Sänger Billie Joe Armstrong von der Band „Green Day“
APA/Tobias Steinmaurer
Green Day in Wien

Kommt ein Punk ins Stadion

Mit gut zwei Jahren Verspätung haben die US-Rocker Green Day am Sonntag ihr Gastspiel im Wiener Happel-Stadion gegeben. Was im Vorfeld als eine Art Minifestival gemeinsam mit Weezer und Fall Out Boy zu erahnen war, wurde ein klassischer Headliner-Gig. Von ihren Punkwurzeln haben sich Green Day weit entfernt, vor rund 40.000 sehr gut gelaunten Gästen gab es Stadionrock.

Wenn mit der Musik einmal nichts mehr gehen sollte, könnte Green-Day-Sänger Billie Joe Armstrong locker in die Animateurbranche in einem Urlaubsclub wechseln. Schon der Beginn des Konzerts stand im Zeichen der Massenbespaßung: Zunächst wurde vom Publikum – traditionell bei Konzerten der Kalifornier – „Bohemian Rhapsody" von Queen intoniert, dann musste ein bemitleidenswerter Mensch im Hasenkostüm zu „Blitzkrieg Bop“ als „Drunk Bunny“ mit dem Popo wackeln.

Als Armstrong mit seinen Mitstreitern dann die Bühne betrat, wurde gleich bei „American Idiot“ das Publikum zur Mithilfe animiert. Kaum ein Song verging ohne Anleitung zum Mitgröhlen, -hüpfen oder Handylampeeinschalten. Eine Frau aus dem Publikum wurde zum Mitsingen auf die Bühne geholt, später eine weitere, die Gitarre spielen – und das Instrument auch gleich nach Hause mitnehmen – durfte. Reiche Freunde muss man haben! Gebraucht hätte es das nicht: Das unglaublich gut gelaunte Publikum wäre wohl auch so mitgegangen.

Zuschauer
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Gut gefüllt und sehr gut gelaunt

Ist Alt das neue Jung?

Gestartet hatte das Trio seine Karriere in den späten 1980er Jahren in Kalifornien, der internationale Durchbruch gelang 1994 mit dem Album „Dookie“ – mit knackigen Punkrockstücken wie „Basket Case“ und „When I Come Around“. In den folgenden Jahren gab es Erfolge, aber auch einige Karrierelöcher.

Das 2020 erschienene Album „Father of All Motherfuckers“ gehört eher zu letzteren. Dass Green Day eine recht große Nummer im Musikbusiness sind, war klar. Dass sie das Happel-Stadion einigermaßen ausverkaufen (nur in einigen Sitzplatzsektoren war noch viel Platz), ist aber schon ein wenig überraschend.

Hilfreich mag gewesen sein, dass die für 2020 geplante „Hella Mega Tour“ pandemiebedingt um zwei Jahre verschoben werden musste – und das ausharrende Publikum genug Zeit hatte, wieder großen Gusto auf Livekonzerte zu bekommen. Dass in Sachen Rock die gute alte Zeit die kommerziell überhaupt beste ist, bestätigt sich auch bei jedem Blick auf ein Festival-Line-up. So tot neuer und massenkompatibler Rock ist: Das alte Zeug geht weg wie warme Semmeln.

,,Green Day" am Sonntag, 19. Juni 2022, während einem Konzert im Ernst-Happel-Stadion in Wien
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Kleine Menschen und große Leinwand

Endlich und doch zu früh: Weezer

Das gilt irgendwie auch für Weezer: Die Band um Sänger Rivers Cuomo hatte man in Österreich zudem praktisch noch nie zu sehen bekommen – und das, obwohl sie mit „Undone“ und „Buddy Holly“ ihre ersten Hits schon 1994 gelandet hatte. Noch teils im grellen Sonnenlicht mussten Weezer schon um 18.00 Uhr starten – präsentierten sich aber kalifornisch gut gelaunt bei diesem Wetter und überaus charmant: Cuomo brillierte mit deutschen Zwischenansagen.

Dass sie „Islands In the Sun“ ein wenig verstolperten, sei ihnen ebenso verziehen wie, „Enter Sandman“ von Metallica bierernst zu covern. „Africa“ von Toto musste (weil so eine lustige Fanaktion im Internet) auch sein.

