Knesset
APA/AFP/Gil Cohen-Magen
Regierung gescheitert

Israel steuert wieder auf Neuwahlen zu

Die israelische Regierungskoalition will das Parlament auflösen und damit Neuwahlen einleiten. Ministerpräsident Naftali Bennett und Außenminister Jair Lapid teilten am Montag mit, kommende Woche einen entsprechenden Gesetzesentwurf in die Knesset einzubringen. Alle „Versuche zur Stabilisierung der Koalition“ seien „ausgeschöpft“ worden, hieß es weiter. Sollte der Gesetzesentwurf angenommen werden, werde Lapid Chef der Interimsregierung.

„Wir haben alles getan, um die Koalition zu bewahren“, sagte Bennett vor dem israelischen Parlament. Lapid lobte, der Regierungschef habe „nationale Interessen über seine eigenen“ gestellt.

Bennett und Lapid hatten sich im Juni 2021 auf die historische Bildung einer Koalition geeinigt, der Parteien aus allen politischen Lagern angehörten. Zuvor war zwölf Jahre lang Langzeitministerpräsident Benjamin Netanjahu an der Macht. Bennett und Lapid beschlossen damals ein Rotationsprinzip, dem zufolge sich die beiden an der Regierungsspitze abwechseln wollten.

Neuwahlen in Israel

Am Montag hat der rechte Regierungschef Bennet das Handtuch geworfen, der liberale Außenminister Lapid übernimmt – aber nur bis zu Neuwahlen. Den fünften Wahlen in nicht einmal vier Jahren.

Streit über Siedlerrechte

Zuletzt hatten im April Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern die Koalition vor eine Zerreißprobe gestellt. Nach Zusammenstößen rund um den Tempelberg in Jerusalem hatte die arabische Raam-Partei mit einem Rückzug aus der Koalition gedroht, sollte die Regierung ihr hartes Vorgehen gegen palästinensische Demonstranten fortsetzen.

Als Hauptgrund für die Entscheidung nannte Bennett das Scheitern einer Abstimmung im Parlament über die weitere Anwendung von israelischem Recht auf israelische Siedler in den besetzten Palästinensergebieten. Die Acht-Parteien-Koalition war nicht in der Lage, eine Mehrheit für die Abstimmung zu sichern.

Insbesondere Justizminister Gideon Saar von der konservativen Partei Neue Hoffnung kritisierte das damals scharf. „Wie ich gewarnt habe, hat der Mangel an Verantwortung bestimmter Knesset-Mitglieder zu diesem unvermeidlichen Ergebnis geführt“, erklärte Saar am Montag in Anspielung auf die arabischen Abgeordneten. Für die nächste Wahl gab Saar aber ein klares Ziel aus: Es müsse verhindert werden, „dass Netanjahu ins Amt des Ministerpräsidenten zurückkehrt und den Staat seinen persönlichen Interessen unterwirft“, schrieb er auf Twitter.

Wahl wohl im Herbst

Die Wahlen könnten Medien zufolge Ende Oktober stattfinden. Bennetts Regierungsbündnis ist seit einem Jahr im Amt und wackelt schon seit Längerem. Im April hatte die Viel-Parteien-Koalition ihre hauchdünne Mehrheit von 61 von 120 Sitzen verloren, weil eine Abgeordnete das Bündnis verlassen hatte. Mittlerweile folgten weitere Abgeordnete. Die Opposition um Netanjahu fordert Bennetts Rücktritt.

Netanjahu feierte das Aus für die Koalition Medienberichten zufolge als „großartige Nachricht für Millionen israelischer Bürger“. Die schlimmste Regierung in der israelischen Geschichte würde nun zu Ende gehen. Der Oppositionsführer wolle bald wieder eine Regierung unter der Führung seiner Likud-Partei bilden.

Naftali Bennett und Yair Lapid
Reuters
Lapid und Bennett

Bündnis mit vielen Sollbruchstellen

Das Bündnis bestand aus acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum, darunter auch die konservativ-islamische Raam. Es war das erste Mal in Israels Geschichte, dass eine arabische Partei Teil der Regierung war. Bennetts Jamina ist dagegen siedlerfreundlich, das könnte die künftige Zusammenarbeit erschweren. Bennett ist auch der erste israelische Regierungschef, der dem national-religiösen Lager angehört und eine Kippa trägt.

Tim Cupal zur anstehenden Neuwahl

ORF-Korrespondent Tim Cupal analysiert, wieso das israelische Regierungsbündnis zerbrochen ist.

Politisch trennte die neuen Koalitionspartner jedenfalls vieles: Während Jamina eben für eine siedlerfreundliche Politik und die Annexion von Teilen des Westjordanlandes steht, treten unter anderem die linke Merez und Raam offensiv für eine verbesserte Situation für die Palästinenser ein. Das Bündnis galt jedenfalls als politisches Experiment, manche Beobachter waren überrascht, dass es immerhin ein Jahr hielt.

Dauerkrise prolongiert

Die Entscheidung zur Auflösung des Parlaments mache deutlich, dass „Israels schlimmste politische Krise mit der Vereidigung der Regierung nicht endete“, sondern nur vorübergehend abgeschwächt worden sei, sagte Yohanan Plesner vom Israel Democracy Institute. Plesner zog dennoch ein positives Fazit: „Auch wenn diese Regierung eine der am kürzesten amtierenden Israels war, spielte sie eine historische Rolle, da sie eine arabische Partei in die Koalition (…) eingebunden und damit den Weg für eine stärkere Einbeziehung der arabischen Minderheit in den politischen Prozess geebnet hat.“