EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Mit Auflagen

Kommission für Ukraine als EU-Kandidat

Die EU-Kommission hat sich am Freitag dafür ausgesprochen, der Ukraine den Status als Beitrittskandidaten zu gewähren. Kiew solle eine „europäische Perspektive“ geboten und der Kandidatenstatus verliehen werden, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Weitere Fortschritte sollen an Bedingungen geknüpft werden. Auch Moldawien soll diesen Status erhalten.

Man habe diese Meinungen getroffen, nachdem man die bisherigen Leistungen mit großer Sorgfalt geprüft habe, so von der Leyen bei einer Pressekonferenz in Brüssel. „Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben“, so von der Leyen mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen das Land. Man wolle es ihnen ermöglichen, den europäischen Traum zu leben.

„Die Ukraine hat klares Bestreben und Entschlossenheit, europäischen Werten und Standards gerecht zu werden“, so von der Leyen. Sie verwies darauf, dass Kiew sich seit acht Jahren nach und nach der Union annähere, und auch auf das seit 2016 geltende Assoziierungsabkommen. Klar müsse aber auch sein, dass sich die Ukraine in den EU-Binnenmarkt eingliedern können müsse.

Auch weitere Schritte hält sie für nötig: So sprach sie bei der Pressekonferenz etwa die Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und den Umgang mit Oligarchen an, bei denen sie bereits Fortschritte sieht. „Viel wurde bereits erreicht, aber es bleibt noch viel zu tun“, so von der Leyen.

Empfehlung für Moldawien, Abwarten bei Georgien

Gleichzeitig sprach sich die Kommission auch für den Kandidatenstatus für Moldawien aus. Das Land habe „entschiedene Schritte“ bei Reformen gemacht. Das erste Mal seit der Unabhängigkeit befinde man sich auf einem „europäischen Weg“ – für Reformen, gegen Korruption. Auch Moldawien habe aber noch einen langen Weg vor sich. Georgien will man unterdessen ebenfalls zwar eine „europäische Perspektive" bieten“, doch das Land müsse erst „politisch zusammenfinden“, bevor etwa über den Kandidatenstatus gesprochen werden könne.

Sitzung der EU-Kommission
AP/Geert Vanden Wijngaert
Nach einem Treffen der Kommission wurde die Entscheidung verkündet

„Die Stellungnahmen der Kommission markieren einen Wendepunkt in unseren Beziehungen“, so von der Leyen. „In der Tat ist das ein historischer Tag für die Menschen in der Ukraine, Moldawien und Georgien. Wir bekräftigen, dass sie zu gegebener Zeit in die Europäische Union gehören. Die nächsten Schritte liegen nun in den Händen unserer Mitgliedstaaten.“

Ansichten in EU-Staaten gehen weit auseinander

Auf Grundlage der Empfehlung der EU-Kommission müssen die EU-Staaten nämlich nun entscheiden, wie es weitergeht. Dazu wird es bereits nächste Woche Gelegenheit geben – am kommenden Donnerstag und Freitag treffen die EU-Staats- und -Regierungschefs zu einem Gipfel in Brüssel zusammen. Dort wird die Ukraine wohl einmal mehr das bestimmende Thema sein – und der EU-Beitritt für heftige Diskussionen sorgen.

Denn die Ansichten der Regierungen zum Thema gehen bisher weit auseinander. So halten Länder wie Portugal und die Niederlande die Vergabe des Kandidatenstatus an die drei Staaten im östlichen Europa nach Angaben von Diplomaten für verfrüht und rein symbolisch.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprachen sich dagegen am Donnerstag in Kiew dafür aus, dass die Ukraine Beitrittskandidat wird. Deutschland und Frankreich argumentieren, dass der Kandidatenstatus die Aufnahmeentscheidung nicht vorwegnimmt und auch nicht mit einem Zeitrahmen verbunden ist. So ist die Türkei beispielsweise schon seit 1999 Beitrittskandidat.

Scholz nennt Rechtsstaatlichkeit und Korruption

Scholz sagte am Donnerstagabend im ZDF-„heute journal“, der Weg der Ukraine in die EU sei „ein sehr voraussetzungsvoller“, der auch „sehr lange Zeit“ in Anspruch nehmen könne. Der Status als Beitrittskandidat bedeute aber, dass die Hoffnung auf dem Weg nach Europa für die Menschen der Ukraine konkret werde. Zum Zeithorizont sagte der SPD-Politiker, das könne niemand seriös beantworten. „Aber es lohnt sich, das ist doch die Botschaft.“

Kommission empfiehlt Ukraine als EU-Kandidat

Die EU-Kommission spricht sich dafür aus, die Ukraine offiziell zum Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union zu ernennen, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mitteilt. Entscheiden müssen das aber die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer.

Als Voraussetzungen für einen EU-Beitritt nannte Scholz in ZDF und ARD Fortschritte etwa bei der Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung. Scholz und Macron waren am Donnerstag mit Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis nach Kiew gereist.

Rumäniens Staatschef Iohannis will hingegen den Kandidatenstatus auch für Moldawien und Georgien. „Der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien nächste Woche beim Europäischen Rat einen EU-Kandidatenstatus zu garantieren, ist wesentlich dafür, ein starkes und dauerhaftes Schild um unsere Werte herum zu bauen“, sagte er in Kiew. „Politico“ berichtete am Freitag unterdessen davon, dass Dänemark, lange Gegner eines EU-Beitritts der Ukraine, Zustimmung zum Kandidatenstatus signalisierte.

