Viktor Orban, Premierminister von Ungarn
APA/AFP/Ludovic Marin
Orban bei Nehammer

Heikler Besuch, symbolisch aufgeladen

Mit verbalen Entgleisungen hat Ungarns Premier Viktor Orban kürzlich erneut für Empörung gesorgt. Am Donnerstag wird der Regierungschef in Wien mit militärischen Ehren empfangen. Dem Besuch gehen Appelle voraus, sich von Orban zu distanzieren – alles andere wäre auch unglaubwürdig, so die Ungarn-Expertin Daniela Apaydin im Gespräch.

Man wolle nicht zu „Gemischtrassigen“ gehören, die EU solle nicht an der Seite der Ukraine stehen, die Kraft der westlichen Zivilisation sei im Schwinden begriffen. Orban holte bei seiner Rede vergangene Woche in Rumänien aus. Erneut fiel auch der Name des jüdisch-amerikanischen Investors George Soros im Zusammenhang mit einer Attacke, dieses Mal bedachte er auch die Deutschen mit einem Untergriff.

„Da ist zum Beispiel der neueste Vorschlag der EU-Kommission, der besagt, dass jeder seinen Gasverbrauch verpflichtend um 15 Prozent senken soll. Ich sehe nicht, wie das erzwungen werden soll, obwohl es dafür deutsches Know-how gibt, von früher, meine ich“, sagte er in offenkundiger Anspielung auf die Gaskammern des Nazi-Regimes.

Die Empörung folgte auf dem Fuße. Das Internationale Auschwitz Komitee zeigte sich „alarmiert und entsetzt“, der Verband der jüdischen Gemeinden in Ungarn äußerte „ernste Bedenken“ – mehr dazu in religion.ORF.at. Orbans enge Vertraute seit 20 Jahren, Zsuzsa Hegedüs, verglich ihn mit Joseph Goebbels und trat zurück. Die Rede in Rumänien sei über die Grenzen der Akzeptanz hinausgegangen, schrieb sie. In Österreich forderten SPÖ, NEOS und die Universitätenkonferenz Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) dazu auf, klar Stellung zu beziehen, wenn Orban am Donnerstag Wien besucht.

„Aussagen sind zu kritisieren“

Der ungarische Regierungschef wird in Wien mit militärischen Ehren empfangen, mittags gibt es eine Pressekonferenz mit beiden Regierungschefs. Schwerpunktthemen des Treffens sind laut Bundeskanzleramt der Ukraine-Krieg und die illegale Migration.

In einer Aussendung des Bundeskanzleramts hieß es, die beiden Länder seien „auf allen Ebenen eng miteinander verbunden“, man teile Interessen und kooperiere wirtschaftlich wie politisch. „Österreich und Ungarn arbeiten eng zusammen, um irreguläre Migration zu bekämpfen und vor allem den Schleppern das Handwerk zu legen. Diese bilateralen Kooperationen sind notwendig, weil das europäische Asylsystem nicht mehr funktioniert.“ Auf Twitter schrieb Nehammer zusätzlich: „Ich freue mich darauf, Viktor Orban in Wien zu begrüßen!“

Bis Mittwoch schwieg der Kanzler auf die Vorwürfe und Appelle, sich von Orban zu distanzieren. Schließlich ließ er wissen, dass er die Aussagen bei Orban ansprechen werde: „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich das direkte Gespräch nicht scheue“, so Nehammer. „Alles, was mit Verharmlosung zu tun hat, ist für uns inakzeptabel“, es gebe daher keine „Zweifel, dass die Aussagen natürlich zu kritisieren sind“.

Suche nach Weg aus Isolation

So wie einige seiner Regierungsmitglieder ist Orban derzeit viel auf Reisen, kommende Woche wird er in Texas auf einer Konferenz der Republikaner sprechen. In der EU ist Ungarn nach zahllosen Eklats und Provokationen weitgehend isoliert. Orbans Partei FIDESZ ist nicht mehr Teil der Europäischen Volkspartei (EVP).

