Ein Man hält bei einer Demonstration eine Flagge von Westsahara mit der Aufschrift „Sahara Libre“
Reuters/Borja Suarez
Spanien – Algerien

Freundschaftsbruch mit Folgen für Europa

Soll das Gebiet der Westsahara unabhängig werden? Eine Frage, die seit Jahrzehnten nicht nur die Region im Norden Afrikas, sondern bis in den Süden Europas spaltet. So schlug Spanien kürzlich einen überraschenden Kurswechsel ein und stellte sich im Westsahara-Konflikt auf die Seite von Marokko – jenem Land, unter dessen Kontrolle sich Teile der Westsahara derzeit befinden. Algerien zeigte sich darüber brüskiert und kündigte diese Woche den Freundschaftsvertrag mit Spanien. Das könnte Folgen für ganz Europa haben. Wieder einmal geht es um die Abhängigkeit von Gas.

Vor zwanzig Jahren haben Algerien und Spanien den „Vertrag für Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ geschlossen. Am Mittwoch kündigte Algerien diesen „mit sofortiger Wirkung“. Der diplomatische Kurswechsel Spaniens sei nicht zu rechtfertigen. Algeriens Staatspräsident Abdelmayid Tebboune warf der spanischen Regierung am Mittwoch laut spanischen und algerischen Medien vor, seine „rechtlichen, moralischen und politischen Verpflichtungen als Verwaltungsmacht des Territoriums“ zu verletzen.

Während Algerien die Unabhängigkeitsbestrebungen der Westsahara befürwortet, erkannte Madrid nach Jahrzehnten der Neutralität im März den marokkanischen Autonomieplan für das umstrittene Gebiet und die ehemalige spanische Kolonie an. Dadurch dürften sich die Beziehungen zu Marokko wie von Spanien intendiert wohl verbessern, jene zu Algerien aber deutlich belastet werden.

Der algerische Präsident Abdelmayid Teboune
Reuters/Jacquelyn Martin
Algeriens Staatschef Tebboune kündigte den „Vertrag für Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ mit Spanien auf

Algerien als wichtiger Gaslieferant

Algerien ist ein wichtiger Gaslieferant Spaniens und soll auch in Zukunft eine bedeutende Rolle in der Versorgung Europas mit Gas einnehmen. Bereits Ende April drohte der nordafrikanische Staat Spanien mit der Unterbrechung seiner Gaslieferungen, da Spanien angedeutet hatte, Marokko mit Gas zu versorgen.

Ende vergangenen Jahres stellte Algerien aufgrund des Westsahara-Konflikts die Gaslieferungen ins Nachbarland Marokko ein und legte die entsprechende Pipeline still. Algeriens staatlicher Energieriese Sonatrach deckte 2021 mehr als 40 Prozent der spanischen Erdgasimporte. Der größte Teil davon fließt durch die 750 Kilometer lange „Medgaz“-Tiefwasserpipeline.

EU-Gaspläne auf dünnem Eis

Gerade algerische Gaslieferungen nach Spanien sollten es auch sein, die Europa helfen, sich unabhängiger vom russischen Gas zu machen. Laut dem Repower-EU-Plan plant Brüssel sogar den Bau einer neuen Gaspipeline von Barcelona durchs Mittelmeer ins norditalienische Livorno, um algerisches Gas nach Mitteleuropa zu transportieren. Derzeit stammen 12 Prozent der Gasimporte in die EU aus Algerien.

Die EU-Kommission kalkuliert, die zwischen 2,5 und drei Milliarden Euro teure Pipeline in ein bis zwei Jahren fertigstellen zu können. Sie hätte eine Kapazität von bis zu 30 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Ob diese Pläne noch so weitergeführt werden können, sollte es zum gänzlichen Bruch zwischen Algier und Madrid kommen, ist fraglich.

Gasstation in Algerien
APA/AFP
Laut dem Repower-EU-Plan soll künftig mehr Gas von Algerien nach Europa fließen

EU: Anlass zu „größter Sorge“

Kein Wunder also, dass die EU-Kommission am Freitag in der Aufkündigung des Freundschaftsabkommens „Anlass zu größter Sorge“ sah. Das verstoße möglicherweise gegen das Assoziierungsabkommen zwischen dem nordafrikanischen Land und der EU, insbesondere in den Bereichen Handel und Investitionen, versuchten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Handelskommissar Valdis Dombrovskis Gegendruck auf Algier aufzubauen. Man erwarte von Algier, die „Situation rasch zu klären“, hieß es in einer Aussendung weiter.

