenpreis gibt es mit Bezug zum Ukraine-Krieg: Dieser ging an den Minensuchhund Patron. Der Jack Russell Terrier stand bereits Anfang Mai in Kiew im Scheinwerferlicht, als er von Präsident Selenskyj mit einem Orden geehrt wurde.

„Top Gun“ und „Elvis“

Zum Kristallisationspunkt der „anderen“, populären Seite von Cannes wurde indes Tom Cruise, der mit der Fortsetzung des Fliegerspektakels „Top Gun“ von 1986 pompös gefeiert wurde: Dass zur Präsentation des ultimativen Festivalblockbusters tatsächlich die Kunstflugstaffel der französischen Luftwaffe über das Festspielhaus flog, während in Europa Angriffskrieg herrscht, sorgte für einiges an Kopfschütteln. Der pandemiebedingt mehrfach verschobene Film kam als nostalgisches Spektakel aber durchwegs positiv an.

Als Film außer Konkurrenz überzeugte allen voran Baz Luhrmanns Biopic „Elvis“. Bei der Europapremiere wurde Tom Hanks und das restliche Filmteam mit Standing Ovations und zehn Minuten Applaus bedacht – dem längsten des diesjährigen Festivals.

„Elvis“ erzählt die Geschichte des Musikers (als Elvis: der aufstrebende Hollywood-Schauspieler Austin Butler) aus der Perspektive seines zwielichtigen Managers Tom Parker (Tom Hanks). Mit vielen Liveauftritten, grellen Szenenwechseln und Splitscreens will der Film, so heißt es, dem fieberhaften Leben Presleys nahe kommen.

Marie Kreutzer mit ungewöhnlicher Sisi-Biografie

Aus österreichischer Sicht fiel die wichtigste Entscheidung bereits am Freitagabend. Die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps wurde für ihre Hauptrolle für den im Rahmen des ORF Film/Fernsehabkommens entstandenen Film „Corsage“ der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer in der Nebenschiene „Un certain regard“ ausgezeichnet. Kreutzers ungewöhnliche Sisi-Biografie erhielt bei der Aufführung minutenlangen, euphorischen Applaus: In dem Historiendrama gelingt der österreichischen Regisseurin ein unkonventioneller Blick auf eine Habsburger Monarchin in der Midlife-Crisis, erzählt in großen Bildern, mit bewusst gesetzten Interventionen und getragen vom Luxemburger Shootingstar Krieps.

Vicky Krieps in „Corsage“
Felix Vratny
In Marie Kreutzers „Corsage“ brilliert Vicky Krieps als alternde Kaiserin Sisi

Das berühmte Festival an der Cote d’Azur feierte in diesem Jahr schließlich auch seine 75. Ausgabe. Dazu fand am Dienstagabend eine Gala mit Stars wie Sophie Marceau, Kristen Stewart, Diane Kruger und Guillermo del Toro statt. „Kino ist nicht tot, Kino ist lebendig und wird nicht aussterben“, beschwor Festivalchef Thierry Fremaux dabei den Film für die große Leinwand. Das Festival konnte dieses Jahr ohne Maskenpflicht stattfinden. Vergangenes Jahr war es wegen der CoV-Pandemie in den Sommer verlegt worden, 2020 musste es coronavirusbedingt ausfallen.