3M-Hauptquartier in Maplewood, Minnesota
Reuters/Nicholas Pfosi
US-Veteranen vs. 3M

Milliarden-Sammelklage um Ohrstöpsel

Dem US-Konzern 3M, weltweit bekannt unter anderem für Post-its, steht vor einer Sammelklage und drohenden Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe. Gegen das Unternehmen, das 50.000 Produkte der unterschiedlichsten Art herstellt, haben mehr als 100.000 ehemalige US-Soldaten Klage eingereicht – wegen kleiner Gehörschutzstöpsel.

In den Klagen wird dem Unternehmen vorgeworfen, die für die US-Armee produzierten Ohrstöpsel seien für Hörschäden und Tinnitus (unangenehmes, oft permanentes Geräusch im Ohr, Anm.) bei den Betroffenen verantwortlich. Anwälte werfen 3M vor, dass der Gehörschutz nicht ordnungsgemäß und den vorgegebenen Anforderungen im Feld entsprechend vor Lärmschäden schütze.

Laut „Wall Street Journal“ drohen dem weltweit bekannten Konzern möglicherweise Schadenersatzzahlungen in Höhe mehrerer Milliarden Dollar, und das bei einem Preis für ein Stöpselset von 7,63 Dollar (7,25 Euro). Im Extremfall könnten Schadenersatzzahlungen das Unternehmen ein Vielfaches dessen kosten, was es damit eingenommen hat. Laut der US-Bank JP Morgan könnte es zur größten Sammelklage der US-Geschichte werden – noch größer als die Asbestklage, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Verhandlungen ab August

Im August startet 3M – auf Anweisung eines Gerichts in Florida – Verhandlungen über einen Vergleich mit Rechtsvertretern der Veteranen, die diesen Gehörschutz verwendeten. Die Klagen belasten bereits den Kurs der Unternehmensaktie – umso mehr, als der Konzern zuletzt einräumte, bisher keine Rückstellungen für den Rechtsstreit gebildet zu haben.

Klagen aus verschiedensten Bundesstaaten sind mittlerweile zu einem großen Schadenersatzfall in Florida zusammengeführt worden. Derzeit haben sich 107.000 der Klage angeschlossen und diese Zahl könnte sich noch mehr als verdoppeln.

3M wehrt sich

3M argumentiert, die Ohrstöpsel würden sehr wohl funktionieren – vorausgesetzt Soldaten erhalten die nötige Einschulung und verwenden sie richtig. Und das Unternehmen beruft sich darauf, als Lieferant für die Regierung vor solchen Klagen geschützt zu sein. Die rechtliche Bestimmung sieht vor, dass ein beauftragtes Unternehmen, das ein Produkt nach den Regierungsvorgaben liefert, nicht geklagt werden kann.

Eric Rucker, ein Anwalt für 3M, sagte gegenüber dem „WSJ“, dass das Produkt funktioniere. Das US-Militär verwende bis heute – freilich neuere Varianten – dieser Stöpsel. Diese seien „basierend auf unserer Kooperation mit dem Militär“ entworfen worden.

„Schlechte Ohrstöpsel“

Der führende Anwalt der Klägervertreter, Bryan Aylstock, dagegen betont: „Das sind schlechte Ohrstöpsel.“ Die meisten Geschworenenjurys würden sich die Beweise ansehen und „große Schadenersatzzahlungen gewähren“, gibt sich Aylstock vom Erfolg der Klage überzeugt.

Für die Kläger geht es darum, nachweisen zu können, dass der Grund für die Hörprobleme die Stöpsel selbst sind, nicht eine falsche Verwendung oder dass sie nicht genug getragen wurden. Die Gehörstöpsel haben zwei Seiten: eine, die generell Lärm filtert, die andere, bei der nur gewisse Frequenzen durchgelassen werden, sodass man hört, wenn jemand mit einem redet.

Vergleich mit Ministerium als Auslöser

Ausgangspunkt für die Klagen war ein außergerichtlicher Vergleich von 3M mit dem Justizministerium. 3M zahlte damals 9,1 Mio. Dollar, räumte aber weder Schuld noch Fehlverhalten ein. Das Justizministerium hatte 3M vorgeworfen, es habe die Ohrstöpsel an die Armee verkauft, obwohl es wusste, dass sie schadhaft sind.

16 per Gericht angeordnete Einzelverfahren – sogenannte bellwether trials (Leithammelverfahren, Anm.) – sind bereits abgeschlossen. Solche „Versuchsverfahren“ sind bei größeren Sammelklagen üblich, um für alle Seiten die Erfolgsaussichten abzuklopfen. Sie dienen dann meist als Grundlage für von einer Richterin oder einem Richter geführte Vergleichsverhandlungen. Von den 16 Verfahren gewannen die Kläger, also die Veteranen, zehn – 3M sechs. Acht weitere wurden zurückgewiesen. In den zehn von Ex-Soldaten gewonnenen Verfahren rangierte die Entschädigung zwischen 1,7 und 77,5 Mio. Dollar. Gegen mehrere davon ging 3M bereits in Berufung.

Problem eingekauft

3M hat sich das Problem mit den Ohrstöpseln de facto eingekauft, als es die Firma Aearo Technologies, die diese produzierte, 2008 um 1,2 Mrd. Dollar kaufte. Aearo hatte zu dem Zeitpunkt bereits Lieferverträge mit dem Militär, in einigen Einheiten wurden alle Soldatinnen und Soldaten damit ausgerüstet. Die Ohrstöpsel wurden bis 2015 geliefert.

3M war im Laufe der Zeit mit verschiedensten Produkthaftungsklagen konfrontiert. Jahrzehntelang etwa musste sich der Konzern gegen Klagen wehren, seine Industriefiltermasken hätten nicht gegen Erkrankungen durch das Einatmen von Asbeststaub geschützt. Das Unternehmen hatte allein für diese Klagen 640 Mio. Dollar auf die Seite gelegt.