Nord Stream 1 Empfangsstation
AP/Markus Schreiber
„Nord Stream 1“

Gasprom halbiert Liefermenge

Russland fährt die Gaslieferungen durch die nach Deutschland führende Ostsee-Pipeline „Nord Stream 1“ noch einmal drastisch zurück. Wie der russische Gasprom-Konzern am Montag mitteilte, werden die täglichen Lieferungen ab Mittwochfrüh auf 33 Millionen Kubikmeter Gas zurückgefahren. Das entspricht in etwa 20 Prozent der Kapazität der Pipeline, die derzeitigen Liefermengen erreichen rund 40 Prozent.

Gasprom begründete die erneute Kürzung der Liefermenge mit der notwendigen Wartung einer Turbine, was etwa von „Nord Stream 1“-Hauptabnehmer Deutschland stark angezweifelt wird. Die neuerliche Drosselung zeichnete sich allerdings ab. Kreml-Chef Wladimir Putin drohte bereits vor rund einer Woche mit einer neuerlich reduzierten Gaslieferung, sollte eine zur Wartung nach Kanada geschickte Turbine nicht rechtzeitig wieder zur Verfügung stehen.

Dank einer Ausnahmegenehmigung ist die reparierte Turbine bereits seit Anfang letzter Woche wieder in Deutschland und liegt an sich bereit zum Weitertransport nach Russland. Geht es nach dem deutschen Wirtschaftsministerium, gebe es für die neuerliche Drosselung auch sonst keinen bisher bekannten und erkennbaren „technischen Grund“.

Behörde nimmt Ankündigung „zur Kenntnis“

Das bestätigt auch die in Deutschland für die Regulierung der Gasmärkte zuständigen Bundesnetzagentur. „Es gibt nach unseren Informationen keinen technischen Grund für eine Reduktion der Lieferungen“, zitierte AFP eine Sprecherin der Behörde. Laut Bundesnetzagentur habe man die Gasprom-Ankündigung „zur Kenntnis genommen“ und werde im engen Austausch mit dem Wirtschaftsministerium und dem Krisenteam Gas die Lage weiter sehr genau beobachten.

Gewessler: Putin nutzt Lieferungen, um Europa zu spalten

Auch Österreichs Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) sagte am Montagabend im ZIB2-Interview, die Drosselung erfolge nicht aus „technisch nachvollziehbaren Gründen“. Putin nutze Energielieferungen, um Europa zu spalten – es sei kein Zufall, dass die Ankündigung knapp vor dem Gipfel der EU-Energieminister stattfinde. In Österreich müsse man sich jedoch weniger Sorgen machen als in Deutschland, da „Nord Stream 1“ nicht die zentrale Versorgungsroute sei.

Nach Wartung mit 40 Prozent wieder gestartet

Russland hatte im Juni die Liefermenge unter Verweis auf eine defekte Turbine, die in Kanada repariert wurde, bereits zweimal gekürzt. Wegen der im Ukraine-Konflikt gegen Moskau verhängten Sanktionen konnte die Turbine zunächst nicht nach Russland geliefert werden. Inzwischen haben sich Deutschland und Kanada auf eine Rückgabe der reparierten Turbine geeinigt.

Erst vergangene Woche hatte Russland die Gaslieferungen über „Nord Stream 1“ nach zehntägigen Wartungsarbeiten wieder aufgenommen – im Umfang von 40 Prozent. Insgesamt hat die Pipeline laut Gasprom eine Kapazität von täglich 167 Millionen Kubikmetern Gas.

Unmittelbar vor der Bekanntgabe der neuerlichen Drosselung der Gaslieferungen legte Gasprom im Streit über die in Kanada gewartete Gasturbine nach. Das Unternehmen habe Unterlagen vom zuständigen deutschen Konzern Siemens Energy erhalten, aber es seien immer noch Fragen offen im Zusammenhang mit den von der EU und Großbritannien verhängten Sanktionen.

„Kanada hat notwendige Ausnahmegenehmigung erteilt“

Das deutsche Wirtschaftsministerium widersprach dieser Darstellung. Dort herrscht ohnehin die Einschätzung, die bereits gewartete Turbine werde von Russland nur als Vorwand genutzt, um den Gasdurchfluss zu reduzieren und damit im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine Druck auf Deutschland und die Europäische Union auszuüben.

