Person hält ukrainischen Pass
APA/Erwin Scheriau
AMS

Viele Ukrainer arbeiten unter Bildungsniveau

Rund 6.850 Ukrainerinnen und Ukrainer suchen derzeit laut AMS einen Job in Österreich. Viele von ihnen, knapp ein Drittel, verfügen über einen akademischen Abschluss – wegen fehlender Sprachkenntnisse oder Problemen bei Anerkennungen arbeiten die meisten von ihnen jedoch unter dem eigenen Bildungsniveau. Deutschkurse und Kinderbetreuung sollen die Integration künftig erleichtern, so das AMS.

Während die Arbeitslosigkeit in Österreich im Vergleich zur Vorwoche um knapp 1.000 Menschen gesunken ist und auch die Voranmeldungen zur Kurzarbeit zurückgehen, suchen immer mehr Menschen aus der Ukraine eine Möglichkeit, hierzulande auch am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Von den rund 6.850 suchenden Ukrainerinnerinnen und Ukrainern besitzen die meisten von ihnen mit 34 Prozent einen Pflichtschulabschluss, dicht gefolgt von dem auffallend hohen Anteil an akademischen Abschlüssen mit 31 Prozent.

Zwölf Prozent verfügen über eine höhere Ausbildung, sechs Prozent können einen Lehrabschluss vorweisen und drei Prozent haben eine mittlere Ausbildung. Die restlichen 15 Prozent konnten mangels ausreichender Informationen keinem Bildungsniveau zugeordnet werden, informierten ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher und AMS-Chef Johannes Kopf bei einem Pressegespräch.

Ukrainische Geflüchtete am Arbeitsmarkt

Pandemiebedingt kämpfen viele Unternehmen aktuell mit Personalmangel. ÖVP-Bundesminister Martin Kocher spricht am Dienstag über die Qualifikationsprofile ukrainischer Vertriebener. Eine Bewilligung für die Beschäftigung ukrainischer Geflüchteter ist notwendig und könnte dem Personalmangel entgegenwirken.

Sprache und Bürokratie große Hürden

Derzeit haben rund 7.600 Ukrainer und Ukrainerinnen eine Beschäftigungsbewilligung in Österreich – allein aufgrund des Sprachdefizits würde jedoch ein großer Teil davon Hilfsarbeiten machen und unter dem eigentlichen Ausbildungsniveau arbeiten, sagte der AMS-Chef. Neben fehlenden Sprachkenntnissen seien auch die Anerkennung von Vorkenntnissen sowie mangelnde Kinderbetreuung derzeit die größten Hindernisse, um Ukrainerinnen und Ukrainer in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Das bestätigt auch Mira Stojakovic vom Zentrum für Migrantinnen und Migranten Tirol (ZeMit) im Gespräch mit tirol.ORF.at: Um überhaupt arbeiten zu dürfen, müssten Ukrainerinnen und Ukrainer zahlreiche Dokumente und Berufszeugnisse übersetzen und anerkennen lassen. Eine ukrainische Ärztin habe sich bei einer Fast-Food-Kette beworben, um endlich Geld zu verdienen, so Stojakovic. Eine gelernte Psychologin aus Charkiw würde für die Übersetzung ihrer Dokumente und Berufszeugnisse zwischen 600 und 1.200 Euro benötigen.

Neben dem Integrationsfonds biete deshalb auch das AMS zusätzliche Deutschkurse an, so Kopf. Ein Teil der Geflüchteten arbeite in Bereichen, in denen derzeit Dolmetschtätigkeiten gefragt seien – etwa in Kindergärten. Einige machten Teleworking für ukrainische Firmen, andere seien in österreichischen Firmen mit Ukraine-Bezug untergekommen.

Flüchtlinge aus der Ukraine sitzen am Tisch
APA/Benedikt Loebell
Die Integration in den Arbeitsmarkt ist für Menschen aus der Ukraine mit viel Bürokratie verbunden

Kritik an Erhöhung der Zuverdienstgrenze

Kopf kritisierte im Rahmen des Pressegesprächs erneut die geplante Erhöhung der Zuverdienstgrenze, da sich Arbeit über der Geringfügigkeitsgrenze für Flüchtlinge aus der Ukraine erst ab einem Nettoeinkommen von 1.201 Euro lohne. Viele der Frauen, die kommen, würden aber wegen der Kinderbetreuung nur Teilzeit arbeiten können.

Die Regierung und acht Bundesländer wollen die Zuverdienstmöglichkeit für Vertriebene aus der Ukraine von 110 Euro plus maximal 80 Euro pro Familienmitglied auf die Geringfügigkeitsgrenze von 485 Euro anheben. Kärnten lehnt dies unter anderem aus rechtlichen Gründen ab, weil das von der SPÖ geführte Bundesland meint, dass die Anhebung dann auch für alle anderen Asylwerberinnen und -werber in der Grundversorgung gelten müsste.

