Person bedient eine Gastherme
ORF.at/Christian Öser
Weniger Gas für Haushalte?

Drosselung würde bereits technisch scheitern

Angesichts stockender Gaslieferungen aus Russland werden Rufe nach einer Änderung der Notfallregeln laut: Man müsse darüber nachdenken, ob Haushalte wirklich gegenüber der Industrie bevorzugt werden, so die Devise. Abseits der politischen Implikationen scheitern solche Forderungen freilich bereits an den technischen Gegebenheiten. Am Ende wird es bei den Haushalten um Freiwilligkeit gehen – wie auch die ersten Einblicke in den Gasnotfallplan der EU deutlich machen.

Wird es sich in diesem Winter in Europa mit dem Gas ausgehen – und falls ja, zu welchen Kosten? Angesichts der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland bestimmt diese Frage zunehmend die politische Debatte – und zieht noch weitere Fragen nach sich. Eine dieser Fragen lautet: Wer soll im Fall der Fälle auf Gas verzichten müssen?

Die gesetzliche Lage ist hier klar: In den entsprechenden EU-Richtlinien und -Verordnungen und den daraus resultierenden nationalen Gesetzen ist Folgendes festgelegt: Auch im Lenkungsfall muss für „geschützte Kunden“ und die „Wärmeversorgung der Privathaushalte“ die Gasversorgung sichergestellt sein. Mit anderen Worten: Während (großen) Industriebetrieben im Falle einer Gasmangellage der Gashahn zugedreht werden könnte, würde an Haushalte so lange wie möglich Gas fließen.

Zündstoff für schwelende Debatte

Aber ist das angesichts einer womöglich über Monate reichenden Mangellage noch vertretbar? Die Frage war in den vergangenen Tagen vermehrt zu hören. Ex-EU-Energiekommissar Günther Oettinger stellte sie etwa vergangene Woche. Und der deutsche Energieminister Robert Habeck (Grüne) meinte im Rahmen seines Wien-Besuches am Dienstag, angesichts monatelanger Unterbrechungen passten europäische Vorgaben nicht genau und müssten eventuell nachgeschärft werden.

Deutscher Vizekanzler Robert Habeck
ORF.at/Peter Pfeiffer
Aussagen Habecks im Rahmen seines Wienbesuches befeuerten die Debatte in Deutschland

Schnell war vielerorts zu lesen, dass Habeck die Priorisierung infrage stelle. Dass der deutsche Minister eigentlich laut über einen EU-weiten Solidaritätsmechanismus nachgedacht hatte, ging vielfach unter. Entsprechend war Habecks Büro tags darauf damit beschäftigt, zu kalmieren und die Sicht zurechtzurücken.

In Deutschland lieferten die Aussagen des Wirtschaftsministers einer bereits schwelenden Debatte weiteren Zündstoff. Die Priorisierung zugunsten von privaten Verbraucherinnen und Verbrauchern müsse dringend geändert werden, hieße es etwa vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Und auch in Österreich fielen die – bisweilen aus dem Zusammenhang gerissenen – Aussagen von Oettinger und Habeck bei manchen auf fruchtbaren Boden. „Die Industrie darf bei einem Gasstopp aus Russland nicht sanktioniert werden. Die Politik hat die entsprechenden Gesetze rasch zu ändern“, war am Mittwoch etwa in einem Kommentar im „Kurier“ zu lesen.

Gasnetz auf mehreren Ebenen

Was solche Forderungen allerdings geflissentlich übersehen: Schon allein technisch wäre eine Änderung der Priorisierung schwierig bis unmöglich. Das hat auch mit dem Aufbau des Gasnetzes zu tun. Dessen oberste Ebene bilden die großen Verteilerleitungen, mit denen das Gas überregional mit hohem Druck transportiert wird. Von dort zweigen die Leitungen der Ebene zwei ab. Manche Großabnehmer wie Industriebetriebe oder Gaskraftwerke werden direkt über die Ebene zwei gespeist. Die überwiegende Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher und jedenfalls alle Haushalte hängen noch einmal eine Stufe darunter an der Netzebene drei.

