Umfang eines Kindes wird gemessen
Reuters/Feisal Omar
Ukraine-Krieg

Ringen um Hungerhilfe für Globalen Süden

Der Ukraine-Krieg verschärft die durch Klimakatastrophe und Pandemie ohnehin höchst prekäre Versorgungssituation in vielen Länder im Globalen Süden zusätzlich. Die UNO befürchtet eine humanitäre Katastrophe und verhandelt mit Russland, aber auch mit Belarus, um dringend nötige Getreidelieferungen möglich zu machen. Der Kreml gibt sich gesprächsbereit – macht aber deutlich, dass dafür Gegenleistungen erwartet werden.

Etwa 1,4 Milliarden Menschen könnten weltweit von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein, wenn Exporte von Getreide aus der Ukraine und Dünger aus Russland weiter ausblieben, sagte Amin Awad, UNO-Krisenkoordinator für die Ukraine, am Freitag. Es sei deshalb unbedingt notwendig, dass die Handelsrouten über das Schwarze Meer nicht mehr blockiert werden.

„Wenn die Öffnung der Häfen scheitert, wird das Hunger, Destabilisierung und Massenmigration auf der ganzen Welt zur Folge haben“, sagte Awad, der aus Kiew zu einer Onlinepressekonferenz der Vereinten Nationen zugeschaltet war. Die UNO bemühe sich darum, die „verheerenden Auswirkungen“ des Krieges auf die Lebensmittelsicherheit zu begrenzen, indem sie sich um ein Ende der Blockade des wichtigen Getreide- und des Rohstoffhandels bemühe.

Getreideexporte: UNO vorsichtig optimistisch

Der UNO-Koordinator für die Ukraine hat sich vorsichtig optimistisch zu den Verhandlungen mit Russland über Getreideausfuhren aus ukrainischen Häfen geäußert. Die Gespräche seien „sehr, sehr komplex“, sagte Amin Awad in Genf. Awad äußerte die Hoffnung, dass insbesondere Länder, die besonders von einer globalen Nahrungsmittelkrise betroffen wären, entscheidenden Druck auf Russland ausüben könnten.

Hungerkrise als Druckmittel

Die Ukraine ist einer der größten Getreideexporteure weltweit. Nach dem Beginn des von Kreml-Chef Wladimir Putin befohlenen Angriffskriegs gegen das Nachbarland und der Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen durch russische Kriegsschiffe sind die globalen Lebensmittelpreise deutlich gestiegen. Westliche Politiker werfen Russland vor, auf eine Hungerkrise zu spekulieren und sie als Druckmittel einzusetzen, damit der Westen die Sanktionen abschwächt.

Essensausgabe im Jemen
APA/AFP/Khaled Ziad
Millionen Menschen sind auf die die Unterstützung angewiesen

Moskau weist diese Anschuldigungen zurück, argumentiert aber damit, dass die Sanktionen für die Schwierigkeiten beim Getreideexport verantwortlich seien. Frachtschiffe, die russisches Getreide beförderten, fielen unter die Strafmaßnahmen, so Außenminister Sergej Lawrow bei einem Besuch in Saudi-Arabien unlängst.

Kiew wirft Moskau jedoch vor, zusätzlich Getreidevorräte aus den besetzten Gebieten zu stehlen. Fast 500.000 Tonnen Getreide hätten russische Truppen illegal aus Charkiw, Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk exportiert. Speziell über den von russischen Truppen eroberten Hafen Mariupol sollen größere Mengen verschifft worden sein, hatte es zuletzt geheißen. Gleichzeitig bestätigte der Vizechef der prorussischen Militärverwaltung des besetzten Schwarzmeergebiets Cherson, Kirill Stremoussow, dass die dortige Getreideernte des Vorjahres nach Russland verfrachtet werde, um „Platz für neues Getreide zu schaffen“.

Ausgebrannter Panzer auf Feld in der Ukraine
Reuters/Edgar Su
Die Getreideernte in der Ukraine wird laut Schätzungen in dieser Saison um 40 Prozent niedriger ausfallen

Afrikanische Union: Putin bereit zu Getreideexport

Nach Angaben aus dem Kreml sind die blockierten Getreidelieferungen aus der Ukraine eines der wichtigsten Themen der diplomatischen Initiative Moskaus in den nächsten Tagen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bestätigte heute laut der Nachrichtenagentur Interfax, dass das Thema sowohl beim Treffen von Putin mit seinem Amtskollegen aus Senegal, Macky Sall, als auch bei der Türkei-Reise von Außenminister Sergej Lawrow ganz oben auf der Agenda stehe.

