Treffen der Administrative des Europäischen Parlaments
Europäisches Parlament/Daina Le Lardic
„Hinterzimmerdeal“

Wirbel um Topjob in EU-Parlament

Die Nachbesetzung des Postens des Generalsekretärs im Europäischen Parlament sorgt für Aufregung. Wie „Politico“ am Dienstag schreibt, mehrt sich der Widerstand gegen einen „Hinterzimmerdeal“ mehrerer Fraktionen, der nicht nur die Besetzung der Topposition regelt – sondern gleichzeitig weitere neue lukrative Jobs schafft. Selbst innerhalb der an dem Deal beteiligten Fraktionen wird das „Postenschacherprinzip“ kritisiert. Beim Ringen um das Budget mit dem Rat könnte das die Position des Parlaments deutlich schwächen.

Konkret geht es um die Nachfolge des Deutschen Klaus Welle, der seit 2009 Generalsekretär im Parlament war und mit Jahresende seinen Posten räumt. Nun wünscht sich die Europäische Volkspartei (EVP) einen Nachfolger aus den eigenen Reihen – laut „Politico“ schlug man den Italiener Alessandro Chiocchetti, Chef im Kabinett von Präsidentin Roberta Metsola, vor. Mit ins Boot für diesen Vorstoß hat man sich ungewohnte Partner geholt: Neben den Liberalen von Renew Europe handelte man auch gemeinsam mit den Linken einen Deal aus – und warb mit lukrativen Zuckerln.

Der anvisierte Nachfolger Chiocchetti gilt nämlich als äußerst umstritten: Er kommt aus dem Umfeld des italienischen Politikers Marcello Dell’Utri, der wiederum Ex-Premier Silvio Berlusconi beraten hatte. Dell’Utri wurde wegen Kontakten zur Mafia verurteilt und sitzt seit Jahren in Haft.

Zwar werden Chiocchetti weder Korruption noch Verbindungen zur Mafia vorgeworfen, doch die Nähe zu Berlusconi sorgte durchaus für Kritik. Einwände gegen seine Bestellung als Generalsekretär gibt es aber in erster Linie wegen des Vorwurfs der Freunderlwirtschaft. Einige Parlamentarier und Beamte erachten den Italiener als nicht geeignet für den Posten – nicht zuletzt sollen, so schreibt „Politico“, die Anforderungen in der Stellenausschreibung kurzfristig heruntergeschraubt worden sein.

Neue Generaldirektion als Entgegenkommen

Als Gegenleistung enthält der Deal der EVP eine neue Generaldirektion im Parlament, geleitet von den Linken, so „Politico“ weiter. Es wäre die 13. für das Parlament – und soll für „parlamentarische demokratische Partnerschaften“ zuständig sein. Details, was genau in den Aufgabenbereich fällt, gibt es bisher kaum, offenbar besteht aber die Sorge, dass es Überschneidungen mit bestehenden Sektionen gibt. Und freilich steht damit der Vorwurf im Raum, dass das Parlament vor allem lukrative neue Posten schafft.

EP-Generalsekretär Klaus Welle
Europäisches Parlament/Daina Le Lardic
Der bisherige Generalsekretär Welle hat seit 2009 den Posten inne

Parlamentsbudget könnte blockiert werden

Nun mehrt sich der Widerstand – auch außerhalb des Parlaments. Denn auch die EU-Mitgliedsstaaten kritisieren den Deal offenbar: Die Politisierung von Posten sei in Brüssel zwar üblich, man solle dann aber wenigstens eine qualifizierte Person befördern, sollen Diplomaten laut „Politico“ gesagt haben. Schlagend könnte das werden, weil die Budgetverhandlungen des Parlaments mit den Mitgliedsländern anstehen – und das Parlament deutlich mehr Geld fordert. Nun soll laut „Politico“ eine Gruppe von 18 Ländern diesen Vorschlag blockieren.

