Fans überreichen Blumen an Harry Styles bei einem Konzert in New York.
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Harry Styles

Popsuperstar, den fast alle mögen

Mit seiner „Love on Tour“ zieht das einstige Boyband-Idol Harry Styles dieser Tage eine Spur der Liebenswürdigkeit durch Europas Konzerthallen. Am Samstag gastiert Styles in Wien, Federboa-Geflatter ist programmiert. Manche empfinden den Regenbogenglitzer des Popsuperstars aber geradezu verdächtig nett.

Warum eigentlich nicht. „Vielleicht können wir ja einen Ort finden zum Wohlfühlen und Leute freundlich behandeln?“, singt der Chor in „Treat People With Kindness“. Im Glitzersakko tanzt Styles da über eine Bühne, an seiner Seite Phoebe Waller-Bridge, die Erfinderin und Hauptdarstellerin der Erfolgsserie „Fleabag“, Gesicht einer Generation von Frauen, die mit ihren Unzulänglichkeiten humorvoll umgehen und damit sehr erfolgreich sind. Styles holt sich die Guten an seine Seite, immer wieder. Er hat ein Gefühl dafür, und wohl auch gute Beratung.

Seit dem Erfolg seines Albums „Harry’s House“ (2022) – ein bisschen 1980er Jahre, ein bisschen The Weeknd und in über 20 Ländern mehrere Wochen an der Spitze der Albumcharts – kann auch das deutschsprachige Feuilleton nicht mehr an Styles vorbei. „Utopie in Pink“ titelte „Die Zeit“ vergangene Woche, deren Konzertkritik ein gewisses Unbehagen angesichts so vieler fröhlicher Menschen in Rosa abzulesen ist. „Der Alles-richtig-Macher“ schrieb die „Augsburger Allgemeine“, die das Konzert in Hamburg als „wahnsinnig nett und wahnsinnig stimmig“ schildert.

Musiker Harry Styles bei den Grammy-Awards in LA.
AP/Chris Pizzello
Harry Styles als Ikone seiner Generation: Mit dem richtigen Look und viel lässiger Freundlichkeit

Der „Rolling Stone“ hatte ihm schon vor drei Jahren als „Rock Star des 21. Jahrhunderts“ eine Ausgabe gewidmet. Die amerikanische „Vogue“ hob ihn im Dezember 2020 aufs Titelblatt, als ersten Mann überhaupt, in einer Gucci-Robe. Das kann nicht jeder tragen, Styles kann. Federboas, strassbesetzte Catsuits, Nagellack, auffällige Muster: Was vor fünfzig Jahren einer wie David Bowie vormachte, das macht Styles jetzt auch wieder.

Der Riecher von Teenagermädchen

Dabei war der Anfang seiner Karriere im Teenidol-Schmuddeleck, bei jener Zielgruppe, deren Vorlieben dem ernsthaften Musikkritiker eigentlich grundsätzlich suspekt sind. Das war schon in den 1950er Jahren beim jungen Elvis so, bei den frühen Beatles vor den großen Hits, viel später bei Take That und ’NSYNC. Dass danach auch Robbie Williams und Justin Timberlake musikalisch wesentliche Karrieren hingelegt haben, bezweifelt heute niemand mehr. Aber zuerst einmal fanden sie jene peinlich, die hauptberuflich über Musik schreiben. Die Vorlieben hormonell herausgeforderter Teenagermädchen können doch schließlich nichts wert sein. Oder?

Auf der Weltbühne war Styles als Teil der Boyband One Direction angekommen, 2010 zusammengestellt aus fünf begabten Kandidaten der britischen Castingshow „The X-Factor“. Sechs Jahre lang waren One Direction erfolgreich, auch in den USA, etwa 2012 mit dem Song „What Makes You Beautiful“, in dem es irgendwie auch darum geht, dass ein zu selbstbewusstes Mädchen unsexy ist. Rückblickend klingt das etwas blamabel, aber verfasst hatte den Song immerhin Hitfabrikant Savan Kotecha, der auch für Christina Aguilera, Katy Perry und Britney Spears geschrieben hat.

Gelungene Wandlung

Zehn Jahre später ist Styles als Solokünstler bereits routiniert. Er schreibt an seinen Songs selbst mit, und seit seinem Album „Harry Styles“ (2017) hat er seine One-Direction-Bandkollegen in Sachen Popularität und Originalität weit überholt. Die aktuelle Platte aus dem Mai ist nun endgültig erfolgreicher Konsenspop, mit Botschaften von Selbstermächtigung, Fürsorge und Rücksichtnahme.

