Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdoğan
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Von NATO bis Inflation

Erdogan und seine vielen Baustellen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht unter Druck, will allerdings die Rolle der Türkei geopolitisch stärken. Zahlreiche politische Baustellen sind offen: Die USA, aber auch Russland kritisieren die kommende türkische Syrien-Offensive, dazu kommt die galoppierende Inflation – allein im Mai 74,5 Prozent. Für Verstimmung sorgte auch Erdogans Ablehnung der NATO-Beitritte Schwedens und Finnlands. Auch der Streit mit dem Nachbarn Griechenland flammte wieder auf. Die Umbenennung des Landes in der UNO kommt da als Ablenkung gerade recht.

Der innen- und wirtschaftspolitisch stark unter Druck stehende Präsident will sich mit seinen Positionen als starke, globale Führungspersönlichkeit profilieren – alles als Vorbereitung auf die Präsidentschaftswahl in einem Jahr. Doch einfach sind die aktuellen Schwierigkeiten nicht in den Griff zu bekommen.

Wirtschaftlich kommt die Türkei nicht vom Fleck. Die Inflation eilt weiter von Rekord zu Rekord: Die Verbraucherpreise zogen im Mai um 73,5 Prozent im Jahresvergleich an und erreichten damit den höchsten Stand seit fast 24 Jahren, wie aus am Freitag veröffentlichten Zahlen des Statistikamtes hervorging.

Markt in Istanbul
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Die Inflation setzt den Konsumentinnen und Konsumenten beim täglichen Einkauf zu

Preise als zentrales Politthema

Maßgeblich angeheizt wird die Teuerung durch die hohen Energie- und Lebensmittelkosten, die durch den Wertverfall der türkischen Lira zusätzlich in die Höhe getrieben werden. Verschärft wird die Lage durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine; Russland und die Ukraine sind für die Türkei für den Import von Energieträgern und Getreide wichtig.

Die hohen Verbraucherpreise sind in den vergangenen Monaten zu einem der wichtigsten Themen der türkischen Politik geworden. Die Zentralbank hatte trotz der galoppierenden Inflation im Land den Leitzins zuletzt erneut unverändert gelassen. Erdogan ist ein erklärter Gegner hoher Zinsen, die nach herrschender Meinung als probates Mittel im Kampf gegen die Teuerung gelten.

Präsidentenpalast in Ankara
Der riesige Präsidentenpalast in Ankara gilt als Machtsymbol Erdogans

Experten: Inflation tatsächlich bei 160,76 Prozent

Die Türkei erlebt bereits seit Anfang 2017 nahezu durchgehend Teuerungsraten im zweistelligen Bereich. Ein Jahr vor der geplanten Präsidentschaftswahl werfen Kritiker aus den Reihen der Opposition und auch einige Ökonomen dem nationalen Statistikamt sogar vor, das Ausmaß der Inflation zu beschönigen.

Unabhängige türkische Wirtschaftswissenschaftler der Inflation Research Group erklärten am Freitag, dass die Inflation im Mai im Jahresvergleich tatsächlich 160,76 Prozent erreicht habe – und damit mehr als das Doppelte der offiziellen Rate.

USA und Russland wegen Syrien-Offensive besorgt

Auch außenpolitisch sind Konflikte angesagt. Die USA, aber auch Russland sind besorgt über die von der Türkei angekündigte Offensive gegen Kurden in Nordsyrien. Dadurch könnten dort stationierte US-Truppen gefährdet und die Region destabilisiert werden, warnte die US-Regierung am Donnerstag.

„Wir haben mit der türkischen Regierung gesprochen und uns gegen militärische Maßnahmen auf der syrischen Seite der Grenze gestellt“, so die US-Botschafterin bei der UNO, Linda Thomas Greenfield, in der türkischen Stadt Hatay nahe der syrischen Grenze.

Nichts sollte getan werden, um den Waffenstillstand zu brechen. Die von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), zu denen kurdische Kräfte gehören, warnten, eine Offensive könne eine humanitäre Krise auslösen. Zudem könne der Kampf gegen die Extremistengruppe Islamischer Staat gefährdet werden.

Türkische Panzer fahren auf syrischer Autostraße
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Türkische Panzer in Syrien 2020

Sicherheitszone soll geschaffen werden

Auch Russland forderte die Türkei zu Zurückhaltung in Syrien auf. „Wir hoffen, dass Ankara von Maßnahmen absieht, die zu einer gefährlichen Verschlechterung der ohnehin schon schwierigen Lage in Syrien führen könnten“, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, am Donnerstag. Die Türkei würde mit einer „Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität Syriens“ die Spannungen in dem Land anheizen.

Ziel der Türkei sei die Schaffung einer 30 Kilometer breiten Sicherheitszone entlang der türkischen Südgrenze, hatte Erdogan am Mittwoch angekündigt. In den vergangenen Tagen habe die Gewalt in dem Grenzgebiet zugenommen, sagten Informierte auf beiden Seiten der Nachrichtenagentur Reuters. Es wurden jedoch keine großen militärischen Bewegungen bemerkt.

NATO-Aufnahme Schwedens und Finnlands blockiert

Die Türkei bezeichnet kurdische Milizen in Syrien und im Irak als Terroristen. Die Türkei blockiert derzeit die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die NATO, weil sie beiden Ländern die Unterstützung der PKK und der YPG vorwirft. „Wer Waffen und Ausrüstung, die sie der Türkei trotz Bezahlung vorenthalten, gratis an die Terrororganisation übergibt, verdient den Titel eines Terrorstaates, nicht eines Rechtsstaates“, sagte Erdogan am Mittwoch.

