Mario Draghi bei Pressetermin
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Regierung zerbröselt

Italien-Krise zum schlechtesten Zeitpunkt

Als „Super Mario“ ist Italiens Ministerpräsident Mario Draghi gefeiert worden, mit seinem Kurs hat er seit der Amtsübernahme im Jahr 2021 das Land sogar teils zum Musterschüler Europas gewandelt. Mit seinem – abgelehnten – Rücktrittsangebot befindet sich Italien nun aber einmal mehr in einer Regierungskrise. Der Zeitpunkt inmitten des Ukraine-Krieges und seiner Folgen ist denkbar ungünstig. Ganz Europa fürchtet um seine Stabilität.

Mit der drittgrößten Volkswirtschaft der EU spielt Italien eine wesentliche Rolle auf dem Kontinent – und galt dabei lange Zeit als Sorgenkind. Erst Anfang 2021 sah es zuletzt düster aus: Die damalige Koalition brach auseinander, statt einer Neuwahl holte Präsident Sergio Mattarella jedoch Draghi aus der Pension zurück und beauftragte ihn kurzerhand mit der Bildung einer Regierung, die aus einem Parteienbündnis von links bis rechts außen auf dem Spektrum besteht.

Seither war ein Kurswandel zu beobachten, Italien galt unter Draghi wieder als stabiler Pfeiler in Europa. Angesichts des Ukraine-Krieges und der zahlreichen Probleme, die dadurch neu entstanden oder verschärft wurden, hoffte man wohl europaweit, diesen Zustand auch in Zukunft beibehalten zu können.

EU verfolgt Entwicklung „mit besorgtem Erstaunen“

„In dieser unruhigen Zeit mit Krieg, hoher Inflation, Energierisiken und geopolitischen Spannungen ist Stabilität ein Wert an sich, und ich denke, dass wir in dieser Zeit Zusammenhalt und nicht Instabilität brauchen. Wir verfolgen die Entwicklung in Italien mit Distanz, aber auch mit besorgtem Erstaunen“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Donnerstag, noch bevor die Situation in Rom eskalierte.

Senat in Rom, Vogelperspektive
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Das Votum am Mittwoch führte zum Rücktrittsgesuch von Draghi

Doch von der Stabilität ist in Italien plötzlich nicht mehr viel übrig: Draghi suchte um seinen Rücktritt bei Präsident Mattarella an, dieser lehnte ihn ab – und schickte Draghi zurück ins Parlament, wo er kommende Woche um das Überleben der Regierung kämpfen muss. Auslöser für das Rücktrittsgesuch war die Abstimmung über ein milliardenschweres Hilfspaket, das mit einem Vertrauensvotum gekoppelt war. Der Koalitionspartner, die Fünf-Sterne-Bewegung, blieb der Abstimmung fern – Draghi zog daraus die Konsequenzen.

Regierungskrise in Italien

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat bei Staatschef Sergio Mattarella seinen Rücktritt eingereicht. Dieser hat Draghis Gesuch jedoch abgelehnt.

„In den letzten Tagen habe ich mich bemüht, den gemeinsamen Weg fortzusetzen und sogar versucht, die Forderungen der politischen Kräfte an mich zu erfüllen. Wie die heutige Debatte und Abstimmung im Parlament zeigt, haben diese Bemühungen nicht ausgereicht“, sagte der parteilose Ministerpräsident.

Vorgezogene Neuwahl gilt als umstritten

Jetzt bleibt die Frage, wie es in Italien weitergeht: Im Raum steht jedenfalls eine vorgezogene Neuwahl – ein Vorschlag, der die Parteien in der Koalition spaltet. Die Sozialdemokraten (PD – Partito Democratico) hoffen etwa auf eine Fortsetzung des Regierungskurses bis zum Ende der Legislaturperiode im kommenden Frühling. „Wir arbeiten für die Fortsetzung einer Allparteienregierung“, sagte der sozialdemokratische Arbeitsminister Andrea Orlando.

Die Lega hingegen drängt auf eine Neuwahl, es sei „undenkbar, dass Italien in einem so dramatischen Moment wochenlang gelähmt bleibt. Niemand sollte Angst vor einer Neuwahl haben.“ Eine Zusammenarbeit mit der Fünf-Sterne-Bewegung sieht man bei der Lega nicht mehr: „Nach dem, was passiert ist, will Mitte-Rechts Klarheit und nimmt zur Kenntnis, dass es nicht mehr möglich ist, auf die Fünf-Sterne-Bewegung zu zählen“, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung von Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis konservativer Forza Italia.

