Der belgische König Philippe
Reuters/Johanna Geron
Verbrechen in Kolonialzeit

Belgischer König besucht DR Kongo

Belgiens König Philippe hat am Dienstag einen historischen Besuch in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo), einer einstigen belgischen Kolonie, angetreten. Zusammen mit seiner Frau Mathilde und einer Regierungsdelegation wurde er auf dem Flughafen nahe der Hauptstadt Kinshasa von Präsident Felix Tshisekedi empfangen. Die sechstägige Reise hat große symbolische Bedeutung. Philippe hatte sich vor zwei Jahren für die in der Kolonialzeit begangenen Verbrechen seines Landes entschuldigt.

Ursprünglich sollte der Besuch des seit 2013 regierenden Königs bereits im Juni 2020 anlässlich des 60. Jahrestags der Unabhängigkeit der DR Kongo stattfinden, wurde aber aufgrund der CoV-Pandemie verschoben. Eine weitere Verschiebung fand kurz vor dem neuen Termin im März 2022 aufgrund des Ukraine-Krieges statt. Zuletzt hatte Philippes Vater Albert II. im Jahr 2010 die ehemalige Kolonie besucht.

Das Gebiet der heutigen Demokratischen Republik Kongo in Zentralafrika stand zwischen 1885 und 1908 im Privatbesitz von Leopold II., König der Belgier. Die Kolonie war etwa 70-mal so groß wie Belgien. Leopold II. war von 1865 bis 1909 König und Bruder von Philippes Ururgroßvater.

Karte von der Demokratischen Republik Kongo
Grafik: APA/ORF.at

Bis zu zehn Millionen Tote geschätzt

Historikern und Historikerinnen zufolge wurden Millionen Menschen getötet, verstümmelt oder starben an Krankheiten, während sie auf den Kautschukplantagen des Königs unter Zwang und extrem ausbeuterischen Bedingungen arbeiteten. Gräuel wie das Abschneiden der Hände von „nicht ausreichend produktiven Arbeitern“ etwa sind gut dokumentiert. Insgesamt sollen nach Schätzungen acht bis zehn Millionen Kongolesen unter der Herrschaft Leopolds ums Leben gekommen sein – knapp die Hälfte der damaligen Bevölkerung.

Der belgische König Leopold II.
Public Domain
Der belgische König Leopold II.

1908 musste der König das Gebiet unter nationalem und internationalem Druck aufgrund der an die Öffentlichkeit gelangten Verbrechen in der Kolonie („Kongogräuel“) an den belgischen Staat abtreten. Die meisten Historiker und Historikerinnen stimmen darin überein, dass die Gewalt damit nicht aufhörte. Noch bis zum 30. Juni 1960 gehörte das Land zum belgischen Kolonialreich. Bis zur Unabhängigkeit galt ein System der strikten Trennung von Schwarzen und Weißen ähnlich der südafrikanischen Apartheid.

Unrühmliche Rolle auch nach Unabhängigkeit

Die Kolonialzeit mit ihren Gräueltaten war in Belgien lange ein Tabuthema. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass das Land diese Zeit noch nicht wirklich überwunden hat. Eine breite kritische Aufarbeitung fehlt noch.

Doch auch in den Wirren infolge der Unabhängigkeit spielte Belgien eine unrühmliche Rolle: Der erste demokratische gewählte Regierungschef Patrice Lumumba, ein afrikanisches Freiheitsidol und scharfer Kritiker der ehemaligen Kolonialherren, wurde wenige Monate später ermordet. Eine belgische Parlamentskommission kam 2001 zu dem Schluss, dass die Ex-Kolonialmacht zumindest eine „moralische Verantwortung“ dafür trug.

Der erste Premierminister der Demokratischen Republik Kongo, Patrice Lumumba
AP
Er erste frei gewählte Regierungschef des Landes, Patrice Lumumba (M.), wenige Monate später wurde er ermordet

Kulturelle Objekte sollen zurückgegeben werden

Als Zeichen der Aufarbeitung will die belgische Regierung der DR Kongo nun Tausende von kulturellen Objekten zurückgeben, die während der Kolonialzeit aus dem Land geschafft wurden, wie es vor der Absage der Reise hieß. Für die Rückgabe wird eine Dauer von mehreren Jahren veranschlagt. Belgien ist laut den Angaben vom März auch bereit, der DR Kongo einen Zahn des Nationalhelden Lumumba zu restituieren. Nach seiner Ermordung 1961 war die Leiche Lumumbas in Säure aufgelöst und nie gefunden worden.

