Ronnie Wood , Mick Jagger, Keith Richards und Steve Jordan auf der Bühne
APA/Hans Klaus Techt
Konzert im Happel-Stadion

Gute-Laune-Party mit den Rolling Stones

Vor 56.000 Zuschauerinnen und Zuschauern haben die Rolling Stones am Freitagabend im Wiener Ernst-Happel-Stadion bei ihrem 17. Österreich-Konzert eine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben: Können sie’s noch oder ist es schon peinlich? Mit der Tour feiert die Band ihren 60er, die Auftritte sind aber auch eine Würdigung des vor einem Jahr verstorbenen Drummers Charlie Watts.

Friedlich strömten die Besucherinnen und Besucher zum Stadion und harrten in den langen Schlangen aus. Es gab auch Bänke zum Ausruhen. „Kumm Papa, setzt di nieda“, wurde einem Herrn von seiner Tochter empfohlen, die dann noch nachschoss: „I hätt den Hocker vom Nova Rock für di mitnehmen solln für drinnen.“ Das Alter der Zuschauer: gemischt, wie auch die Typologie. Eingefleischte Stones-Veteranen, die ihre Trinkfestigkeit einmal mehr wacker auf die Probe stellten, bis hin zu braven Poloträgern, die fürs Selfie ganz schüchtern und verschämt die Metal-Pommes-Gabel mit den Händen formten.

Das „Stones oder Beatles?“ der 60er Jahre war das „Bilderbuch oder Wanda?“ der österreichischen Zehnerjahre. Für Freitagabend war die Frage entschieden: Stones und Bilderbuch. Für die Wahl der Vorband ist bei den Stones Gerüchten zufolge Mick Jagger persönlich zuständig. Wenn’s wahr ist – eine große Ehre, und Bilderbuch erwiesen sich als würdig.

Fans vor Konzertbeginn
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Volksfeststimmung schon vor dem Eingang

Die Bilderbuch-Performance

Irgendwo „Zwischen deiner und meiner Welt“ legten Bilderbuch los: „Hey, Wien!“ In der vorderen Hälfte der Stehplatzränge wurden Hände geschwungen und mitgesungen, weiter hinten herrschte noch Betriebsamkeit bei der Suche nach Bier, Freunden und Sitzplätzen. „This is a fucking Rolling Stones concert. Give me your hands!“ Das Stadion klatschte mit, auch viele von jenen, die Bilderbuch ganz offensichtlich nicht kannten.

Ein galaktisches Gitarrensolo von Michael Krammer und eine humorvolle Nackte-Oberkörper-Performance von Maurice Ernst folgten, beides mutig vor Stones-Publikum, aber es funktionierte. Ernst nutzte die Räume, bei „Bungalow“ rannte er die Stege auf und ab, als wäre er Jagger persönlich. Und bei „Maschin“ wurde dann bis in die letzte Reihe gejubelt. Mehr kann man aus dem undankbaren Job, für die Stones anzuheizen, nicht herausholen. Respekt.

Ronnie Wood , Mick Jagger und Keith Richards auf der Bühne
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Ronnie Wood, Mick Jagger und Keith Richards: Die Chemie auf der Bühne passt

„Charlie fehlt uns sehr“

Die Stones eröffneten unter frenetischem Jubel mit einem Watts-Tribute-Video. Als erster Song folgte „Street Fighting Man“. Jagger im Glitzersakko und lila Hemd – dasselbe Outfit wie in Spielberg vor fünf Jahren, das ist Nachhaltigkeit. Keith Richards im Zebraoberteil und Ronnie Wood im roten Sakko spielten einander lachend an, Jagger in Pose, die Stimmung innerhalb der Band passte von Sekunde eins an – und das übertrug sich aufs Publikum, auch wenn es noch taghell war.

„Let’s Spend the Night Together“ regte zu ausgelassenem Tanzen an, selbst auf den Sitzplätzen. Jagger wandte sich auf Deutsch ans Publikum: „Das ist die erste Tour ohne Charlie. Und er fehlt uns sehr.“ Watts war bei den Stones ein Jahr nach ihrer Gründung eingestiegen. Als er vor über einem Jahr bereits schwer krank war, suchte Watts den neuen Drummer Steve Jordan selbst aus – zumindest als Ersatz für damals geplante Konzerte. Die Band mag Jordan unter anderem deshalb, weil er sich viele kleine spielerische Eigenheiten von Watts abgeschaut hat.