„Es scheint, dass ihm einer der schwierigsten Tricks im Popgeschäft gelungen ist – die Wandlung vom künstlich fabrizierten, Gekreische provozierenden Teenidol zum erwachseneren Künstler, und zwar effektiver als jedem anderen seit Justin Timberlake“, schrieb der „Guardian“ zu seinem neuen Album.

Musiker Harry Styles bei einem Auftritt im Madison Square Garden in New York
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Styles im Kleid: 2020 als kleiner Aufreger auf dem „Vogue“-Cover, 2022 in roter Strumpfhosenkombi beim New-York-Konzert

„Achtet aufeinander!“

So ganz stimmt das nicht: Styles hat auch seine One-Direction-Fans nicht vergessen. Sie sind mit ihm erwachsen geworden, und manchmal, versteckt irgendwann in der Mitte des Konzerts, singt er ihnen noch einmal „What Makes You Beautiful“, peinlich hin oder her. Auf YouTube lässt sich das nachvollziehen, komplette Konzerte sind da in wackeliger Smartphone-Qualität nachzuerleben.

Dass sein Plattenlabel die Videos zumindest vorerst nicht offline nehmen lässt, begründet sich wohl auch in ihrer Wirksamkeit als Antriebsmotor der Tour. Wobei die Tour so oder so hervorragend läuft, Eltern begleiten ihre Kinder freiwillig zum Konzert, die gute Laune ist ansteckend. Eine „Family Show“ sei sein Konzert, sagt er, und immer wieder bittet er „Achtet aufeinander“, einmal sogar, vielleicht ein bisschen dick aufgetragen: „Fasst einander an den Händen und sagt euren Nächsten, dass ihr sie liebt!“

Glitzer und Offenheit

Liebenswürdige Anekdoten spicken die Tour. Beim Konzert in Manchester etwa unterbrach er sein Set, um sich bei seiner ehemaligen Lehrerin zu bedanken, die persönlich anwesend war. Offensichtlich ist Styles gewillt, bei jeder Show auch sein Publikum aktiv miteinzubeziehen: Wie das funktioniert, wissen die Fans auch aus den Konzertvideos. In Paris etwa las er ein Schild vor, auf dem ein Mädchen von seinem eifersüchtigen Freund schrieb, und ermahnte den Burschen, seine Freundin nicht zu kontrollieren, sonst: „Bye-bye!“

Beim Konzert in Hamburg wiederum bat ihn eine gewisse Lisa schriftlich, sie bei ihrem Coming-out zu unterstützen, worauf er mit Regenbogenfahne über die Bühne rannte. Eben diese Geduld und Offenheit gegenüber Fans, mögen sie auch wenigstens teilweise kalkuliert sein, machen viel von Styles’ Reiz aus. Und auch sein Flirt mit dem Androgynen, dem Zulassen von Interpretationen, der Offenheit für unterschiedliche Zuschreibungen.

„Ich weiß schon, manche Künstler sind Arschlöcher und sehr gute Künstler. Ich versuche halt, kein Arschloch zu sein“, sagte er kürzlich im Interview mit dem „Guardian“, um dann nachzuschieben: „Vielleicht sollte ich ja anfangen, im Supermarkt Babys zu erschrecken?“

Die Schauspielwiese

Die Musik ist nicht seine einzige Spielwiese. 2017, praktisch zugleich mit seinem Solodebüt, kam Christopher Nolans Weltkriegsdrama „Dunkirk“ ins Kino, in dem Styles einen jungen, verzweifelten Soldaten spielte. Im Abspann von Chloe Zhaos Marvel-Verfilmung „Eternals“ (2021) hatte er eine Minirolle, die auf weiteres Engagement schließen lässt. Styles’ Zielgruppe ist breiter geworden. Er hat die Teenager nicht vergessen, aber orientiert sich nun auch in Richtung Erwachsenenwelt.

Seine Lebensgefährtin ist die um zehn Jahr ältere Regisseurin und Schauspielerin Olivia Wilde. Die Liaison ist vor allem künstlerisch spannend: Auch Wildes Regiedebüt „Booksmart“ (2019) richtete sich an Teenagermädchen, eine Komödie, die Klischees resolut zurechtbeutelte und eine hormonell und sozial herausfordernden Lebensphase augenzwinkernd porträtierte.

In ihrem zweiten Spielfilm „Don’t Worry Darling“ (geplanter Kinostart: September) spielt nun Styles mit. Die Geschichte handelt von einer blitzblanken, verlogenen 1950er-Jahre-Vorstadt und dürfte, so viel man weiß, als Gesellschaftsparabel in einem drastischen Patriarchatzerschmettern münden. Die Teenagermädchen von früher könnten sich eventuell interessiert zeigen.