Österreich stellt Bedingungen

Österreich will dem EU-Beitrittskandidatenstatus der Ukraine nur unter Bedingungen zustimmen. „Wir müssen sicherstellen, dass dieselben Maßstäbe angewandt werden wie auch bei anderen Beitrittswerbern aus dem Westbalkan. Vor diesem Hintergrund wäre es für mich etwa nicht vorstellbar, der Ukraine einen Kandidatenstatus zu gewähren und zugleich Länder wie Bosnien-Herzegowina weiterhin außen vor zu halten“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zur deutschen Zeitung „Welt“.

Zikmund anaylsiert Situation aus Brüssel

ORF-Korrespondent Robert Zikmund berichtet aus Brüssel über die Empfehlung der EU-Kommission, der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren.

Bosnien-Herzegowina hatte bereits Anfang 2016 einen Beitrittsantrag gestellt und gilt seit Jahren lediglich als „potenzieller Beitrittskandidat“. „Was einen möglichen EU-Kandidatenstatus anbelangt, so möchte ich festhalten, dass es klare und etablierte Kriterien gibt, die ohne Wenn und Aber einzuhalten sind. Es darf keine Doppelstandards oder gar Beitrittswerber erster und zweiter Klasse geben“, so Nehammer. Es müsse sichergestellt sein, dass die EU im Fall der Ukraine „dieselben Maßstäbe“ anwende wie auch bei anderen Beitrittsbewerbern aus dem Westbalkan.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) warnte im Konflikt mit Russland vor einer einseitigen Fokussierung auf die Ukraine. „Man muss der Ukraine signalisieren: Sie sind Teil Europas, sie müssen in der europäischen Familie verankert werden. Aber wir dürfen bitte nicht in einen geostrategischen Tunnelblick verfallen“, sagte Schallenberg im Deutschlandfunk.

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat angesichts der Empfehlung der EU-Kommission deutlich darauf hingewiesen, dass es „keine Doppelstandards oder gar Kandidaten erster und zweiter Klasse geben darf“. „Gerade beim Westbalkan ist die Einhaltung unserer Versprechen eine Frage der Sicherheit für Europa und eine Frage der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union“, so Edtstadler gegenüber der APA.

SPÖ will Reformprozesse, Grüne verweisen auf Westbalkan

Für SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried ist die Kommissionsentscheidung „nachvollziehbar“. Es sei jetzt auf diplomatischem Wege alles zu tun, dass der Krieg beendet werde. „Danach müssen die Reformprozesse in der Ukraine gestartet werden, dass die Kopenhagener Kriterien erfüllt werden“, so Leichtfried.

Der EU-Kandidatenstatus der Ukraine wäre „ein positiver Schritt für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit“, so auch Michel Reimon, Europasprecher der Grünen. „Sollte bereits kommenden Donnerstag die Entscheidung der EU-Kommission fallen, der Ukraine den Beitrittskandidatenstatus zu verleihen, müssen die Länder des Westbalkans – insbesondere Bosnien-Herzegowina und der Kosovo – die nächsten sein. Diese Länder warten schon zu lange auf Schritte der Kommission in diese Richtung.“

Selenskyj: „Historische Entscheidung“

Die Ukraine reagierte nach Angaben des Präsidialamtes in Kiew dankbar für den Vorschlag der EU-Kommission, ihr den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. Nun werde erwartet, dass die EU-Staats- und Regierungschefs dem zustimmen, so das Büro des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Selenskyj schrieb auf Twitter, es sei „der erste Schritt auf dem Weg in die EU-Mitgliedschaft, der uns auch dem Sieg näher bringt.“ Er dankte der Kommission für eine „historische Entscheidung“.

Die Ukraine hatte kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar einen Antrag auf Annahme in die EU gestellt. Die EU-Staaten beauftragten die EU-Kommission dann, sich damit zu befassen und eine Empfehlung abzugeben. Eine Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs zum Beitrittsantrag der Ukraine könnte bereits beim nächsten Gipfeltreffen fallen, der am kommenden Donnerstag in Brüssel beginnt.

„Erhöhte Aufmerksamkeit“ in Russland

Die Bemühungen der Ukraine um einen Beitritt zur EU wird von der russischen Führung eigenen Angaben zufolge genau beobachtet. Das Thema „bedarf unserer erhöhten Aufmerksamkeit, weil wir uns alle der Intensivierung der Diskussionen in Europa über die Stärkung der Verteidigungskomponente in der EU bewusst sind“, sagte der russische Präsidialamtssprecher, Dmitri Peskow, vor der Presse. Moskau warf der EU vor, die Ukraine mit ihrem Angebot einer Beitrittsperspektive zu „manipulieren“. „Wir sehen, wie die westliche Gemeinschaft seit vielen Jahren diese Geschichte von einer Einbindung der Ukraine in ihre Integrationsstrukturen manipuliert“, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa am Freitag. Der Ukraine gehe es jedoch „immer schlechter“.

Einstimmigkeit für jede Stufe erforderlich

Sollten sich die 27 EU-Staaten nun einig werden, der Ukraine den Kandidatenstatus zu verleihen, ist das aber nur der erste Schritt eines vielstufigen Beitrittsprozesses. In der Folge geht es von der Aufnahme von Verhandlungen bis hin zur Eröffnung von Beitrittskapiteln. Bei all diesen Schritten müssen sich die EU-Länder einstimmig dafür aussprechen.