Der strömende Regen an dem Hochsommertag vor vier Jahren war der letzte Anstoß, der die Morandi-Brücke, offiziell Polcevera-Viadukt, zum Einsturz brachte. Die Fahrbahn brach ein, Autos und Lkws stürzten in die Tiefe, zum Teil auf darunter liegende Häuser. 43 Menschen starben.
Nun müssen sich in der ligurischen Hauptstadt hochrangige Manager des Autobahnbetreibers Autostrade per l’Italia (ASPI) verantworten. Das Unternehmen betreibt fast die Hälfte des italienischen Autobahnnetzes. Seit dem Einsturz wird ASPI beschuldigt, die Brücke nicht ausreichend instand gehalten zu haben.
ASPI stand damals unter Kontrolle der börsennotierten Atlantia-Holding der Familie Benetton. Die Familie verkaufte inzwischen ihren Anteil für acht Milliarden Euro an den Staat, ASPI kam damit unter staatliche Kontrolle. Der ehemalige Chef von Atlantia, Giovanni Castelluci, sitzt nun auf der Anklagebank.
Viele schwere Vorwürfe
Auch bei den anderen Angeklagten handelt es sich zum Teil um hochrangige Manager des Autobahnbetreibers, um Fachleute und höhergestellte Beamte des Verkehrsministeriums in Rom. Die Vorwürfe lauten auf Fahrlässigkeit, Behinderung der Verkehrssicherheit, Fälschung und vorsätzliches Weglassen von Sicherheitsvorkehrungen.

Der Staatsanwaltschaft von Genua zufolge hatten die meisten Verdächtigen mit dem Einsturz der in den 1960er Jahren gebauten Brücke gerechnet und trotzdem nichts unternommen. Dabei sei es um höhere Dividenden für Aktionäre gegangen, so der Vorwurf. Schäden am Bauwerk sollen schon lange vor dem Einsturz bekannt gewesen sein.
„Sie sind wegen einer Brücke gestorben, die nie gewartet wurde, um mehr Profit zu machen“, sagte Giorgio Robbiano, der Bruder, Schwägerin und Neffen durch den Brückeneinsturz verlor, zur Nachrichtenagentur AFP. Die Familie war damals zu einer Geburtstagsfeier unterwegs und stürzte mit dem Auto in die Tiefe. Die Betreiber müssten zur Rechenschaft gezogen werden, so Robbiano: „Ich will, dass sie sich für ihre Taten verantworten müssen.“
Auch Egle Possetti verlor drei Familienmitglieder. Nun ist sie Sprecherin der Angehörigen. „Wir hoffen, dass der Prozess zügig voranschreitet und endlich die Wahrheit um die Fahrlässigkeit bei der Instandhaltung der Brücke ans Licht kommen wird“, so Possetti. Doch mit einem schnellen Verfahren rechnete sie nicht. „In Italien sind Prozesse langwierig und gehen leider für die Opfer oft nicht gut aus.“ Sie habe sich vom ersten Tag an im Stich gelassen gefühlt.
Prozess: Einsturz der Morandi-Brücke
Am Donnerstag beginnt in Genua der Prozess zum Einsturz der Morandi-Brücke. 59 Menschen stehen vor Gericht, 178 Menschen sind als Zeugen geladen.
Teilvergleich geschlossen
Der Prozess ist umfangreich, geladen sind fast 180 Zeuginnen und Zeugen. Dabei ist ein Teil bereits abgehandelt: Im April hatte eine Untersuchungsrichterin die Vergleichsangebote von ASPI und ihrer früheren Wartungseinheit SPEA angenommen. Die beiden Unternehmen zahlten insgesamt rund 30 Millionen Euro, um ein vollständiges Verfahren zu vermeiden. Die Staatsanwaltschaft hatte sich mit dem Vergleich einverstanden erklärt.

Dort wo das Viadukt einstürzte, steht seit 2020 eine neue, vom Stararchitekten Renzo Piano entworfene Brücke, die Ponte San Giorgio. In der Nähe soll zum Gedenken an die Opfer ein Park angelegt werden.