Die Turbine SGT-A65
Siemens AG
In der „Nord Stream 1“-Debatte steht seit Wochen eine Siemens-Turbine im Fokus

„Die sanktionsrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen für die Auslieferung der in Rede stehenden Turbine liegen vor“, sagte eine Sprecherin. „Kanada hat die nach kanadischem Recht notwendige Ausnahmegenehmigung erteilt. Nach den EU-Sanktionsrecht ist keine Ausnahmegenehmigung erforderlich.“

Siemens: „Transport könnte sofort starten“

„Der Transport der Turbine ist vorbereitet und könne sofort starten“, teilte am Montag Siemens Energy mit. „Was allerdings fehlt, sind erforderliche Zolldokumente für den Import nach Russland. Diese Informationen können nur vom Kunden bereitgestellt werden.“ Alle weiteren Dokumente für die Ausfuhr nach Russland lägen bereits seit Anfang vergangener Woche vor.

ZIB-Korrespondent Pfeifer über gedrosselte Gaslieferung

ZIB-Korrespondent Andreas Pfeifer berichtet, wie die neuerliche Gasverknappung durch Gasprom von der deutschen Bundesregierung eingeordnet wird.

Auch bei der als Routine bezeichneten Wartung der Turbine habe es laut Siemens Energy „keine wesentlichen Komplikationen“ gegeben. „Wir sehen daher zum jetzigen Zeitpunkt keinen Zusammenhang zwischen der Turbine und den durchgeführten bzw. angekündigten Gasdrosselungen.“

Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck warf Putin in diesem Zusammenhang ein „perfides Spiel“ vor. „Es gibt keine technischen Gründe für die Lieferkürzungen. Die Turbine steht zur Auslieferung an Russland bereit.“ Auch die Ausfuhrdokumente von Siemens Energy lägen vollständig vor, aber Russland verweigere die Ausstellung der Einfuhrdokumente, so Habeck, der gegenüber der dpa hier noch anmerkte: „Russland bricht Verträge und gibt anderen die Schuld.“

EU-Kommission: Bestätigt Analyse

Ähnlich sah das am Montag auch die EU-Kommission: Die Ankündigungen einer weiteren Drosselung der Gaslieferungen aus Russland sehe man als Beleg für die Notwendigkeit von gemeinschaftlichen europäischen Notfallplanungen. Genau diese Art von Szenario habe Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und das Kollegium dazu veranlasst, ein Vorschlag zur Solidarität beim Gassparen vorzulegen, sagte ein Sprecher. Diese Entwicklung bestätige die eigene Analyse, und man hoffe, dass der Rat der Mitgliedsstaaten eine angemessene Antwort beschließen werde.

Selenskyj: Russland beginnt offenen Gas-Krieg mit Europa

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht in der weiteren Drosselung russischer Gaslieferungen nach Europa eine Form von Moskaus „Terror“ gegen den Westen. „Und das ist ein offener Gaskrieg, den Russland entfacht gegen das vereinte Europa“, sagte Selenskyj am Montag in seiner abendlichen Videobotschaft. Russland mache es Europa damit absichtlich schwer, sich auf den Winter vorzubereiten.

Das Land zeige damit einmal mehr, dass es sich nicht für das Schicksal der Menschen interessiere. Das Land lasse die Menschen durch die Blockade ukrainischer Getreideausfuhren hungern sowie unter Kälte, Armut und Besatzung leiden.

Gaspreis steigt auf 175 Euro

Die Ankündigung von reduzierten Lieferungen durch Russland hat sich unterdessen beim dem als richtungsweisend geltenden Terminkontrakt an der Energiebörse in den Niederlande mit einem deutlichen Preisanstieg bemerkbar gemacht. Am Montag stieg der Preis je Megawattstunde auf 175 Euro – das ist im Vergleich zum Freitag ein Plus von 7,7 Prozent.

Geht es nach Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller, seien selbst beim bisherigen „Nord Stream 1“-Niveau von 40 Prozent „erhebliche Anstrengungen“ notwendig, „um gut über den ersten Winter zu kommen“. Kommen nur noch 20 Prozent der Maximalkapazität aus der Pipeline, dürfte es entsprechend schwieriger werden, wie Müller zuletzt anmerkte. Als „Worst Case“ gilt ein völliger Lieferstopp. In diesem Fall erwarten Beobachter schwere Folgen für Industrie und Bevölkerung.