Demonstranten vor der Botschaft Brasiliens in London
AP/PA/Victoria Jones
Vermisste im Amazonas

Dschungelkrimi sorgt weltweit für Aufsehen

Ob Kokainschmuggel, Landraub oder Gewalt gegen Indigene – was in den Tiefen des Amazonas-Dschungels geschieht, bleibt meist im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit. Der britische Journalist Dom Phillips machte es sich zur Aufgabe, das zu ändern. Doch seit Sonntag sind er und sein Gefährte Bruno Pereira spurlos verschwunden. Die Suche gestaltet sich schwierig, die Ermittler tappen im Dunkeln, Mord wird nicht ausgeschlossen. Mittlerweile sorgt der Fall weltweit für Aufsehen – Druck kommt vom brasilianischen Ex-Präsidenten und anderen Prominenten.

Der ehemalige brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva forderte die Behörden kurz nach Bekanntwerden des Falls auf, „alles“ zu tun, um die Vermissten zu finden. Lula gilt als Favorit bei den Präsidentschaftswahlen gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro im Oktober. Bolsonaro zeigte sich vom Verschwinden Phillips und Pereiras indes eher unbeeindruckt, bezeichnete er deren Arbeit am Dienstag doch lediglich als „Abenteuer“.

„Wirklich, nur zwei Leute in einem Boot in einer völlig wilden Gegend wie dieser ist kein empfehlenswertes Abenteuer. Es könnte alles Mögliche passiert sein. Es könnte ein Unfall sein, es könnte sein, dass sie getötet wurden“, sagte er in einem Interview mit dem Fernsehsender SBT. „Wir hoffen und bitten Gott, dass sie bald gefunden werden. Die Streitkräfte arbeiten hart daran.“

Journalist Dom Phillips in Aldeia Maloca Papi, 2019
APA/AFP/Joao Laet
Der abgängige britische Journalist Dom Phillips

Prominente fordern intensivere Suchmaßnahmen

Auch Phillips Frau, Alessandra Sampaio, meldete sich am Dienstag zu Wort. Sie nahm ein Video auf, in dem sie die Regierung und die Behörden auffordert, die Suchmaßnahmen zu intensivieren. „Wir haben immer noch eine gewisse Hoffnung, sie zu finden. Selbst wenn ich die Liebe meines Lebens nicht lebend finde, müssen sie gefunden werden“, sagte sie in dem auf Twitter geposteten Video.

Ihrem Aufruf folgten prominente Personen aus Wissenschaft, Kunst und Sport – darunter der legendäre brasilianische Fußballspieler Pele. Er teilte das Video von Sampaio mit den Worten: „Der Kampf für den Erhalt des Amazonas-Waldes und der indigenen Gruppen geht uns alle an.“ Und weiter: „Ich bin erschüttert über das Verschwinden von Dom Phillips und Bruno Pereira, die ihr Leben dieser Sache gewidmet haben. Ich schließe mich den vielen Stimmen an, die dazu aufrufen, die Suche zu intensivieren.“

Der laut „Guardian“ in Brasilien beliebte Public-Health-Experte Drauzio Varella sagte in einer Videobotschaft: „Wir müssen aufklären, was passiert ist. Die ganze Welt schaut auf uns und wir müssen herausfinden, was passiert ist, und die Verantwortlichen, falls es sie gibt, müssen bestraft werden.“

Pressekonferenz der Polizei
APA/AFP/Michael Dantas
Ermittelt werde „in alle Richtungen“, wie die Polizei bei einer Pressekonferenz am Mittwoch sagte

Mord „nicht auszuschließen“

Die Bundesanwaltschaft erklärte am Mittwoch, sie habe polizeilichen Ermittlungen und eine Suchaktion eingeleitet, als die Männer am Sonntag nicht zur erwarteten Zeit in Atalaia do Norte eintrafen. Bisher seien sechs Menschen befragt und eine Person festgenommen worden, wie Polizei- und Militärvertreter bei einer Pressekonferenz sagten. Es sei allerdings noch unklar, ob der Verdächtige direkt mit dem Fall in Verbindung stehe.

Militär sucht nach vermissten Journalisten

Nach dem Verschwinden des britischen Journalisten Dom Phillips und seines Gefährten Bruno Pereira im brasilianischen Bundesstaat Amazonas sucht nun das Militär das Gebiet großräumig ab. Phillips war zusammen mit Pereira, der für die Regierungsbehörde für indigene Angelegenheiten (FUNAI) arbeitet, ins Javari-Tal nahe der Grenze zu Peru aufgebrochen, um an Ort und Stelle für ein Buch über Gewalt gegen Indigene zu recherchieren. Bereits vor ihrer Reise erhielten die beiden Männer Indigenenorganisationen zufolge Drohungen.

Den Ermittlern zufolge wurde der Verdächtige bei einer zufälligen Kontrolle festgenommen, er habe Drogen und Patronen für ein Sturmgewehr bei sich getragen. Zeugen gaben demzufolge an, den Mann gesehen zu haben, wie er Phillips und Pereira verfolgte. Aber „wir haben bis jetzt keine Verbindung zwischen ihm und dem Verschwinden hergestellt“, sagte der Polizeichef des Bundesstaates Amazonas, Carlos Mansur.