 Ronnie Wood, Keith Richards und Steve Jordan auf der Bühne
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Der neue Drummer Steve Jordan ist in der Band gut angekommen

„Schön, wieder in Wien zu sein“, freute sich Jagger, bevor die Stones mit „Like a Rolling Stone“ von Bob Dylan weitermachten. Der Song ist dort angekommen, wo er hingehört, nicht einmal das Mundharmonikasolo von Jagger störte. „How does it feel?“ Gut, fand das Publikum offensichtlich. Den Refrain sangen Jagger und Richards einträchtig zusammen, das Stadion sang mit.

Voting für „Wild Horses“

Dass es hier ganz offensichtlich um Spaß ging, zeigte sich bei der humorvoll marimbaphonierten Version von „Out of Time“. Zweimal täglich macht Jagger bis heute seine Stimmübungen – und tatsächlich sang er mit voller Stimme, die nichts von seinem Alter erahnen ließ. In elf Tagen wird er 79 Jahre alt.

Schon vor dem Konzert durfte das Publikum online einen Song auswählen. Jagger, wieder auf Deutsch: „Der Song, den ihr ausgewählt habt: ‚Wild Horses‘.“ Selten gab es einen schöneren Liebesbeweis als den jenes Teenagersohnes, dessen Vater bei „Wild Horses“ im Sitzplatzbereich eskalierend tanzte, der sich trotzdem nicht abwandte, sondern sogar tapfer mitwippte. Das Schauspiel setzte sich dann bei einer langen Version von „Living in a Ghost Town“ fort, mit Blickrichtung auf die Bühne, von der nicht ganz klar war, was sie darstellen sollte: eine Höhle mit zwei Fenstern in einem bunten Kabelsalatberg?

Rolling Stones in Wien

Freitagabend haben die Rolling Stones im Wiener Ernst-Happel-Stadion gespielt. 56.000 Fans waren beim Konzert dabei.

Psychedelische Höhen mit „Paint It Black“

Bei einer psychedelischen Version von „Paint It Black“ stellte die Stadionkamera die Übertragung auf Schwarz-Weiß um. Die aktuell live gespielte Version erfindet den alten Song noch einmal neu und treibt ihn weiter, hin zum bisherigen Höhepunkt des Konzerts. Mit riesiger Spielfreude folgte „Honky Tonk Woman“. Anders als in Spielberg saß diesmal auch jeder Ton von Richards, ganz ohne ungewollter Dissonanzen.

„Mein Hawara Keith Richards“

Immer wieder wurde das Konzert zur Plauderstunde. Jagger liebt Wien, aber es sei keine gute Stadt zum Abnehmen. Er war im Schweizerhaus auf eine Stelze und dann im Sacher auf Sachertorte. Und dann auf ein paar Ottakringer beim Würstelstand: „Meine Diät ist kaputt.“ Das Beweisfoto vom Würstelstand sieht man auf Instagram. Wood stellte er vor als den „Picasso of the Prater“.

Und – sagte er das tatsächlich? – Gesang und Gitarre, „mein Hawara Keith Richards“ – der dann seinerseits dem Publikum seine Liebe bekundete. Was genau er sagte, weiß nur der Drummer, weil sich Richards dabei vom Mikro abwandte. Dem er sich für zwei Solosongs dann wieder zuwandte, was ein echter Wiener im Publikum so liebevoll wie treffend kommentierte: „Sänger is er kana.“ Man liebt Richards, also hält man so etwas durch.

Gitarrensoli-Paartanz von Richards und Wood

Im Blues-Teil des Konzerts folgte auf eine gut zehnminütige Version von „Miss You“ eine gut fünfzehnminütige, polternde Version von „Midnight Rambler“, mit einem gelungenen Gitarrensoli-Paartanz von Richards und Wood. Jagger war überall präsent auf der riesigen Bühne. Mit seinen katzenartigen „Moves like Jagger“ streifte er über die Stege, da kamen über den Abend verteilt wohl ein paar Kilometer zusammen.

