Demonstranten auf dem Regierungsgebäude in Colombo
Reuters/Adnan Abidi
Keine Entspannung

Sri Lankas Premier verlangt Militäreinsatz

Im krisengebeutelten Sri Lanka spitzt sich die Lage weiter zu. Nach der Flucht von Staatschef Gotabaya Rajapaksa richtete sich der Zorn der Demonstranten schnell gegen Premier Ranil Wickremesinghe, der übergangsweise zum Präsidenten ernannt worden war. Sein Büro im Präsidentenpalast wurde gestürmt. In einer Fernsehansprache rief Wickremesinghe Polizei und Armee auf, sie sollten tun, „was immer nötig ist“, um die Ordnung wieder herzustellen.

Wickremesinghe sagte, die Demonstranten wollten ihn daran hindern, seine Pflichten als Übergangspräsident auszuüben. „Wir dürfen es nicht zulassen, dass Faschisten die Macht übernehmen.“ Zur Beendigung der Massenproteste wurde zuerst eine Ausgangssperre für Sri Lankas Westprovinz verhängt, zu der auch Colombo gehört. Später wurde die Ausgangssperre auf das ganze Land ausgedehnt.

Die Armee reagierte auf die Aufforderungen Wickremesinghes abwartend. Sri Lankas Verteidigungschef, General Shavendra Silva, sagte, die Streitkräfte und die Polizei würden die Verfassung respektieren. „Wir haben die politischen Führer aufgefordert, über das weitere Vorgehen zu entscheiden, bis ein neuer Präsident vereidigt ist, und uns und die Öffentlichkeit bis heute Abend zu informieren“, sagte Silva.

Flucht über Malediven

Premier Wickremesinghe hatte sich am Wochenende eigentlich – wie auch Präsident Rajapaksa – zum Rücktritt bereiterklärt. Am 20. Juli will das Parlament einen neuen Staatschef wählen. Im Vorfeld wurde die Bildung einer Einheitsregierung versprochen. Wickremesinghe forderte Mittwochabend Parlamentspräsident Mahinda Yapa Abeywardena auf, für das Amt des Premierministers rasch einen überparteilichen Kandidaten zu finden. Der neue Regierungschef müsse für die Opposition und die gegenwärtige Regierungspartei akzeptabel sein, sagte er.

Sri Lankas Premier Ranil Wickremesinghe
Reuters/Adnan Abidi
Premier Wickremesinghe soll übergangsweise auch als Präsident fungieren

Rajapaksa hatte seinen Rücktritt für diesen Mittwoch in Aussicht gestellt. Doch noch in der Nacht war er mit seiner Ehefrau auf die Malediven geflohen. Von dort aus soll er laut Medienberichten weiter nach Singapur oder in die Vereinigten Arabischen Emirate reisen. Es wird vermutet, dass Rajapaksa mit der Ausreise als amtierender Präsident einer Festnahme entgehen wollte. Als Präsident genoss er Immunität, die er nach seinem Rücktritt verloren hätte.

Wut richtet sich auf Premier

Noch vor seiner Ausreise habe der Staatschef angewiesen, den bisherigen Regierungschef Wickremsinghe „zum amtierenden Präsidenten zu ernennen“, sagte Parlamentspräsident Yapa Abeywardana in einer kurzen Fernsehansprache. Zur Entspannung der Lage trug diese Entscheidung keineswegs bei.

Bereits vor der offiziellen Mitteilung über die Einsetzung Wickremesinghes hatten sich wütende Demonstranten zum Amtssitz des Premiers aufgemacht. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Menschen vor. Dennoch gelang es zahlreichen Demonstranten, in die Büroräume Wickremesinghes vorzudringen. Bereits am Samstag hatten Demonstranten Wickremesinghes Privatresidenz in Brand gesetzt.

Regierungskritiker stürmten am Mittwoch außerdem den wichtigsten staatlichen Fernsehsender Rupavahini. Ein Eindringling verlangte während einer Livesendung, der Sender dürfe nur noch Nachrichten mit Bezug zu den Protesten senden. Das Programm wurde unterbrochen und durch eine voraufgezeichnete Sendung ersetzt.

Familiendynastie zwei Jahrzehnte an der Macht

Die Rajapaksa-Dynastie regierte Sri Lanka in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Neben dem Präsidenten waren seine Brüder Mahinda und Basil bis zu ihren Rücktritten im Frühjahr Premier- beziehungsweise Finanzminister. Ebenso hatte eine Reihe weiterer Mitglieder des Clans hohe Regierungsposten inne.

Mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 2015 und 2019 regierten die Rajapaksas seit 2005 das Land. Es überrascht daher nicht, dass zuletzt auch Basil Rajapaksa aus dem Land geflohen ist. Es wird spekuliert, dass sich dieser auf den Weg in die USA gemacht hat.

Schwere Wirtschaftskrise

Der Inselstaat südlich von Indien mit seinen etwa 22 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen durchlebt die schwerste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948. Die Wut der Menschen speist sich unter anderem aus dem seit Monaten bestehenden Mangel an Treibstoff und Gas zum Kochen, aber auch aus fehlenden Medikamenten und Lebensmitteln.

Auch die hohe Inflation und stundenlange Stromausfälle sorgen für großen Unmut. Ein Grund dafür ist, dass Einnahmen aus dem wichtigen Tourismus im Zuge der Coronavirus-Pandemie eingebrochen sind. Dem stark verschuldeten Land fehlt das Geld, um wichtige Güter zu importieren.

Nach Präsidentenflucht: Palast besetzt

Nach der Flucht von Sri Lankas Staatschef Gotabaya Rajapaksa auf die Malediven sind Einheimische weiter in Scharen in den besetzen Präsidentenpalast geströmt. Nun wurde ein landesweiter Notstand ausgerufen. Der Inselstaat südlich von Indien durchlebt die schwerste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948.

Angesichts der Krise hat die Regierung unter anderem den Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie Indien, China, Russland und andere Länder um Hilfe gebeten. Das UNO-Nothilfebüro warnte im Juni, die schwere Wirtschaftskrise könne eine sich anbahnende Hungerkrise in Sri Lanka verschärfen. Das Land war zuvor zehn Jahre lang auf einem guten Entwicklungsweg und kam ohne humanitäre UNO-Hilfe aus.