Türkische F-16 fliegt
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Erdogan hätte gerne F-16-Kampfjets von den USA

Schwedens Außenministerin Ann Linde dementierte unterdessen, dass ihr Land schwedische Panzerabwehrwaffen an Kurden geliefert habe. Unter Verweis auf eine von ihr auf Twitter verbreiteten Erklärung der schwedischen Behörde für strategische Produkte (ISP) schrieb sie, Schweden habe keine Exportlizenzen für militärische Ausrüstung für kurdische Einheiten bewilligt.

F-16-Kampfjets als Ziel

NATO-Partner wie Deutschland und andere EU-Länder wie Schweden haben aus Protest gegen eine Offensive der Türkei gegen die YPG in Nordsyrien 2019 Rüstungslieferungen in das Land teilweise gestoppt. Die Türkei will zudem von den USA F-16-Kampfjets kaufen – in Washington war ein möglicher Deal zuletzt aber politisch umstritten, denn Washington setzte das Geschäft aus, nachdem Ankara ein russisches S-400-Raketenabwehrsystem gekauft hatte.

Erdogan benutzt nun offenbar den NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands als Verhandlungsmasse. Die NATO will deshalb Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge wegen des türkischen Vetos in den nächsten Tagen ein Treffen in Brüssel mit hochrangigen Vertretern aus Schweden, Finnland und der Türkei einberufen.

Skyline von Ankara
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Ein Blick über die türkische Hauptstadt Ankara

Erdogan kündigte Abkommen mit Athen

Zusätzlich gibt es Streit mit dem NATO-Partner Griechenland. Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hatte Mitte Mai eine Rede in Washington gehalten, in der er die Türkei kritisiert hatte, ohne sie direkt zu erwähnen. Regierungsnahe Medien in der Türkei hatten die Rede als Aufforderung an die USA interpretiert, den Wunsch des NATO-Partners Türkei nach der Lieferung von F-16-Kampfjets abzulehnen.

Erdogan kündigte Anfang Juni ein Abkommen mit Athen auf. Es werde „keine bilateralen Treffen mehr“ mit führenden griechischen Politikern geben, da diese „nicht ehrlich“ seien, sagte Erdogan am Mittwoch in einer Rede vor der Fraktion seiner Partei AKP im türkischen Parlament.

„Wir haben es jetzt satt“

Er habe am Dienstag ein seit 2010 bestehendes Abkommen mit Griechenland über gemeinsame strategische Beratungen „aufgekündigt“, sagte der türkische Staatschef. Das Abkommen sah regelmäßige Treffen zwischen hochrangigen Vertretern beider Staaten vor, um die Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.

Über Mitsotakis sagte Erdogan, ohne ihn namentlich zu erwähnen: „Er reist in die USA, er spricht im Kongress gegen uns. Wir haben das jetzt satt.“ In Anspielung auf Mitsotakis sagte Erdogan weiter: „Wenn du ehrlich bist, empfangen wir dich gerne, aber wenn du es nicht bist, dann tut es mir leid.“

Ukraine-Krieg: Ankara in Vermittlungsrolle

In Sachen Ukraine-Krieg will die Türkei weiter eine Vermittlerrolle einnehmen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow wird am Mittwoch zu Gesprächen in der Türkei erwartet. Dabei solle es unter anderem um die Errichtung eines sicheren Exportwegs im Schwarzen Meer für landwirtschaftliche Produkte aus der Ukraine gehen, hatte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Dienstag gesagt. Der blockierte Getreideexport hatte die Preise auf dem Weltmarkt zuletzt deutlich steigen lassen. Die Türkei ist stark abhängig von Gas und Weizen aus der Ukraine und Russland.

UNO: Türkiye statt Turkey

Eine erfreuliche Meldung gab es indes für Erdogan. Die UNO bestätigte den Namenswechsel der Türkei: Das Land wird ab sofort in allen Sprachen Türkiye genannt. Die englische Bezeichnung Turkey werde auf Bitten der Regierung in Ankara nicht mehr verwendet, teilte UNO-Sprecher Stephane Dujarric am Donnerstag mit. Die Türkei habe am Mittwoch einen entsprechenden Antrag bei den Vereinten Nationen gestellt.

Cavusoglu hatte am Dienstag ein Foto getwittert, das zeigte, wie er den an UNO-Generalsekretär Antonio Guterres gerichteten Brief unterzeichnet. Die Änderung sei Teil der von Erdogan gestarteten Initiative zur „Steigerung des Markenwerts unseres Landes“, so Cavusoglu.

Mit der offiziellen Umbenennung auf internationalem Parkett will die Türkei außerdem die englische Bezeichnung Turkey, die auch Truthahn bedeutet, loswerden. Bei der Kennzeichnung seiner Produkte setzt das Land bereits seit Längerem auf „Made in Türkiye“ anstatt auf „Made in Turkey“. „Die Namensänderung mag einigen albern erscheinen, aber sie versetzt Erdogan in die Rolle des Beschützers, der den internationalen Respekt für das Land sichert“, sagte der in den USA lehrende Historiker Mustafa Aksakal der „New York Times“.