Flaggen der EU und Ukraine
Reuters/Yves Herman
Kandidatenstatus

Ukraine hofft auf Einigung auf EU-Gipfel

Der Krieg in der Ukraine wird auch auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag das bestimmende Thema sein. Nach dem grünen Licht der EU-Kommission für den Status als Beitrittskandidat muss die Ukraine jetzt auf das Ja der Mitgliedsstaaten hoffen. Nach anfänglichem Widerstand deutet alles auf einen breiten Konsens hin. Das hat auch Auswirkungen auf den Westbalkan – der schon im Vorfeld für Wirbel sorgte.

„Der Europäische Rat hat beschlossen, der Ukraine und Moldawien den Status eines Kandidatenlandes zu verleihen.“ Dieser Satz findet sich auf einem Entwurf der Abschlusserklärungen, der am Vortag des Gipfels in Brüssel kursierte. Auch Ratspräsident Charles Michel zeigte sich am Donnerstag zuversichtlich: Er erwarte eine positive Entscheidung, sagte er vor Beginn des Gipfels, das sei ein historischer Moment.

Im Prinzip fehlt damit nur noch die Zustimmung der 27 Mitgliedsstaaten und die Ukraine wäre, gemeinsam mit Moldawien, das ebenfalls grünes Licht von der Kommission erhielt, einen großen symbolischen Schritt näher an der EU. Dass sich dieser Satz im Entwurf findet und aller Voraussicht nach Zustimmung findet, galt im Voraus allerdings alles andere als gesichert: Zu Wochenbeginn gab es durchaus noch Widerstand aus den EU-Ländern. Staaten wie Niederlande und Dänemark nahmen aber das grüne Licht der Kommission diese Woche zum Anlass, Bedenken gegen die Entscheidung hinter sich zu lassen.

Das liegt wohl nicht zuletzt auch daran, dass weitere Schritte im Beitrittsprozess der Ukraine an einen Berg von Bedingungen geknüpft sind. Diese Bedingungen und worauf hier vonseiten der EU-Länder besonders gepocht werden wird, wird wohl eines der größeren Themen auf dem für zwei Tage anberaumten Gipfel sein.

Westbalkan sucht nach Perspektive

Doch das Ja für die Ukraine wird auch die Debatte über den Beitritt der Länder auf dem Westbalkan anheizen. Die Berücksichtigung der dortigen Staaten ist Österreich, das stets vor einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ warnte, ein großes Anliegen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) forderte für den EU-Beitrittsprozesses „gleiche Regeln für alle“. „Das ist ein Gebot der Fairness und eine Frage der Glaubwürdigkeit“, so Nehammer laut einem der APA vorliegenden Statement.

„Wir dürfen auch nicht mit zweierlei Maß messen, was den EU-Beitrittsprozess anbelangt“, so Nehammer. Angesichts der engen Beziehungen zu Österreich sei „der EU-Annäherungsprozess für die Länder des Westbalkans in unserem ureigensten Interesse“. Er werde sich „mit Nachdruck“ weiterhin dafür einsetzen. Vor allem der Kandidatenstatus für Bosnien-Herzegowina dürfte Österreich ein großes Anliegen sein.

Benedikt Feichtner zu EU-Gipfel

Brüssel-Korrespondent Benedikt Feichtner meldet sich aus Brüssel und spricht über den EU-Gipfel. Die Staats- und Regierungschefs der EU kommen in Brüssel zusammen, um über den offiziellen Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine und Moldawien zu entscheiden.

Schon am Vormittag trafen deshalb die EU-Staats- und -Regierungschefs mit den Westbalkan-Staaten zusammen. Konkret sind Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Kosovo vertreten. Es sei von „allergrößter Bedeutung, dass das jetzt ein glaubwürdiges Versprechen wird“, sagte der deutsche Kanzler Olaf Scholz vor dem Treffen.