Ebenfalls auf eine Neuwahl drängt die Oppositionspartei Brüder Italiens (FdI – Fratelli d’Italia). Parteichefin Giorgia Meloni, aufsteigender Stern am europäischen Populistenfirmament, hofft auf einen Wahlsieg. Laut Umfragen könnte Melonis Partei mit über 20 Prozent bei einer Neuwahl als stärkste Einzelpartei abschneiden. Vorgezogene Wahlen im Herbst wären jedoch ungewöhnlich, weil in dieser Zeit traditionell der Haushalt vorbereitet wird, der bis Ende des Jahres verabschiedet werden muss. Draghis Regierung ist bereits das dritte Kabinett in dieser Legislaturperiode.

„Können Glaubwürdigkeit und Vertrauen nicht verlieren“

„Italien kommt ohne Mario Draghi nicht aus“, schrieb der zur Forza Italia gehörende Minister für öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, auf Twitter. „Wir können die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen, das wir uns in Europa und der Welt erworben haben, nicht in solchen schwierigen Zeiten verlieren.“ Eine Übergangsregierung könne keine Reformen umsetzen, die für EU-Mittel zur Bewältigung der CoV-Krise nötig seien, und keine Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise ergreifen, sagte unterdessen Außenminister Luigi Di Maio im Radio. „Eine vorgezogene Wahl (…) ist ein Problem für das Land.“

Italiens Außenminister Luigi Di Maio und Premierminister Mario Draghi
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Di Maio (re.) sieht eine vorgezogene Wahl als „Problem für das Land“

Doch auch wenn es nicht zu einer vorgezogenen Neuwahl kommt, bedeutet das nicht automatisch eine Rückkehr zur Stabilität in Rom. Ganz im Gegenteil könnte das nur ein erster Vorgeschmack bis zum eigentlichen Wahltermin im kommenden Jahr gewesen sein – denn die Fünf-Sterne-Bewegung entzog Draghi das Vertrauen, weil dieser auf zahlreiche Forderungen der Partei nicht einging – andere Parteien könnten folgen und die Situation zum offenen Machtkampf innerhalb der Koalition eskalieren lassen.

Probleme gibt es neben dem Ukraine-Krieg auch innerhalb der eigenen Grenzen zur Genüge: Die CoV-Fallzahlen steigen rasant – ebenso die Inflation. Auch die Energiepreise sind wie in ganz Europa ein heikles Thema für Italien. Und dann kommt aktuell auch noch die schlimme Dürre dazu, die für Milliardenschäden in der Landwirtschaft sorgt.

Draghi mit starker Position gegen Russland

Auf europäischer Ebene könnte ein Ende der Ära Draghi jedenfalls dazu führen, dass auch der Kurs gegenüber Russland ins Stocken gerät. Draghi setzte sich etwa prominent für einen Preisdeckel bei Öl und sogar Gas ein, auf dem letzten Gipfel der Staats- und Regierungschefs forderte er zudem einen weiteren Sondergipfel zu diesem Thema – ein Vorschlag, der zwar abgelehnt wurde, aber durchaus zeigt, dass Draghi hier treibende Kraft ist.

ORF-Korrespondentin Vospernik analysiert die Regierungskrise

ORF-Korrespondentin Cornelia Vospernik kommentiert aus Rom das von Präsident Mattarella zurückgewiesene Rücktrittsgesuch von Ministerpräsident Mario Draghi.

Nervös ist man freilich auch auf den Finanzmärkten: Der wichtigste Aktienindex an der Mailänder Börse gab zwischenzeitlich nach, am Freitag beruhigten sich die Märkte etwas. „Wir beobachten mit völliger Ungläubigkeit die politischen Entwicklungen. Es werden Verpflichtungen ignoriert, die die Regierung eingegangen ist. Diese totale Verantwortungslosigkeit hinterlässt uns sprachlos“, sagte Carlo Bonomi, Präsident des Industrieverbands Confindustria.

Damit steht wohl spätestens kommende Woche nicht nur für Italien, sondern für die ganze EU eine richtungsweisende Entscheidung auf dem Programm. Die politische Zukunft Draghis wird zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt entschieden – die Folgen daraus könnten sich jedenfalls weit über die Landesgrenzen hinaus auswirken.