Bewegung gibt es aber offenbar auch bei den Liberalen, die den Deal an sich stützen: Die Niederländerin Sophie in ’t Veld schrieb an ihre Renew-Kollegen, dass sie nicht verstehe, warum man einen Deal unterstütze, der „einen Topjob für einen gänzlich ungeeigneten EVP-Kandidaten sichert und gleichzeitig den Ruf des Parlaments beschädigt“, zitiert „Politico“ aus dem Mail.

Gamon kritisiert „Postenschacherprinzip“

Kritik kommt auf Nachfrage von ORF.at auch von den österreichischen EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentariern. NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon, die im EU-Parlament ebenfalls Renew angehört, sagte: „Ich verurteile diese Hinterzimmerdeals. Das EU-Parlament setzt beim Thema Transparenz hohe Standards an die EU-Kommission, und diese muss es im eigenen Haus vorleben. Ich verlange ein Ende des Postenschacherprinzips. Stattdessen muss das EU-Parlament auf volle Transparenz und nachvollziehbare Prozesse setzen.“

Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des Europaparlaments, verweist in einer Stellungnahme auf die laufende Bestellung: „Es gibt ganz klare und eindeutig festgelegte Regeln für die Bestellung des neuen Generalsekretärs. Das Präsidium des Europaparlaments hat am 4. Juli beschlossen, diese Stelle auszuschreiben“, so Karas. Nun laufe die Bewerbungsfrist. „Das Präsidium des Parlaments wird sich dann nach dem Sommer mit der Frage der Neubesetzung beschäftigen.“

Scharfe Kritik von SPÖ, FPÖ und Grünen

Parlamentsvizepräsidentin Evelyn Regner (SPÖ) verwies auf die „politische und geografische Ausgewogenheit der Verwaltung“ – und auf die Frauenförderung. „Besonders unter diesen Gesichtspunkten ist das aktuell im Raum stehende Personal- und Verwaltungspaket ungenügend und ein Alarmsignal und schadet dem Ansehen unserer Institution als Ganzes“, so Regner. Das EU-Parlament stehe für „Offenheit und Transparenz“ und sei nicht „die Spielwiese für die machtpolitischen Ambitionen einzelner Fraktionen“.

Für Harald Vilimsky (FPÖ) sind derartige Deals „keine Überraschung“, heißt es in einem Statement, diese zeigten die „Intransparenz innerhalb der EU-Institutionen. Im Grunde werden in einer Zeit, in der es Europa und seinen Bürgern immer schlechter geht, hoch dotierte Posten geschaffen bzw. weiterbesetzt“, so Vilimsky.

Bei den Grünen sieht man die Bestellung ähnlich kritisch – und verweist auf die Aussagen der grünen Parlamentsvizepräsidentin Heidi Hautala. Diese sagte, man solle einen „qualifizierten“ Kandidaten in einem transparenten Verfahren bestellen. Immer wieder wird auch ein ähnlicher Fall in der EU-Kommission aufgebracht: Dort wurde 2018 Martin Selmayr praktisch über Nacht als Generalsekretär bestellt – was ausgerechnet die scharfe Kritik des EU-Parlaments nach sich zog.

Personal: Parlament wird zum „Gespött der Kommission“

Am Dienstag legte dann auch noch das Personal im Parlament nach: Gewerkschaften und Personalvertretung schrieben in einem Brief, dass das Parlament „zum Gespött der Kommission und der anderen Institutionen“ geworden sei. „Wie kann das Parlament es jemals wagen, fragwürdige Verfahren an anderer Stelle zu kritisieren, nachdem es diese Farce abgesegnet hat“, heißt es in dem Brief weiter.

Nach der Kritik von allen Seiten wackelt Chiocchettis Bestellung jedenfalls gehörig. Renew-Chef Stephane Sejourne kritisierte am Montag die Debatte – räumte aber gleichzeitig ein, dass der Deal nicht an einen „bestimmten Namen“ gebunden sei, so „Politico“. Die Bewerbungsfrist für die Stelle endet am 1. August.