Es würden weiterhin „alle Ermittlungsansätze“ verfolgt, sagte der leitende Ermittler Alexandre Fontes. Mord sei nicht auszuschließen, er hoffe aber, die Männer lebend zu finden. Gegenüber Reuters sagten mit der Sache betraute Polizisten, die jedoch anonym bleiben wollten, am Donnerstag, es würden Verbindungen zu „illegalen Fischerei- und Wildereiaktivitäten in indigenen Gebieten“ untersucht werden.

Blut wird untersucht

Die Polizei untersucht auch Blutspuren auf einem Boot, das dem Festgenommenem gehören soll, wie die BBC am Freitag berichtete. Es werde geprüft, ob es sich um Menschen- oder Tierblut handle, hieß es weiter. Am Mittwoch begannen die Behörden neben Booten auch Hubschrauber für die Suche nach den Vermissten einzusetzen. Die Bundespolizei teilte mit, dass sich mittlerweile rund 250 Personen aus Armee, Marine, Polizei und Feuerwehr an der Suche beteiligt hätten.

Soldaten suchen nach Dom Phillip im Amazonasgebiet
Reuters/Brazilian Ministry of Defense
250 Personen aus Armee, Marine, Polizei und Feuerwehr suchen die Vermissten

Recherche zu illegalen Aktivitäten im Amazonas

Wie der „Guardian“ am Montag berichtete, soll Phillips zu illegalen Aktivitäten und Gewalt gegen Indigene recherchiert haben. Zusammen mit Bruno Pereira, der für die Regierungsbehörde für indigene Angelegenheiten (FUNAI) arbeitet, sei er ins Javari-Tal nahe der Grenze zu Peru aufgebrochen, um an Ort und Stelle für sein Buch zu recherchieren.

Noch vor dem Anritt der Reise sollen Phillips und Pereira mit Drohungen konfrontiert gewesen sein. Pereira erhält etwa regelmäßig Drohungen von illegalen Holzfällern und Bergleuten, die versuchen, in das Land isolierter indigener Gruppen einzudringen.

Schwer zugängliches Amazonasgebiet

Das Javari-Tal ist ein schwer zugängliches Gebiet im südwestlichen Bundesstaat Amazonas. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Instituto Socioambiental leben dort rund 6.300 Indigene aus 26 verschiedenen Gruppen, 19 von ihnen ohne Kontakt zur Außenwelt. Bereits 2018 war Phillips mit Pereira für eine Reportage für den „Guardian“ in das Javari-Tal gereist.

In den vergangenen Jahren ist die Gewalt in der Region aufgrund der Anwesenheit von illegalen Bergleuten, Jägern und Fischern eskaliert. Zudem befindet sich in der Region eine wichtige Route für Kokain, das auf der peruanischen Seite der Grenze produziert und dann nach Brasilien geschmuggelt wird, um die dortigen Städte zu versorgen oder nach Europa verschifft zu werden.

LKW zeigen Nachrichten über das Verschweinden von Dom Phillips
APA/AFP/Apu Gomes
„Wo sind Dom Phillips und Bruno Pereira?“, steht auf einem Lkw in Los Angeles

Auf Rückreise verschwunden

Der lokale FUNAI-Stützpunkt, der zum Schutz und zur Unterstützung der indigenen Bevölkerung eingerichtet wurde, ist seit Ende 2018 mehrfach angegriffen worden, unter anderem wurde 2019 ein Mitarbeiter erschossen.

Phillips und Pereira wollten indigene Völker in der Nähe der FUNAI-Beobachtungsstation befragen, Freitagabend kamen sie am Jaburu-See an. Sie begannen ihre Rückreise Sonntagfrüh und hielten in der Gemeinde Sao Rafael an, wo Pereira ein Treffen mit einem lokalen Vertreter anberaumt hatte, um die „Invasionen“ auf ihrem Land zu besprechen. Als der Gemeindevorsteher nicht auftauchte, brachen die beiden Männer Richtung Atalaia do Norte auf, eine Bootsfahrt von etwa zwei Stunden – angekommen sind sie nie.

Amazonien von weltweiter Bedeutung

Klar ist: „Die Entwicklungen in Amazonien sind von weltweitem Interesse“, schreibt auch Niklas Franzen in seinem kürzlich erschienenen Werk „Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte“. Nicht zuletzt auch hinsichtlich der Klimakrise.

„Die große Invasion Amazoniens hat längst begonnen: Bagger rollen durch den Wald, Goldsucher dringen tief in indigene Gebiete vor, die Besitzer von Rinderfarmen rauben Land. Das hat auch mit Präsident Bolsonaro zu tun. Der Rechtsradikale verkündete, ‚keinen weiteren Zentimeter‘ für indigene Gebiete ausweisen zu lassen, und fordert Brasilianer gerade zu auf, sich Land illegal anzueignen.“