Abgebrochene Eisplatte in den Dolomiten
Reuters/Alpine Rescue Services
Eisplatte löste sich

Mindestens sechs Tote in Dolomiten

Auf der Marmolada (deutsch: Marmolata) in den Dolomiten in der norditalienischen Provinz Trentino ist am Sonntag eine große Eisplatte eingestürzt und hat mindestens sechs Menschen in den Tod gerissen. Mindestens 15 Personen wurden verschüttet. Möglicherweise könnte die Opferzahl noch steigen.

Sieben Menschen konnten bisher geborgen werden. Die Eisplatte löste sich laut Angaben des Bergrettungsdienstes in der Nähe von Punta Rocca, entlang der Aufstiegsroute zum Marmolada-Gipfel. Dabei wurden auf dem normalen Aufstiegsweg mindestens zwei Seilschaften getroffen. Dutzende Menschen, die sich an Ort und Stelle befanden, wurden von Rettungseinheiten ins Tal gebracht.

Nach weiteren Bergsteigerinnen und Bergsteigern unter den Eis-, Schnee- und Felsmassen wurde am Nachmittag zunächst unter anderem mit fünf Helikoptern und mehreren Hundestaffeln gesucht. Über die Nationalität der Opfer wurde bisher nichts bekannt. Die Verletzten wurden in mehrere Krankenhäuser eingeliefert. Ministerpräsident Mario Draghi sprach den Opfern und Angehörigen am Abend sein Beileid aus und kündigte an, sich vom Zivilschutz und den regionalen Politikern auf dem Laufenden halten zu lassen.

Weitere Opfer befürchtet

Wegen der Gefahr von neuen Gletscherstürzen wurde die Suche nach weiteren Opfern des Unglücks am Boden vorerst unterbrochen. Wie die Einsatzkräfte am Sonntagabend mitteilten, wurden die Bergretter von der Flanke des Berges Marmolata abgezogen. Zunächst müsse geklärt werden, wie sicher die Lage für die Helfer sei. Die Helikopter waren unterdessen weiter im Einsatz. Der gesamte Gletscher wurde gesperrt.

Rettungskräfte befürchten noch gut ein weiteres Dutzend Opfer. Die Nachrichtenagentur ANSA berichtete am Sonntagabend unter Verweis auf Rettungskreise von rund 15 Vermissten. Auf dem Parkplatz am Fuße des norditalienischen Bergmassivs, von dem die Aufstiegswege losgehen, wurden 16 Autos gezählt, deren Halter noch nicht ausfindig gemacht wurden. „Wir wissen noch nicht, ob die Wagen den toten oder vermissten Personen gehören oder Leuten, die nichts mit dem Unfall zu tun haben“, sagte der Regionalpräsident von Trentino-Südtirol, Maurizio Fugatti.

Lawinengefahr weiter groß

„Wir haben ein lautes Geräusch gehört, typisch für einen Bergsturz“, sagte ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur ANSA. „Danach sahen wir eine Lawine von Schnee und Eis in hoher Geschwindigkeit in Richtung Tal stürzen und wir wussten, dass etwas Schlimmes passiert ist.“

Carlo Budel, der Hüttenwirt der Schutzhütte Capanna Punta Penia, sprach in einem Instagram-Video vom „schlimmstmöglichen Zeitpunkt und Tag, an dem sich der Brocken lösen konnte“. Kurz nach Mittag waren auf dem sommerlichen Sonntag unzählige Bergsteigerinnen und Bergsteiger an dem beliebten Massiv unterwegs. Budel forderte alle Alpinisten auf, bis auf Weiteres nicht auf die Marmolada zu kommen. „Bleibt so weit wie möglich von diesem Gletscher weg“, mahnte der Hüttenwirt.

Der Präsident des Trentino, Maurizio Fugatti, erreichte die Dolomiten-Ortschaft Canazei, wo eine Einsatzzentrale eingerichtet wurde. Am Samstag war auf der Marmolada ein Temperaturrekord von zehn Grad am Gipfel gemessen worden. Die Gefahr weiterer Lawinen ist groß.

Abgebrochene Eisplatte in den Dolomiten
Reuters/Alpine Rescue Services
Die Lawinengefahr auf der Marmolada ist weiterhin groß

Der Marmolada-Gletscher ist der größte Gletscher in den Dolomiten und befindet sich auf der Nordseite der Marmolada-Gruppe. Diese liegt in den Provinzen Trentino und Belluno.

„Keine normale Lawine“

Zur Ursache des Unglücks gab es zunächst keine offiziellen Angaben – allerdings deutet alles darauf hin, dass die hohen Temperaturen der vergangenen Tage, Wochen und Monate eine Rolle spielen dürften. Erst am Samstag wurde Medienberichten zufolge auf dem Gipfel des Berges ein Rekordwert von zehn Grad gemessen. „So etwas habe ich auf der Marmolada noch nie gesehen. Das war keine normale Lawine wie im Winter“, sagte ein Bergretter. Er verglich das Unglück mit einem Gebäude und sprach von einem „strukturellen Versagen“.

Italien registrierte im vorigen Winter viel weniger Niederschlag als gewöhnlich, der Schnee fehlt vielen Gletschern nun als Schutz gegen die Sonne und die warmen Temperaturen.

Messner beklagt Klimawandel

Der Südtiroler Extrembergsteiger Reinhold Messner zeigte sich wegen des Klimawandels sehr besorgt. „Durch die globale Erwärmung werden die Gletscher immer dünner, und wenn sie fallen, stürzen sie wie Wolkenkratzer herab“, so der Alpinist laut der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. „Eisplatten sind schon immer abgebrochen, aber in den 1960er Jahren war diese Gefahr viel geringer. Leider leiden auch die Berge unter der Umweltverschmutzung der Großstädte. Am Samstag wurden auf der Marmolada unglaubliche zehn Grad registriert, der Permafrost taut auf, und unter dem Eis bilden sich regelrechte Wasserflüsse, die alles mit sich reißen“, warnte der Extrembergsteiger.