Nur einen Tag nach dem Besuch von der US-amerikanischen Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi hat China wie angedroht mit beispiellosen Militärmanövern begonnen und unter anderem Raketen abgefeuert. Geschosse schlugen in den Gewässern nördlich, südlich und östlich von Taiwan ein.
Der jahrzehntelange Konflikt rund um den Status der demokratisch regierten Insel ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert nicht mehr so heißgelaufen – und noch nie waren Militärübungen in der auch von zivilen Schiffen stark genutzten Taiwan-Straße nach Angaben des chinesischen Staatssenders CCTV so groß angelegt. Insgesamt sollen die Manöver zu Wasser und zu Luft noch bis Sonntag dauern.
Pelosi-Besuch Taiwans provoziert China
Nancy Pelosi, die drittmächtigste Politikerin der USA, reiste Anfang der Woche nach Taiwan und versprach dem Inselstaat die Solidarität. China sieht seine Souveränitätsansprüche über den Inselstaat verletzt und antwortete mit Militärmanövern vor Taiwan.
Neben der Sorge um eine mögliche militärische Eskalation des Konfliktes ziehen die Militärübungen auf der Taiwan-Straße auch wirtschaftliche Bedenken mit sich – gilt sie doch als global wichtige Handelsroute für Gas, elektrische Geräte und auch Halbleiter, bei deren Produktion und Vertrieb Taiwan eine zentrale Rolle in der globalen Wertschöpfungskette einnimmt.
Taiwans Chipindustrie global unangefochten
Bei der Auftragsfertigung von Chips hat der Inselstaat einen globalen Marktanteil von 60 Prozent, erklärt der WU-Wirtschaftsprofessor Harald Oberhofer im APA-Gespräch. Allein auf den taiwanesischen Branchenriesen TSMC entfallen mehr als 50 Prozent. Die Produktion für Hochleistungschips für Smartphones und Computer sei bei TSMC derart komplex, dass kaum andere Firmen weltweit sie beherrschen würden, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“). Rund zwei Drittel aller Chips weltweit werden Marktforschern von TrendForce zufolge in Taiwan hergestellt.
Ein Ausfall der Produktion in Taiwan hätte enorme Auswirkungen für die Weltwirtschaft, wo die Halbleiter von Mobiltelefonen und Computern bis hin zu Elektroautos in fast allen Technologiebereichen gebraucht werden. Bisher habe man aber noch keine zusätzlichen Lieferschwierigkeiten wegen der chinesischen Manöver wahrgenommen, sagte Hermann Ortner, Delegierter der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh.
Taiwans Rolle in der Weltwirtschaft
Sollte China eine Blockade über Taiwan verhängen, wären die wirtschaftlichen Schockwellen groß. Taiwan ist weltweit der wichtigste Hersteller von Elektronikchips. 2020 kam ein Fünftel aller Exporte in diesem Bereich von der Insel.
Experte: Störung der Lieferketten unvermeidlich
China-Experte James Char vom S.-Rajaratnam-Institut für internationale Beziehungen in Singapur hält es aber für „unvermeidlich“, dass die internationalen Lieferketten durch die Militärmanöver zusätzlich gestört werden. Handelsexperte Nick Marro vom Forschungsunternehmen Economist Intelligence Unit warnt, eine Unterbrechung der Schifffahrtsrouten rund um Taiwan würde nicht nur den Inselstaat treffen, sondern auch die Exportnationen Südkorea und Japan.
Der Taiwan Taiex Shipping and Transportation Index – darin sind die größten taiwanischen Unternehmen im Bereich Schifffahrt und Luftverkehr zusammengefasst – ist seit Beginn der Woche bereits um 4,6 Prozent gesunken. Nach Beginn der Militärmanöver am Donnerstag gab er um 1,05 Prozent nach.
„Die Taiwan-Straße ist eine der am stärksten befahrenen Meerengen der Welt. Sollte sie geschlossen werden, hätte das natürlich dramatische Auswirkungen auf die Schifffahrtskapazitäten“, zitiert das „Wall Street Journal“ („WSJ“) Soren Skou, Vorstandsvorsitzender von A.P. Moller-Maersk. Gleichzeitig müsse jedoch erwähnt werden, dass eine Schließung aktuell nicht absehbar sei.
Neben Militärmanövern auch Taifune Risikofaktoren
Taiwans Schifffahrtsbehörde hat Frachter in den Gewässern nördlich, östlich und südlich der Insel bereits davor gewarnt, die Gebiete zu durchfahren, in denen China die Manöver abhält. Mehrere Reedereien erklärten aber auf Anfrage von AFP, sie würden zunächst die Auswirkungen der Manöver abwarten, bevor sie die Routen ihrer Schiffe änderten.
Einige wiesen darauf hin, dass es wegen der Taifunsaison aktuell riskant sei, Schiffe durch die Philippinensee zu schicken. Andere teilten mit, sie sähen keinen Grund für eine Routenänderung. „Wir sehen momentan keine Auswirkungen und wir planen keine Routenänderungen“, sagte etwa die Sprecherin von Maersk China, Bonnie Huang.
Flugrouten sind auf jeden Fall gestört. In den vergangenen zwei Tagen wurden in der Taiwan gegenüber liegenden chinesischen Provinz Fujian mehr als 400 Flüge gestrichen – ein Hinweis darauf, dass der Luftraum vom Militär genutzt werden könnte. Die Regierung in Taiwan teilte mit, die Manöver würden 18 internationale Flugrouten im sogenannten Fluginformationsgebiet Taiwans durcheinanderbringen.
Wirtschaftliche Abhängigkeit als Schutzschild
Die staatliche chinesische Zeitung „Global Times“ schrieb am Mittwoch, Peking wolle zeigen, dass sein Militär die gesamte Insel blockieren könne. Asien-Spezialistin Bonnie Glaser von der US-Denkfabrik German Marshall Fund sagte, China wolle mit dem Manöver Entschlossenheit zeigen.
Doch angesichts der aktuell großen wirtschaftlichen Probleme der Volksrepublik werde sich Peking wahrscheinlich mit Drohgebärden begnügen, glaubt etwa James Char. „Den Schiffsverkehr durch die Taiwan-Straße zu blockieren, egal wie lange, würde auch der chinesischen Wirtschaft wehtun.“ Auch Natasha Kassam vom australischen Lowy-Institut sagte, es sei nicht im Interesse Pekings, Reisen und Handel in der Region zum Erliegen zu bringen.
Obwohl China und auch der Westen bereits Milliarden in die Hand nehmen, um die eigene Chipherstellung voranzutreiben, ist die Abhängigkeit von Taiwan nach wie vor enorm – und solange China von der taiwanischen Chipproduktion abhängig sei, würde es sich einen Einmarsch zweimal überlegen, so die „SZ“. „Taiwan und die Ukraine unterscheiden sich grundlegend in Bezug auf die Geopolitik, die Geografie und die Bedeutung für internationale Lieferketten“, erklärte auch die taiwanische Präsidentin Tsai Ing-wen unmittelbar nach der russischen Invasion.
Absichten Chinas bleiben ungewiss
Doch auch die Analystinnen und Analysten sind sich nicht sicher, wie weit China gehen wird. „China hat sehr wahrscheinlich die militärische Fähigkeit, eine See- und Luftblockade gegen Taiwan durchzusetzen“, sagt Thomas Shugart von der US-Denkfabrik Center for a New American Security. „Aber ob China eine solche Blockade auch versucht – das ist vor allem abhängig davon, welche politischen und wirtschaftlichen Risiken die Führer der Kommunistischen Partei einzugehen bereit sind.“