Eine Großgasdruckanlage der Wiener Netze
Wiener Netze/Manfred Tucherl
Je höher die Netzebene, desto höher der Druck in den Leitungen

Tatsächlich würden Gasheizungen und Gasherde deshalb im Falle eines ganz desaströsen Gasmangels als Letzte ausgehen. Ist in den Speichern kaum noch Gas vorhanden und wird nur wenig neues Gas ins Netz eingespeist, sinkt der Druck. Für Großverbraucherinnen und -verbraucher in der Netzebene zwei kann das schnell zum Problem werden. Ihre Anlagen sind auf einen hohen Gasdruck ausgelegt. In der untersten Netzebene herrscht aber ohnehin ein viel geringerer Druck. Gasthermen könnten also auch bei einer akuten Gasmangellage noch weiterlaufen. Dass es zu einer solchen Situation kommt, soll ja aber eben die Notfallpriorisierung verhindern.

Nur ganz ein oder ganz aus

Wer im Zuge von Lenkungsmaßnahmen aber nun die Haushalte einschränken möchte, müsste eben bei der Netzebene drei ansetzen. Nur: Eine Drosselung der Gaslieferungen in dieser Ebene sei technisch schlicht nicht möglich, heißt es von den Wiener Netzen gegenüber ORF.at. Auch die Absperrungen einzelner lokaler Versorgungsnetze auf der Niederdruckebene sei aufgrund der engen Vermaschung des Gasnetzes kaum möglich.

Und selbst wenn dies ginge, hieße das für den Gasfluss aber auch: entweder ganz ein oder ganz aus – und zwar für alle Verbraucherinnen und Verbraucher, die am Versorgungsnetz hängen, ganz egal, ob es sich um Wohnungen, einen Gewerbebetrieb oder ein Krankenhaus handelt.

Genauso wenig lässt sich der Gasverbrauch einfach für jeden Haushalt einzeln begrenzen. Das fängt schon damit an, dass sich der Zählerstand nur direkt bei jedem Gasanschluss an Ort und Stelle ablesen lässt. Und ebenso müsste dann jedem Haushalt bei einer Überschreitung, wieder an Ort und Stelle, manuell der Gashahn zugedreht werden – eine wohl reichlich absurde Vorstellung.

Appelle, Kampagnen und der Preis

Überlegungen, die Gasversorgung der Privathaushalte per Vorgaben zu rationieren, würden an der praktischen Umsetzung scheitern, meint denn auch Carola Millgram von der E-Control gegenüber ORF.at. Die Gasexpertin hält es auch für sehr unwahrscheinlich, dass solche Ansätze ernsthaft überlegt werden.

Tatsächlich scheint die Politik derzeit bei den Haushalten in erster Linie auf Appelle und Bewusstseinsbildung zu setzen. Das gilt auch für den Gasnotfallplan, den die EU-Kommission kommende Woche präsentieren möchte. In einem am Donnerstag bekanntgewordenen Entwurf schlägt die Kommission den EU-Staaten zwar etwa für öffentliche und kommerzielle Gebäude eine verpflichtende Begrenzung der Raumtemperatur vor. Im Hinblick auf die Haushalte setzt man aber auf umfangreiche Sparkampagnen.

Privathaushalte sollen etwa aufgerufen werden, den „Thermostat um ein Grad herunterzudrehen“. „Je höher die Reduzierung durch freiwillige Maßnahmen ist, desto geringer ist die Notwendigkeit obligatorischer Einschränkungen für die Industrie“, so der Entwurf. Abseits von Kampagnen und Appellen wird diesen Winter wohl noch ein weiterer ganz handfester Grund Menschen Energie sparen lassen: Bei der derzeitigen Entwicklung der Energiepreise wird es für viele keine Frage der Wahl sein, ob sie sparen oder nicht.