Band „Weezer“ am Sonntag, 19. Juni 2022, während einem Konzert im Ernst-Happel-Stadion in Wien
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Weezer: Charmant und gut gelaunt

Was könnte das für ein Song sein?

Schon da zeichnete sich ab, dass der Sound im Stadion einmal mehr zu einem gröberen Spielverderber wird, wohl auch, weil im vorderen, für Mehrzahler reservierten Stehplatzbereich noch viel Leere herrschte. Zeitweise klang es in Teilen des Stadions so, als ob man auf dem eigenen Balkon drei Kilometer weiter das Konzert hören würde.

Vor allem die Vocals, auch später bei Green Day, machten es manchmal sogar schwierig, den Song zu erraten. Armstrong hätte vielleicht auch beim Singen zeitweise besser ins Mikro zielen können, aber okay, kann man mit viel Nachsicht als Punkgeste gut finden.

Wieso Fall Out Boy auf der ganzen Tour den weit besseren Konzertslot haben und nach Weezer spielen dürfen, ist eher ungeklärt. Zwar fanden sie mit ihren von „oh-oh-oooh“ und auch „oh-ah-oooh“ getragenen Refrains ihre Fans, dennoch spielen sie doch mindestens zwei Ligen unter Weezer und Green Day.

Ein Trio mit Verstärkung

Und diese ließen ab 21.15 Uhr wenig Zweifel aufkommen, dass sie die richtigen Stars sind. Armstrong gab den Giftzwerg und Animateur. Tre Cool werkte sehr solide, wenn auch ein bisschen mit der Sitzhaltung eines Rockbeamten, Mike Dirnt bearbeitete gekonnt den Bass.

Zur Verstärkung hatte man sich einen weiteren Gitarristen mitgenommen, der aber vor den Bühnenkameras und damit den Großbildleinwänden versteckt wurde. Später tauchte ein weiterer Gitarrist auf, und dann hatte sich noch ein Keyboarder auf der Bühne versteckt, der gegen Ende auch noch ein Saxofonsolo abliefern musste. Ein Saxofonsolo! Ist das noch Punk? Sicher nicht.

Wo ist der Punk-Spirit, wenn man ihn braucht?

Cool und Dirnt sind rein optisch schon irgendwann Richtung Rockabilly abgebogen, Armstrong bediente sehr rasch die vielleicht unnötigste Rockpose, Gitarrespielen hinter dem Kopf. Was wäre, wenn die drei nicht Richtung Stadionrock abgebogen wären? Das fragte sich vielleicht der eine Punk, der es ins Stadion geschafft hatte – stilecht mit Iro und T-Shirt der Band Exploited. (Es ist immer, wirklich immer Exploited). Würden dann Green Day in einer eher grindigen Hütte vor 200 Menschen mit Dosenbier spielen?

Oder ließe sich mit mehr, viel mehr Punk-Spirit auch so ein Stadionkonzert anders anlegen? Ein Zaun, der das vordere Drittel der Stehplätze für die Mehrzahler reserviert? Weg mit der Klassengesellschaft! Ein Bier für 6,50 Euro? Ran an die Hähne! Und überhaupt: Wir zeigen euch, was ein „Loch im Stadion“ ist: für Konzerte ungeeignet, und jetzt wissen wir auch, dass die Hütte fürs Kicken auch nicht mehr taugt. Wir reißen euch die Tribünen da hinten einfach nieder. Freie Sicht auf den Prater! Dann wird auch der Sound vielleicht besser. Win-win-win!

Aufwachen, weitermachen

Und dann wachte der Punk aus seinem Tagtraum wieder auf. Irgendwie waren die letzten 15 Minuten nach dem Verschießen des Hitfeuerwerks und mit dann doch überambitionierter Massenanimation recht ausgefranst. Zu „Wake Me Up When September Ends“ gab es wieder Handyerleuchtung, mit einer Akustikversion von „Good Riddance (Time Of Your Life)“ und ein bisschen Feuerwerk schickte Armstrong das Publikum in die Wiener Sommernacht. „It’s something unpredictable. But in the end, it’s right. I hope you had the time of your life.“ Ja, nach zwei Jahren Pandemie und keinem ganz richtigen Ende in Sicht müssen wir die haben.