Ein kongolesischer Bub neben einer gestürzten Büste des belgischen Königs Leopold II.
AP
Mit der Unabhängigkeit wurden auch die Büsten Leopolds II. gestürzt, wie hier ein Bild aus 1961 zeigt

Philippe sieht heutige Diskriminierung als Kolonialerbe

2020 hatte Philippe erstmals offiziell Bedauern über die Gräueltaten der Kolonialzeit und die Zerstörung der damaligen kongolesischen Gesellschaft ausgedrückt. „Ich möchte mein tiefstes Bedauern über die Wunden der Vergangenheit zum Ausdruck bringen“, schrieb Philippe in einem Brief an Präsident Tshisekedi. Der Schmerz durch die Verbrechen der Kolonialzeit „wird heute durch die Diskriminierung wiederbelebt, die in unseren Gesellschaften immer noch allzu präsent ist“.

Der Präsident von DR Kongo, Felix Tshisekedi
APA/AFP/Tchandrou Nitanga
Der Präsident der Demokratischen Republik Kongo, Felix Tshisekedi

Damals „wurden Gewalttaten und Grausamkeiten begangen, die noch immer auf unserem kollektiven Gedächtnis lasten“, schrieb Philippe. „Auch die anschließende Kolonialzeit verursachte Leid und Erniedrigung.“

Weiter Probleme mit Dschihadisten

Unterdessen hat das Land weiterhin Probleme mit islamistischen Gruppierungen. Bei einem Angriff mutmaßlicher Dschihadisten auf ein Dorf im Osten des Landes wurden nach Angaben von Beobachtern mindestens 20 Zivilisten getötet. Der Angriff am Sonntagabend habe sich gegen das Dorf Bwanasura in der Provinz Ituri gerichtet, teilten die Kivu Security Tracker (KST) mit, die mit Hilfe von Beobachtern an Ort und Stelle die Gewalt in der Region dokumentieren.

Der Organisation zufolge steht die islamistische Rebellengruppe Alliierte Demokratische Kräfte (ADF) im Verdacht, das Blutbad mit „mindestens 20“ Toten verübt zu haben. Das Rote Kreuz ging sogar von einer deutlich höheren Zahl von Toten aus. Freiwillige Helfer hätten 36 Leichen in Bwanasura gezählt, sagte der örtliche Rotkreuz-Leiter David Beiza der Nachrichtenagentur AFP. Viele Einwohner und Einwohnerinnen des Dorfes hätten aber zum Glück vor den Angreifern flüchten können.

die kongolesische Hauptstadt Kinshasa
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Ein Blick über die Hauptstadt Kinshasa

Mehr als 120 Gruppen im Osten des Landes aktiv

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bezeichnete die ADF als ihren regionalen Ableger in der DR Kongo. Den ADF-Kämpfern wird der gewaltsame Tod Tausender Zivilisten im Osten des Landes zur Last gelegt. Im Mai waren bei zwei der ADF zugeschriebenen Angriffen auf die Dörfer Bulongo und Beu-Manyama in der Provinz Nordkivu insgesamt mindestens 42 Menschen getötet worden.

In Nordkivu tobten zuletzt auch in den Gebieten Rutshuru and Nyiragongo heftige Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und der Tutsi-Rebellenorganisation M23. Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) wurden dadurch mindestens 72.000 Menschen in die Flucht getrieben, manche von ihnen kehrten inzwischen in ihre Dörfer zurück. Im Osten der DR Kongo sind mehr als 120 bewaffnete Gruppen aktiv, Massaker an Zivilisten sind sehr häufig. Die Regierung in Kinshasa hat über die Provinzen Ituri und Nordkivu im Mai 2021 den Ausnahmezustand verhängt, der bis heute gilt.