Hoteliervereinigung: Viel unausgeschöpftes Potenzial

Die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) verortet im Umgang mit Ukrainerinnen und Ukrainern am österreichischen Arbeitsmarkt unausgeschöpftes Personal. Jene 53.000 Ukrainerinnen, die mit Kindern, aber ohne deren Väter ins Land gekommen seien, würden „alleine gelassen“, da niemand auf die Kinder schaue. „Das ist praktisch ein Arbeitsverbot durch die Hintertür“, so Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung, in einer Aussendung.

„Blaue Karte“

Der Ausweis für Vertriebene, auch „Blaue Karte“ genannt, ist ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für Vertriebene aus der Ukraine. Sie erhalten damit das Recht, sich in Österreich aufzuhalten, haben Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt und zur Krankenversicherung.

Es müsse möglich sein, Kindergruppen mit ein oder zwei Elementarpädagoginnen und -pädagogen zu öffnen und ukrainische Ansprech- und Vertrauenspersonen für die Kinder und Pädagogen als Unterstützung zur Seite zu stellen. Zusätzlich appelliert Veit für mehr Tempo bei der Ausstellung der „Blauen Karte“, da es in zahlreichen Fällen Wartezeiten von mehr als zwei Monaten gebe.

„Kinderbetreuung ist ein wesentlicher Schlüssel, auch in der Frage beim aktuellen Fachkräftemangel“, so auch AMS-Chef Kopf. Weiter offen sei auch das Thema Familienbeihilfe: Arbeitende Ukrainerinnen und Ukrainer können derzeit keine Familienbeihilfe beziehen.

Anstellungen für ukrainische Lehrkräfte in Wien

In Wien etwa wird auch in Hinblick auf den Lehrkräftemangel bereits ein solches Konzept umgesetzt. Klassen, in denen sich ausschließlich ukrainische Kinder befinden, werden nach österreichischem Schulrecht unterrichtet, weshalb ukrainischen Pädagoginnen und Pädagogen eine österreichische Lehrkraft zur Seite steht, so die Bildungsdirektion Wien.

„Uns hilft, dass die Kinder nicht alleine gekommen sind, sondern mit ihren Müttern, und da sind einige Pädagoginnen dabei," so der Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer gegenüber ORF.at. "Und die haben wir jetzt zum Teil schon angestellt und werden sie auch im Herbst anstellen, was uns dabei hilft, diese Gruppen zu begleiten.“

Viele Ukrainer in OÖ in Gastronomie tätig

In Oberösterreich hatten mit Stand Anfang des Monats rund zwei Drittel der nach Oberösterreich geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer bereits einen Job oder waren gerade auf der Suche. Für 1.100 Geflüchtete habe es schon funktioniert. Jeden Tag würden 25 bis 30 weitere einen Job finden, so das AMS. Für die 2.000 Geflüchteten, die noch warten würden, würden gerade Deutschkurse organisiert werden.

Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer würden derzeit in der Gastronomie arbeiten – in der Küche, im Service, aber auch bei der Ernte in der Landwirtschaft und in der Produktion in unterschiedlichen Sparten. Für den Pflegebereich werde in Kürze ein eigenes Ausbildungsprogramm für Ukrainerinnen und Ukrainer gestartet, so der zuständige Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP).

Da viele Ukrainerinnen und Ukrainer bei einem Ende des Krieges laut WIFO vorhätten, in die Ukraine zurückzukehren, warnt der Arbeitsmarktexperte Peter Huber im Gespräch mit ooe.ORF.at vor künftigen Lücken. „Reden wir über den Tourismus: Aus der Erfahrung der Covid-Krise wissen wir, was es bedeutet, wenn plötzlich ein Reservoir an Arbeitskräften woanders einen Job findet und dann plötzlich im Tourismus für die Saisonarbeit nicht mehr zur Verfügung stehen“, so Huber.

Neues AMS-Tool zeigt gefragte Berufe

Das Arbeitsmarktservice hat mittlerweile ein Tool eingerichtet, das auf Deutsch, Ukrainisch, Russisch und Englisch abrufbar ist und grafisch darstellt, wo in Österreich welche Berufe am gefragtesten sind. Dafür sind zwei Eingaben nötig: der Berufswunsch sowie die höchste absolvierte Ausbildung. Das Tool soll Geflüchteten einen besseren Überblick über ihre Arbeitsmarktchancen in ganz Österreich geben.

Für den scheidenden Flüchtlingskoordinator Michael Takacs funktioniert die Integration in den Arbeitsmarkt schon gut, ein weiterer Schritt sei aber, noch schneller und effizienter zu werden. Takacs wurde kürzlich zum Bundespolizeidirektor ernannt. Ob ihm jemand als Flüchtlingskoordinator nachfolgt und wer die Funktion ausüben könnte, ist indes noch nicht klar.