Funkensprühende Visuals tauchten die Bühne bei „Sympathy for the Devil“ in tiefes Rot. Jagger trug jetzt Grün unter dem Glitzersakko, das war wohl dem Kontrast geschuldet. Das Publikum war nach den drei ausladenden Songs in eine Art bluesige Trance verfallen, aus der es mit „Start Me Up“ abrupt herausgerissen wurde, gefolgt von einem hochenergetischen „Gimme Shelter“, dessen pazifistischer Text von Ukraine-Bildern unterlegt wurde.

Entspannt und energiegeladen zugleich

„Are you feeling good?“ Ja doch. „Jumping Jack Flash“ Was auf der Bühne an diesem Freitagabend passierte, war alles, nur keine Routinearbeit. Es gibt keine zweite Band, die gleichzeitig so entspannt und so energiegeladen ist. Nach 60 Jahren Bandgeschichte und 240 Millionen verkauften Alben kann man es ganz offensichtlich angstfrei genießen, vor 56.000 Menschen zu spielen, und auch die Bandchemie scheint weitaus besser, als sie es in der Vergangenheit mitunter war.

Als Zugabe folgte zunächst „You Can’t Always Get What You Want“, begleitet von einem ukrainischen Kinderchor. In den Visuals sah man Drohnen- oder Satellitenbilder eines zerstörten Stadtgebiets. Das war gut gemeint, die Kombination mit dem Refrain wirkte jedoch unfreiwillig zynisch: „You Can’t Always Get What You Want“? Für die Kinder war es jedenfalls eine große Show, die sie sichtlich genossen.

Fans im Ernst-Happel-Stadion
APA/Hans Klaus Techt
Rund 56.000 Fans zahlten stolze Preise für die Tickets im Ernst-Happel-Stadion

Abschied mit „Satisfaction“

Und dann feierte das ganze Stadion, es gab kein Halten: „(I Can’t Get No) Satisfaction“. Alle tanzten, alle filmten – es wird auf Insta ein paar Zehntausend extra verwackelte Liveversionen geben. Da war auch der erste und einzige kurze Gitarrenpatzer, ob von Wood oder Richards, egal, gestört hat es niemanden. Wichtig war nur: Die Stones boten ein Fest der guten Laune und des Rock ’n’ Roll. Man merkt den Herren ihr Alter wirklich nicht an.

Dabei war der Auftritt im Happel-Stadion schon der 17. der Stones in Österreich. Zum ersten Mal betraten sie im Jahr 1965 eine heimische Bühne. Damals spielten sie in der Wiener Stadthalle in der ursprünglichen Besetzung, von der heute nur noch Jagger und Richards geblieben sind. Ihr letztes Österreich-Konzert spielten sie vor fünf Jahren im steirischen Spielberg vor 95.000 Fans. Das war ebenfalls ein großer Erfolg – und eine Gatschpartie, von der man sich noch lange erzählen wird.

Wie alles begann

Und genau vor 60 Jahren und drei Tagen spielten die Stones ihr allererstes, legendäres Konzert im Londoner Marquee Club, nachdem sie davor nur in Garagen aufgetreten waren, wie Richards kürzlich im Interview mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa erzählte. Der 18-jährige Richards trat im Anzug auf, Jagger bewegte sich noch nicht wie Jagger. Nervös sollen sie gewirkt haben auf die 100 Gäste, die dem Vernehmen nach wenig beeindruckt gewesen sein sollen.

Fünf Pfund pro Person erhielten die Stones damals angeblich für ihren Auftritt. Die günstigsten Tickets am Freitagabend kosteten 130 Euro. Das wäre auch auf die damalige Zeit umgelegt mehr gewesen, als die ganze Band verdient hat. Abgeschreckt hat der Preis offenbar kaum jemanden, das Stadion war gut gefüllt. Und es ist schwer vorstellbar, dass jemand meint, nicht auf seine oder ihre Kosten gekommen zu sein.