LKW steht auf eingestürzter Morandi Brücke in Genua
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43 Tote

Brückeneinsturz von Genua: Prozess beginnt

Die Bilder vom 14. August 2018 haben sich nicht nur den Menschen in Italien ins Gedächtnis eingebrannt. Nun, vier Jahre später, beginnt die gerichtliche Aufarbeitung. 59 Personen sind ab Donnerstag in dem Mammutprozess angeklagt. Sie müssen den Vorwurf kontern, die altersschwache Morandi-Brücke aus Geldgier nicht ausreichend instand gehalten zu haben.

Der strömende Regen an dem Hochsommertag vor vier Jahren war der letzte Anstoß, der die Morandi-Brücke, offiziell Polcevera-Viadukt, zum Einsturz brachte. Die Fahrbahn brach ein, Autos und Lkws stürzten in die Tiefe, zum Teil auf darunter liegende Häuser. 43 Menschen starben.

Nun müssen sich in der ligurischen Hauptstadt hochrangige Manager des Autobahnbetreibers Autostrade per l’Italia (ASPI) verantworten. Das Unternehmen betreibt fast die Hälfte des italienischen Autobahnnetzes. Seit dem Einsturz wird ASPI beschuldigt, die Brücke nicht ausreichend instand gehalten zu haben.

ASPI stand damals unter Kontrolle der börsennotierten Atlantia-Holding der Familie Benetton. Die Familie verkaufte inzwischen ihren Anteil für acht Milliarden Euro an den Staat, ASPI kam damit unter staatliche Kontrolle. Der ehemalige Chef von Atlantia, Giovanni Castelluci, sitzt nun auf der Anklagebank.

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Eingestürzte Brücke in Genua
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Während eines schweren Unwetters stürzte 2018 das 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, auch Morandi-Brücke genannt, auf rund 100 Meter Länge ein
Brücke in Genua
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Die Brücke war Teil der Autobahn 10, eine wichtige Verbindung nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei
Eingestürzte Brücke in Genua
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Unter den 43 Todesopfern waren Insassen von Fahrzeugen, die zu dem Zeitpunkt über die Brücke fuhren, und Mitarbeiter der darunter befindlichen städtischen Müllentsorgers AMIU
Eingestürzte Brücke in Genua
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Der Lkw, der monatelang nach dem Einsturz an der Abrisskante stand, wurde zum Symbol für das Unglück. Das Polcevera-Viadukt wurde 1967 eingeweiht, führte im Westen von Genua unter anderem über Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet und dicht an bebautem Gebiet vorbei. Das Viadukt hatte eine Gesamtlänge von 1.182 Metern. Zum Zeitpunkt der Tragödie waren Bauarbeiten im Gange.
Eingestürzte Brücke in Genua
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Nach dem Unglück gab es zahlreiche Gerüchte, mafiöse Machenschaften inklusive. Experten hatten nach dem Unglück erklärt, der Einsturz sei wegen der vielen baulichen Mängel an der Spannbetonbrücke vorhersehbar gewesen.
Rettungskräfte nach Einsturz von Brücke in Genua
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Tagelang suchten die Einsatzkräfte unter den Betontrümmern nach möglichen Überlebenden
Eingestürzte Brücke in Genua
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Die Katastrophe entflammte die Debatte über die teils marode Infrastruktur. Die Betreibergesellschaft ASPI wurde in der Folge verstaatlicht
Eingestürzte Brücke in Genua
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Der Staatsanwaltschaft zufolge waren Schäden an der Brücke lange vor dem Unglück bekannt
Eingestürzte Brücke in Genua
Stefano Rellandini
Nun müssen sich 59 Personen vor Gericht verantworten
Sprengungen auf Brücke
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Die Reste der Morandi-Brücke wurden gesprengt
Neue San Giorgio Brücke in Genua
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Statt ihrer steht nun die von Renzo Piano entworfene Ponte San Giorgio

Viele schwere Vorwürfe

Auch bei den anderen Angeklagten handelt es sich zum Teil um hochrangige Manager des Autobahnbetreibers, um Fachleute und höhergestellte Beamte des Verkehrsministeriums in Rom. Die Vorwürfe lauten auf Fahrlässigkeit, Behinderung der Verkehrssicherheit, Fälschung und vorsätzliches Weglassen von Sicherheitsvorkehrungen.

Giovanni Castellucci
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Giovanni Castellucci

Der Staatsanwaltschaft von Genua zufolge hatten die meisten Verdächtigen mit dem Einsturz der in den 1960er Jahren gebauten Brücke gerechnet und trotzdem nichts unternommen. Dabei sei es um höhere Dividenden für Aktionäre gegangen, so der Vorwurf. Schäden am Bauwerk sollen schon lange vor dem Einsturz bekannt gewesen sein.

„Sie sind wegen einer Brücke gestorben, die nie gewartet wurde, um mehr Profit zu machen“, sagte Giorgio Robbiano, der Bruder, Schwägerin und Neffen durch den Brückeneinsturz verlor, zur Nachrichtenagentur AFP. Die Familie war damals zu einer Geburtstagsfeier unterwegs und stürzte mit dem Auto in die Tiefe. Die Betreiber müssten zur Rechenschaft gezogen werden, so Robbiano: „Ich will, dass sie sich für ihre Taten verantworten müssen.“

Auch Egle Possetti verlor drei Familienmitglieder. Nun ist sie Sprecherin der Angehörigen. „Wir hoffen, dass der Prozess zügig voranschreitet und endlich die Wahrheit um die Fahrlässigkeit bei der Instandhaltung der Brücke ans Licht kommen wird“, so Possetti. Doch mit einem schnellen Verfahren rechnete sie nicht. „In Italien sind Prozesse langwierig und gehen leider für die Opfer oft nicht gut aus.“ Sie habe sich vom ersten Tag an im Stich gelassen gefühlt.

Prozess: Einsturz der Morandi-Brücke

Am Donnerstag beginnt in Genua der Prozess zum Einsturz der Morandi-Brücke. 59 Menschen stehen vor Gericht, 178 Menschen sind als Zeugen geladen.

Teilvergleich geschlossen

Der Prozess ist umfangreich, geladen sind fast 180 Zeuginnen und Zeugen. Dabei ist ein Teil bereits abgehandelt: Im April hatte eine Untersuchungsrichterin die Vergleichsangebote von ASPI und ihrer früheren Wartungseinheit SPEA angenommen. Die beiden Unternehmen zahlten insgesamt rund 30 Millionen Euro, um ein vollständiges Verfahren zu vermeiden. Die Staatsanwaltschaft hatte sich mit dem Vergleich einverstanden erklärt.

Neue San Giorgio Brücke in Genua
APA/AFP/Andreas Solaro
Renzo Piano entwarf die Nachfolgerbrücke Ponte San Giorgio. Sie wurde 2020 eingeweiht

Dort wo das Viadukt einstürzte, steht seit 2020 eine neue, vom Stararchitekten Renzo Piano entworfene Brücke, die Ponte San Giorgio. In der Nähe soll zum Gedenken an die Opfer ein Park angelegt werden.