Putin, der Sall am Freitag im russischen Schwarzmeer-Kurort Sotschi als Vorsitzenden der Afrikanischen Union (AU) empfing, hätte „ausreichende Erklärungen seiner Sicht auf die Situation mit dem ukrainischen Getreide“ gegeben und „unseren afrikanischen Gästen und Freunden die faktische und reale Lage“ dargestellt, sagte Peskow.

Sall sagte nach dem Treffen mit Putin, Russland sei weiterhin bereit, den Export von Weizen und Düngemitteln auf den afrikanischen Kontinent zu gewährleisten. Nach Angaben des Vorsitzenden der Kommission der AU, Moussa Faki Mahamat, der auch an dem Treffen teilnahm, ist die Aussetzung der Getreideblockade notwendig, um die verheerenden wirtschaftlichen und sozioökonomischen Auswirkungen einer wachsenden Lebensmittel- und Energiekrise abzufangen.

Belarus knüpft Hilfe an Bedingungen

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko zeigte sich unterdessen grundsätzlich offen für einen Export von ukrainischem Getreide über sein Land, forderte aber zugleich ein Entgegenkommen bei Sanktionen. Ukrainisches Getreide könne über Belarus zu Häfen der baltischen Staaten transportiert werden, wenn auch belarussische Güter von dort aus weiterverschifft würden, sagte Lukaschenko laut der heimischen Nachrichtenagentur Belta. Darüber habe Lukaschenko auch mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres bei einem Telefonat am Freitag gesprochen.

Die für den Weltmarkt wichtigen Getreidelieferungen der Ukraine, die zumeist überwiegend über die Schwarzmeerhäfen laufen, werden von den russischen Streitkräften weitgehend blockiert. Belarus ist als enger Verbündeter Russlands ebenfalls schwer von den westlichen Sanktionen betroffen.

Nehammer: „Gebot der Stunde“

„Was wir jetzt vor allem brauchen, ist, Getreide aus der Ukraine zu bekommen“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag bei der GLOBSEC-Konferenz in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. „Der russische Angriff auf die Ukraine hat dramatische Auswirkungen für Europa und den Rest der Welt. Man müsse alles daransetzen, dass es zu einem raschen Ende der Kampfhandlungen und zu Friedensverhandlungen kommt.“

Dafür werde er auch weiterhin das „Gespräch mit allen Seiten suchen“, darunter auch „trotz aller Differenzen“ mit Putin, so Nehammer in einer Podiumsdiskussion mit dem slowakischen Gastgeber, Ministerpräsident Eduard Heger. „Es ist zudem ein Gebot der Stunde, die weltweite Ernährungssicherheit sicherzustellen. Millionen Tonnen ukrainischer Weizen, Mais und Ölsaaten liegen bereit zum Export und müssen rasch außer Landes gebracht werden, um Hungersnöte in anderen Teilen der Welt, vor allem Afrika, zu verhindern“, sagte Nehammer. Österreich werde weiterhin seinen Beitrag dazu leisten.

„Wir müssen helfen, die Häfen zu befreien, die Sicherheit der Ukraine zu garantieren. Das ist für uns eine große Herausforderung, die höchste Priorität gleich nach Waffenlieferungen“, sagte Heger. Denn Ernährungssicherheit sei ein weltweites Problem. „Wir leben in sehr turbulenten Zeiten – die Krise war zunächst lokal, wurde dann regional und wird jetzt global.“ Die Ernährungskrise sei „die erste Stufe einer Sicherheitskrise, die wir nicht haben wollen“.

Notstand im Tschad ausgerufen

Besonders katastrophal ist die Ernährungssituation im Tschad, wo am Donnerstag der Notstand ausgerufen wurde. „Mit diesem Erlass wird Nahrungsmittelnotstand ausgerufen“, erklärte der Vorsitzende der in dem afrikanischen Land regierenden Militärjunta, Mahamat Idriss Deby Itno. Er verwies auf die „ständige Verschlechterung der Nahrungsmittel- und Ernährungslage“ und warnte vor „wachsender Gefahr für die Bevölkerung“, wenn von nationalen Akteuren und internationalen Partnern keine humanitäre Hilfe geleistet werde.

Die UNO warnt, dass im Tschad 5,5 Millionen Menschen – mehr als ein Drittel der Bevölkerung – in diesem Jahr auf humanitäre Hilfe angewiesen sein könnten. Das Welternährungsprogramm schätzte schon im März, dass 2,1 Millionen Menschen im Tschad ab Juni von „schwerer Ernährungsunsicherheit“ betroffen sein werden.