Staaten drohten mit Boykott von Sitzung

Dabei wäre es beinahe zu einem Eklat gekommen: Serbien, Nordmazedonien und Albanien hatten aufgrund der Blockade Bulgariens bei der Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Skopje und in weiterer Folge mit Tirana gedroht, die Sitzung zu boykottieren. Letztlich sahen sie davon ab.

Albanischer Ministerpräsident Edi Rama
APA/AFP/Soeren Stache
Der albanische Ministerpräsident Rama gab am Mittwoch Entwarnung

Hitzig könnten die Gespräche nun dennoch durch den Sturz der Regierung in Bulgarien werden: Denn Hintergrund für das Misstrauensvotum gegen den dortigen Ministerpräsidenten Kiril Petkow war der Streit um die EU-Erweiterung. Er machte bei seinem Eintreffen im Ratsgebäude klar, dass er das Veto gegen Nordmazedonien aufrechterhalten werde.

Ihm „persönlich“ gefalle der Kompromissvorschlag der französischen Ratspräsidentschaft zwar, doch müsse das bulgarische Parlament darüber befinden, sagte Petkow nach einem Bericht von Euractiv. Es gehe nämlich um eine Entscheidung, die „nachhaltig“ und unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit sein solle, so Petkow.

Kosovo pocht auf Zusagen der EU

Der Kosovo drängt bei der EU unterdessen auf eine Visaliberalisierung. Vor dem Gipfel forderte Präsidentin Vjosa Osmani-Sadriu zudem, dass nur diejenigen Länder bei den EU-Beitrittsverhandlungen voranschreiten sollten, die auch die EU-Sanktionen gegen Russland unterstützen.

Das ist etwa bei Serbien nicht der Fall, das den Kosovo immer noch als abtrünnige Provinz ansieht. Osmani-Sadriu sagte, dass es für ihr Land nur die Option einer Aufnahme in die EU gebe. Es sei unmöglich, sich sowohl Richtung EU und Richtung Moskau orientieren zu wollen, fügte sie ebenfalls in Anspielung auf Serbien hinzu.

Darauf angesprochen sagte der serbische Präsident Aleksandar Vucic, sein Land habe im Rahmen einer Abstimmung in der UNO-Vollversammlung die Aggression gegen die Ukraine verurteilt. „Wir unterstützen die territoriale Integrität der Ukraine, wir unterstützen die territoriale Integrität Serbiens, was manche EU-Staaten nicht tun“, sagte Vucic in Anspielung auf den Kosovo-Konflikt.

Neue Sanktionen stehen im Raum

Neben den Beitrittsgesuchen besprechen die EU-Staaten auch finanzielle und militärische Hilfe für die Ukraine und die durch den Krieg stark gefährdete Ernährungssicherheit. Weitere Sanktionen gegen Russland könnten ebenfalls Thema werden. Dabei haben die EU-Staaten laut Diplomaten erstmals Gold im Blick, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

„Wir werden weitermachen mit Sanktionen“, heißt es im jüngsten Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels. Das schließe die konsequente Umsetzung bestehender Sanktionen und die Schließung von Schlupflöchern ein, heißt es in dem Dokument, das auf den 20. Juni datiert ist. Am Freitagvormittag steht dann unter anderem der Euro-Gipfel, bei dem die rasant steigende Inflation und die Energiepreise besprochen werden, auf der Tagesordnung. Zu Gast werden EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Euro-Gruppe-Chef Paschal Donohoe sein.

Kandidatenstatus bringt Zugang zu Fördergeldern

Sollte es zu einem Ja für den Beitritt der Ukraine kommen, sagt der Kandidatenstatus alleine noch lange nichts aus: Auch die Türkei hält schon seit 1999 den Kandidatenstatus inne, könnte aber momentan wohl kaum weiter von einem EU-Beitritt entfernt sein. Dennoch wäre die Zustimmung der EU-27 – sie muss einstimmig erfolgen – mehr als nur ein symbolischer Schritt: Als Kandidat gibt es mehr Möglichkeiten für die Staaten, Fördergelder zu beziehen – gerade für die Ukraine könnte das entscheidend werden.