Die Visegrad-Allianz ist zerbrochen. Zwischen Ungarn und Brüssel herrscht weiterhin der Konflikt um die Rechtsstaatlichkeit, die EU-Kommission fror Milliardenzahlungen aus dem CoV-Aufbaufonds ein. Zuletzt sorgte noch die ungarische Absicht, in Russland um Gaslieferungen zu bitten, für Ärger in Brüssel.

Orban wolle mit seinem Besuch in Wien Auswege aus der Isolation finden, so die Ungarn-Expertin Daniela Apaydin vom Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM). „Mit seiner Präsenz in einem westeuropäischen Land will er auf der symbolischen Ebene Legitimation erreichen“, so Apaydin zu ORF.at.

Unbeabsichtigtes Timing

Für Nehammer komme der Besuch zu einer heiklen Zeit, „das Timing war wohl nicht so beabsichtigt“. Die Visite wurde festgelegt, bevor Orban seine Rede in Rumänien hielt. Bilaterale Besuche seien legitim und notwenig, so Apaydin. „Das hätte man aber dennoch wissen können, denn seine jährlichen Reden in Rumänien vor der ungarischen Volksgruppe sorgten in der Vergangenheit schon mehrmals für Skandale. Im Jahr 2014 etwa prägte Orban in Rumänien sein Verständnis von der Idee einer ‚illiberalen Demokratie‘“.

Apaydin erwartet, dass sich Nehammer von Orbans Aussagen distanzieren wird, alles andere sei im Hinblick auf den Kampf gegen Antisemitismus unglaubwürdig. Nehammer vollführe eine Gratwanderung, wo er eigentlich Brückenbauer sein wolle. „Eine Distanzierung würde Orban auch nicht wehtun, schließlich waren seine jüngsten Aussagen kein Versehen. Orban will die Debatte lenken und auch von inneren und äußeren Problemen ablenken“, so Apaydin.

Ministerpräsident Orban zu Besuch in Wien

Am Donnerstag ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban zu Gast bei Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Der Besuch ist durchaus umstritten, nachdem Orban vor Kurzem einen geschmacklosen Gaskammerwitz gemacht hatte. Mittlerweile distanzieren sich sogar engste Vertraute von Orban.

Orban selbst ließ am Mittwoch wissen, er sei kein Rassist, er könne „ab ovo“ keiner sein. Ein Brief an seine langjährige und nun zurückgetretene Mitstreiterin Hegedüs wurde von Budapest veröffentlicht. „Wir kennen uns ewig und du kennst meine Auffassung, nach der der liebe Gott jeden Menschen nach seinem Bild erschaffen hat“, so Orban darin.

Kritik aus den Universitäten

Im Vorfeld des Treffens wiesen die Österreichische Universitätenkonferenz (uniko) und die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH) einmal mehr auf die Bedrohung der akademischen Freiheit und universitären Autonomie in Ungarn hin. Ungarn habe bei der letzten Erhebung des „Academic Freedom Index“ im Jahr 2021 den schlechtesten Wert innerhalb der Europäischen Union erzielt, so uniko-Präsidentin Sabine Seidler. Sie appellierte in einer Aussendung an Kanzler Nehammer, schwerwiegende Verstöße gegen die Freiheit von Wissenschaft und Lehre beim Treffen ebenso anzusprechen wie die Versuche der Regierung, die Autonomie der Universitäten zu beschneiden und kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Als Beispiel nannte sie die Aushöhlung der Autonomie der Budapester Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE), was 2020 zu monatelangen Studentenprotesten geführt hatte, sowie den erzwungenen Umzug der privaten Central European University (CEU) im Jahr 2019 von Budapest nach Wien. Nehammer müsse gerade jetzt deutliche Worte finden. „Gerade im Hinblick auf unsere Geschichte haben wir eine Verantwortung, die autoritären und faschistischen Entwicklungen Ungarns zu benennen“, zitierte die ÖH in einer Aussendung von Vorsitzendenstellvertreterin Naima Gobara.