Kernkraftwerk in Frankreich
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Für Atomkraft und Gas

Umstrittenes „grünes“ EU-Label bleibt

Das EU-Parlament hat am Mittwoch keinen Einspruch gegen die umstrittene Taxonomieverordnung der EU-Kommission eingelegt. Damit steht der Einstufung von Atomkraft und Gas als „grüne“ Investition wohl nichts mehr im Weg. Österreich kündigte eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) an.

Nur 278 Abgeordnete sprachen sich in Straßburg für einen entsprechenden Vorstoß aus – zur Annahme des Einspruchs hätte es aber die absolute Mehrheit, also mindestens 353 Stimmen, sein müssen. Damit nahm der umstrittene Vorschlag eine weitere große Hürde – die Abstimmung war im Vorfeld mit Spannung erwartet worden, die Abgeordneten selbst erwarteten eine knappe Entscheidung, letztlich fiel das Votum aber doch deutlich aus.

Nun könnten auch rechtliche Schritte folgen. „Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten bereits intensiv auf diesen Fall vorbereitet und werden unsere Klage im Rahmen der dafür vorgesehenen Frist einreichen“, so Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Mittwoch in einer Aussendung. Die Entscheidung werde dem „Green Deal“ und den europäischen Bemühungen für eine gute und klimafreundliche Zukunft nicht gerecht, so Gewessler. „Sie ist weder glaubwürdig, ambitioniert noch wissensbasiert, gefährdet unsere Zukunft und ist mehr als verantwortungslos.“

Abstimmungsergebnis
Europäisches Parlament

Konkret soll die Taxonomie festlegen, welche Finanzinvestitionen künftig als klimafreundlich gelten, um mehr Geld in nachhaltige Technologie und Unternehmen zu lenken. Unter bestimmten Voraussetzungen sollen auch Gas und Atomkraft darunter fallen. In den vergangenen Monaten prägte vor allem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Debatte mit – und rückte auch Gas in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

EU-Staaten könnten Regelung theoretisch noch kippen

Die EU-Staaten können bis zum 11. Juli den Vorschlag der EU-Kommission noch blockieren. Das gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich, die notwendige Abstimmung dazu ist dem Vernehmen nach nicht angesetzt. 20 der 27 Staaten mit mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung müssten dagegen stimmen – andernfalls tritt der Vorschlag kommendes Jahr in Kraft.

Karas: „Schlechter Tag für den Klimaschutz“

Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), sprach in einer gemeinsamen Aussendung mit dem ÖVP-Abgeordneten Alexander Bernhuber von einem „schlechten Tag für den Klimaschutz. Atomkraft ist weder grün noch nachhaltig.“ Unmittelbar vor dem Votum sagte Karas, dass das Europäische Parlament mit der Abstimmung „alles, was das Parlament tun kann, getan hat“. Gas und Atomkraft seien „ausschließlich wegen politischer Interventionen“ in der Taxonomie und nicht wegen wissenschaftlicher Grundlagen. Gegenüber dem ORF sagte Karas anschließend, dass er es für richtig hält, dass Österreich nun vor den EuGH zieht.

Der grüne Abgeordnete Thomas Waitz sagte, mit der Entscheidung „schneiden wir uns ins eigene Fleisch“. Damit werde riskiert, dass Geld, das für den Umbau auf erneuerbare Energien benötigt wird, anders investiert werde. Claudia Gamon (NEOS) sprach von einem „Rückschlag“, es gehe letztlich darum, wie man das Maximum an Kapital und politischem Einsatz für die Energiewende mobilisieren könne.

Georg Mayer (FPÖ) sagte, Atomenergie werde damit ein „grünes Mascherl“ umgehängt. Er verwies auch auf die AKWs in unmittelbarer Nähe Österreichs. Evelyn Regner (SPÖ) zeigte sich „enttäuscht“, man wolle nun den Rechtsausschuss des Parlaments damit befassen. Nachhaltige Investitionen müssten gefördert werden, für den Übergang auf erneuerbare Energien brauche es private Investoren, so Regner.

Scharfe Kritik an EU-Kommission von Parlamentariern

Kritik gab es aber nicht nur an den unabsehbaren Folgen für das Klima und das Verhältnis zu Russland: Auch das Vorgehen der EU-Kommission war den Parlamentariern ein Dorn im Auge. Die Taxonomie wurde als delegierter Rechtsakt präsentiert – der eigentlich der Änderung oder Ergänzung von nicht wesentlichen Vorschriften von Rechtsakten dient.

Waitz, Kovorsitzender der Europäischen Grünen, schrieb am Mittwoch in einer Aussendung: „Die Umgehung der Kogesetzgeber gepaart mit einer dreisten Kompetenzüberschreitung sind klare Zeichen, auf welchem Holzweg sich die EU-Kommission“ befinde. Die Grünen beanstandeten auch die geplante Einstufung von Gas als klimafreundliche Brückentechnologie. „Die Förderung, den Transport und die Verbrennung von Erdgas als nachhaltig zu klassifizieren ist nicht nur absurd, sondern auch eine umwelt- und klimapolitische Sackgasse“, sagte Lukas Hammer, Klimaschutz- und Energiesprecher der Grünen.

Finanzsektor übte Kritik an Label

Die Taxonomie ist gar nicht als energiepolitisches Instrument gedacht und hat dabei vor allem Symbolkraft. Wie schon EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness bei der Präsentation sagte, sei die Taxonomie ein Instrument für den Finanzsektor, „nicht für die Energiepolitik“. So soll damit etwa bei Fonds transparent werden, inwieweit bei den Produkten auf die Leitlinien geachtet wurde.

Doch gerade der Finanzsektor legt auf die Ausnahmen womöglich gar keinen Wert, wie Nancy Saich von der Europäischen Investitionsbank (EIB) laut dem Nachrichtenportal Euractiv zuletzt sagte. Investoren, die nach grünen Anlagemöglichkeiten suchen, würden nicht unbedingt ihr Geld in Atomkraft und Gas stecken wollen.

Scharfe Kritik von NGOs

Die Umweltschutzorganisation Global 2000 teilte im Vorfeld der Entscheidung mit, sollte die EU-Behörde wie angekündigt die Taxonomie beschließen, wäre das „eine politische Bankrotterklärung der EU-Kommission gegenüber einer nachhaltigen und umweltgerechten Energiepolitik“. Vor allem aus Klimasicht sei Atomkraft längst gescheitert.

Greenpeace kündigte unterdessen rechtliche Schritte an. „Das ist ein skandalöses Ergebnis, gegen das wir vor Gericht ankämpfen werden. Die Gas- und Atomlobby wird sich nicht durchsetzen“, so Greenpeace-Österreich-Sprecherin Lisa Panhuber. Vor dem Gang vor den EuGH will man eine interne Prüfung bei der EU-Kommission beantragen.