Algeriens Banken stoppen Handel mit Spanien

Erst am Donnerstag ordnete der algerische Bankenverband an, Handelsgeschäfte mit Spanien auszusetzen. Banküberweisungen für Importe aus und Exporte nach Spanien seien verboten. Die Gaslieferungen seien aber nicht betroffen, sagte Staatspräsident Tebboune laut einer Erklärung. Das bestätigte auch der spanische Außenminister Jose Manuel Albares.

Albares erklärte, man wolle die Auswirkungen der algerischen Maßnahme in Ruhe analysieren und anschließend eine „ruhige, konstruktive und entschlossene“ Antwort geben. Zuvor hatte sich Regierungssprecher Felix Bolanos zuversichtlich geäußert, dass man die Beziehungen zu Algerien „mit allen diplomatischen Mitteln“ bald werde wiederherstellen können.

Streit auch innerhalb Spaniens

Doch auch innerhalb Spaniens ist die Neupositionierung der Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsidenten Pedro Sanchez (PSOE) im Westsahara-Konflikt nicht unumstritten. Gabriel Rufian von der Republikanischen Linken aus Katalonien sagte dazu etwa: „Warum verteidigt die Regierung das Existenzrecht des ukrainischen Volkes gegenüber Russland, aber nicht das Existenzrecht der Sahrauis (Bewohner der Westsahara, Anm.) gegenüber Marokko?“

Nur um sich kurz darauf die Antwort selbst zu geben: „Weil Mohammed VI. (König von Marokko, Anm.) den Schlüssel für die Tür nach Südeuropa hat, an die der Hunger und die Verzweiflung Afrikas anklopfen.“ Auch Rufian dürfte noch in Erinnerung haben, was geschah, als Marokko vor rund einem Jahr die Grenzkontrollen aussetzte und so Tausende Geflüchtete in die spanische Exklave Ceuta ließ.

Grafik zu den Gaspipelines von Algerien nach Spanien
Grafik: APA/ORF.at

Von der Kolonie zum besetzten Gebiet

Als die Spanier 1975 nach der Franco-Diktatur beim Übergang zur Demokratie die Westsahara-Kolonie endgültig aufgaben, besetzte das Königreich Marokko einfach das südliche Gebiet. Rabat kontrolliert seitdem weite Teile des dünn besiedelten, aber rohstoffreichen Wüstengebiets.

Zigtausende Sahrauis flohen vor der Gewalt und der Unterdrückung durch die marokkanische Armee nach Algerien, wo sie noch heute in Flüchtlingscamps in der Wüste hausen. Viele sprechen neben Arabisch immer noch Spanisch.

Der spanische Premierminister Pedro Sanchez
AP/Europa Press/Alejandro Martínez Vélez
Der Autonomievorschlag sei die „ernsthafteste, glaubwürdigste und realistischste“ Lösung des Streits, so Sanchez

Vergebliche Suche nach Konfliktlösung

Erst 1991 kam es zwischen Marokko und der saharauischen „Befreiungsfront Polisario“ zu einem Waffenstillstand. Seitdem wird im Rahmen der Vereinten Nationen vergeblich eine Einigung gesucht. Seit 2004 lehnt Marokko jeden Lösungsvorschlag ab, der mit der Unabhängigkeit der Westsahara enden könnte.

Seit 2007 unterbreitet Marokko dafür einen eigenen Vorschlag: Die Westsahara sollte marokkanisches Staatsgebiet bleiben, aber eine autonome Selbstverwaltung erhalten. Das lehnen wiederum die Polisario wie auch die Vereinten Nationen und bis vor Kurzem eben auch Spanien ab. Am 14. März schrieb Sanchez an Mohammed VI., Spanien sehe den marokkanischen Vorschlag für eine Autonomie „als den ernsthaftesten, glaubwürdigsten und realistischsten zur Lösung dieses Streits“ an.