Blick auf die Karlsbrücke und die Prager Burg
Getty Images/Fraser Hall
Regierung unter Druck

Früher Schatten über Ratsvorsitz Tschechiens

Während Frankreich seine EU-Ratspräsidentschaft inmitten innenpolitischer Aufregung beendet, steht auch die Regierung von Nachfolger Tschechien vor Problemen: Eine Korruptionsaffäre setzt die Fünf-Parteien-Koalition von Premier Petr Fiala unter Druck. Wüste Bestechungsvorwürfe, Festnahmen und ein prominenter Rücktritt erschüttern Prag unmittelbar vor der Übernahme des Ratsvorsitzes – und das könnte erst der Anfang sein.

Bereits nächste Woche ist es so weit: Mit Anfang Juli übergibt Frankreich das Zepter an Tschechien. Die EU-Ratspräsidentschaft kommt in einer besonders heiklen Zeit: Der Ukraine-Krieg und die anhaltende Teuerung werden zweifellos das Geschehen der kommenden Monate auf EU-Ebene bestimmen.

Umso ungelegener kommen die schweren Vorwürfe in der tschechischen Innenpolitik: Denn an sich, so schreibt es etwa die Website EUobserver, habe man damit gerechnet, dass eine „neue Art von tschechischer Regierung“ den Vorsitz übernehme, eine „EU-freundliche, korruptionsbekämpfende Bewegung, die entschlossen ist, die Ehrlichkeit in die Politik des Landes zurückzubringen“.

Vorwürfe zu Prager Verkehrsbetrieben

Die Korruptionsaffäre rüttelt nun an dieser Erwartungshaltung auf europäischer Ebene. Der Skandal nahm seinen Ausgangspunkt in der Hauptstadt Prag: Mehreren Personen wird laut tschechischen Medien vorgeworfen, die Auftragsvergabe der Prager Verkehrsbetriebe (DPP) beeinflusst und Schmiergelder gefordert zu haben.

Der EUobserver schreibt, dass die Mitglieder des mutmaßlich kriminellen Netzwerks sogar Codenamen gehabt haben sollen. Im Raum steht offenbar auch, dass im Zuge des Geldaustausches illegale Drogen konsumiert wurden, schreibt die Seite weiter. Über das Wochenende gab es Razzien – und Festnahmen, auch beim bisherigen Prager Vizebürgermeister, Petr Hlubucek. Unter dem Codenamen „Henne“ soll er Teil des Netzwerks gewesen sein – nun ist er in Untersuchungshaft und reichte seinen Rücktritt ein.

Prager Vizebürgermeister Hlubucek und zwei Polizisten
picturedesk.com/CTK/Michaela Rihova
Der Prager Vizebürgermeister Hlubucek wurde am Wochenende festgenommen

Hlubucek ist Mitglied der Partei der Bürgermeister und Unabhängigen (STAN), die Teil der Koalition und die Partei mit den drittmeisten Abgeordneten ist, knapp hinter der Demokratischen Bürgerpartei von Premier Fiala. Auch der ebenfalls festgenommene mutmaßliche Leiter des Netzwerks, der Unternehmer und Lobbyist Michal Redl, hatte Verbindungen zu STAN, dessen Familie war einer der Unterstützer der Partei.

Bildungsminister trat zurück

Das führte unter anderem dazu, dass auch Bildungsminister Petr Gazdik am Sonntag seinen Rücktritt einreichte. Gazdik betonte am Wochenende, dass er sich nicht schuldig fühle. In einem Posting auf Twitter schrieb er, dass er lediglich Schaden von seiner Partei und der Koalition abwenden wolle, insbesondere so kurz vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft.

Tschechischer Innenminister Vit Rakusan
APA/AFP/Michal Cizek
STAN-Parteichef Vit Rakusan sieht keinen Grund für einen Rücktritt

Doch dafür ist es möglicherweise schon zu spät. Denn je mehr der Skandal in den Fokus rückt, desto lauter werden die Vorwürfe gegen die Bürgermeisterpartei und dessen Chef Vit Rakusan, der auch Innenminister in Tschechien ist. Oppositionschef und Ex-Premier Andrej Babis erhob schwere Vorwürfe: „Der wahre Kopf der Hydra ist Rakusan, der als Innenminister die organisierte Kriminalität der STAN deckt“, zitiert „Politico“ Babis. „Indem Rakusan in der Regierung bleibt, billigt Fiala die mafiösen und räuberischen Praktiken der STAN.“

Parteichef sieht sich fest im Amt, bekommt Rückendeckung

Rakusan sieht für einen Rücktritt aber keinen Grund: „Ich kann und darf auch nicht die Arbeit der Polizei beeinflussen. Der Beweis dafür ist, dass die Polizei handelt. Jeder sieht das“, zitiert die APA den Innenminister. Rückendeckung bekam er von Premier Fiala, der sein Vertrauen in Rakusan zum Ausdruck brachte.

Tschechischer  Premierminister Petr Fiala
APA/AFP/Michal Cizek
Ministerpräsident Fiala bemühte sich vor der Übernahme des Ratsvorsitzes um Ruhe

Allgemein bemüht sich Fiala ganz offensichtlich um Ruhe vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft. Nicht zuletzt würde ein Wegfall der STAN die Regierung zweifellos zu Fall bringen. Den Rücktritt des Bildungsministers sah er als „ehrliche Lösung“, die „wir in den letzten Jahren in der hohen Politik nicht gewohnt waren“, schrieb er auf Twitter. Doch bei STAN rumort es weiter: Am Montag stellte dann auch der Europaabgeordnete Stanislav Polcak seine Parteimitgliedschaft ruhend.

Experte sieht Widerspruch zu Antikorruptionsethik

„Wenn man eine Plattform hat, die auf einer liberalen Demokratie und einer Antikorruptionsethik aufbaut, ist ein Skandal wie dieser sehr peinlich und wird einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung haben“, sagte der Experte Jan Kovar vom Prager Institut für internationale Beziehungen gegenüber dem EUobserver.

„Traurigerweise scheint das ein wiederkehrendes Thema in der tschechischen Politik zu sein und wird wahrscheinlich das Vertrauen der Menschen in die Politik weiter untergraben“, sagte unterdessen Jiri Pehe von der New York University in Prag gegenüber „Politico“. Nicht zuletzt werden wohl auch Erinnerungen an den letzten Ratsvorsitz Tschechiens im Jahr 2009 wach – damals wurde die Regierung von Mirek Topolanek während des Vorsitzes gestürzt. Babis, Chef der Oppositionspartei ANO, will davon absehen, hieß es jetzt – auch, um Schaden von Tschechien abzuwenden.

„Europa als Aufgabe“

Auch wenn ein Blick in tschechische Medien zeigt, dass das Thema die Schlagzeilen bestimmt: Die Ratspräsidentschaft nähert sich mit großen Schritten. Vergangene Woche verkündete Fiala das Motto „Europa als Aufgabe“. Die Beherrschung des Flüchtlingszustroms aus der Ukraine und die Planung des späteren Wiederaufbaus nannte er als Schwerpunkte: „Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine ist die Welt nicht mehr dieselbe.“ Weitere Themen sollen die Energiesicherheit, die Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten Europas und die Cybersicherheit sein. Geplant sind 14 informelle Ministertreffen und ein Gipfeltreffen.