Plastik hinter dem alten Salzspeichr
CS / ORF
Hallein

Eine Salzmetropole als Bildhauerzentrum

Rund um die Pernerinsel zeigt die Stadt Hallein in diesem Sommer eine neue Facette: Die ehemalige Salzmetropole und langjährige Industriestadt ist auch ein Zentrum der Bildhauerei. Die heutige HTL wurde vor über 150 Jahren als Holzschnitzschule gegründet und hat gemeinsam mit dem Atelier Adlhart Generationen von Künstlern hervorgebracht. Jetzt zeigt Hallein an ganz unterschiedlichen Orten seine Holzplastiken. Gilbert & George sind auch darunter, weil Gilbert ein Jahr lang an der Fachschule für Bildhauerei studiert hat.

Es sind nicht einmal 20 Kilometer und doch ist es eine völlig andere Welt: Wer aus der pittoresken Mozartstadt Salzburg Richtung Süden fährt, erreicht bei Kaltenhausen einen schattigen Ort, zwischen schroffen Felsen, mit großer Industriedichte. Wenn es auch seit genau dreißig Jahren mit der Pernerinsel eine kulturelle Verbindung zur Festspielstadt gibt und das Keltenmuseum mit hochkarätigen Ausstellungen Touristen anlockt, so ist Hallein doch immer noch weitgehend unentdecktes Hinterland.

Dabei entwickelte sich hier, unter schwierigen Bedingungen, eine starke Bildhauerbewegung – wie man in einer mehrteiligen Ausstellung unter anderem in den alten Salinengebäuden in diesem Sommer nachvollziehen kann.

Lange galt die Stadt als Schmuddelkind des Salzburger Landes. Hier die stinkreichen Fürsterzbischöfe im barocken Wonderland, dort die Halleiner Salinenknechte, die mit ihrer dreckigen Knochenarbeit den Wohlstand der Salzburger erst ermöglichten. Später dann der wirtschaftliche Aufstieg mit der Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert – mit großem sozialem Gefälle. Lange galten den Salzburgern die kommunistischen Kräfte unter den Industriearbeitern als politische Bedrohung, von 1945 bis 1946 hatte Hallein einen kommunistischen Bürgermeister.

Hinweis:

„151 Jahre Bildhauerstadt Hallein“ ist noch bis 25.8. zu sehen. Di-So von 13.00 bis 19.00 Uhr an Ausstellungsorten wie Alte Saline, Ziegelstadel, Keltenmuseum, HTL Hallein, kunstraum pro arte, Galerie Schloss Wiespach.

Aus der Not eine Kunst machen

„Die Ärmsten der Armen haben geschnitzt“, erzählt der Direktor der HTL Hallein, Johann Gutschi, im Gespräch mit der Autorin und vermutet, dass die Bildhauerei deswegen später lange keine große Wertschätzung in der Bevölkerung erfahren hat. Traditionell ein Nebenerwerb der Bergknappen und Salzarbeiter wurde die Holzschnitzerei in Krisenzeiten zum Überlebenshandwerk und zur Beschäftigungstherapie für Kinder, deren Eltern in der Saline oder später in der Papier- und Tabaktrafik arbeiteten. Holzspielzeug aus Hallein war gefragt und wurde nach ganz Europa verschifft. Am 1. Jänner 1871 wurde dann die Holzschnitzerei-Schule Hallein, die erste berufsbildende Schule der österreichisch-ungarischen Monarchie, gegründet.

Fotostrecke mit 9 Bildern

Skulptur von Oliver Gogl
CS / ORF
Oliver Gogls Arbeiten mögen an Stephan Balkenhol erinnern – haben aber eine ganz eigene Halleiner Handschrift
Skulptur von Ulrike Zerzer
CS / ORF
Die Tonfiguren von Ulrike Zerzer im Kontrast zur Industriearchitektur
Jesusskulptur aus den 1920er Jahren von Jakob Adlhart d.J.
CS / ORF
Jesus-Figur von Jakob Adlhart dem Jüngeren – er hat unter anderem die berühmten Masken am Festspielhaus gestaltet
Skulptur von Oliver Gogl
CS / ORF
Holz, Farbe und Dynamik nochmals bei Oliver Gogl
Turbinenhalle in Hallein
CS/ ORF
Industriearchitektur mit Potenzial für Kunsträume
Bunte Skulptur
CS / ORF
Alpiner Expressionismus: „Der Verführer“ von Max Domenig, 1950
Gipsskulpturen in einem Holzdepot
CS / ORF
Einblick in 150 Jahre HTL Hallein und die Archivbestände
Gilbert und George im Keltenmuseum
CS/ ORF
Gilbert & George im Keltenmuseum
Blick in die Industriehalle mit Skultpuren
CS / ORF
Bis 25. August sind die Plastiken noch in Hallein zu sehen

Es war die Gründerzeit der Kunstgewerbeschulen. Nach dem Vorbild der Arts-and-Crafts-Bewegung in England entstanden in ganz Europa Ausbildungsstätten für Handwerker und Gestalter. In Teplitz entstand eine Keramikfachschule, im böhmischen Gablonz eine für Glas und Schmuck und in Hallein war es eben die Fachschule für Holz- und Steinbearbeitung – zwei Steinbrüche liefern bis heute Adneter und Untersberger Marmor.

Christlicher Expressionismus: Die Adlhartwerkstätte

Mit Jakob Adlhart kommt eine Generation später ein Mann nach Hallein, der die Szene nachhaltig prägen wird. Der in Bayern geborene und in Südtirol aufgewachsene Kunsthandwerker eröffnet 1908 die Halleiner Werkstätten für kirchliche Kunst und Kunstgewerbe. Das Geschäft floriert, Schnitzaufträge für Kirchenkrippen, Heiligenfiguren und Restaurierungsarbeiten kommen nicht nur von der Salzburger Kirche, seine Arbeit ist in der gesamten Monarchie gefragt. Ein prominenter Kunde ist Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, der den Meister nicht nur Kirchen in Dalmatien renovieren, sondern auch mittelalterliche Skulpturen, die er nicht erwerben kann, nachschnitzen lässt. So entpuppt sich eine spätromanische Madonna im Gotikmuseum in Leogang als perfekte Kopie aus dem Atelier Adlhart.

Die Masken vor dem Festspielhaus
SF / Luigi Caputo
Die berühmten Masken vor dem Festspielhaus verweisen eigentlich nach Hallein. Gestaltet hat sie Jakob Adlhart der Jüngere.

Die Verbindung zur zeitgenössischen Kunst gelingt dem Sohn. Jakob Adlhart d. J. studiert in Wien bei Anton Hanak und arbeitet später mit Clemens Holzmeister zusammen. Künstler wie Max Domenig, die vom Jugendstil und der Wiener Secession aus nach Hallein kommen, erweitern den Horizont. Doch während die Künstler in Wien rund um Gustav Klimt den „Ver Sacrum“, den „Heiligen Frühling“, mit viel Gold und Dekor feiern, nähert man sich in Hallein der Moderne ganz anders.

Bunte Skulptur
CS / ORF
Alpiner Expressionismus: Die Arbeiten von Max Domenig, auch gerade in Hallein zu sehen

In den 1920er Jahren, einer Zeit, in der Hallein schwarz von Kohle und geprägt von Salzabbau und Industrie ist, entsteht an der Salzach ein wilder Expressionismus. Grob ins Holz gehauen, mit rauher Schnitztechnik und bewusst gegen jede klassizistische Gefälligkeit werden – noch immer hauptsächlich religiöse – Motive abgehandelt. 1925 entsteht die richtungsweisende Kruzifix-Skulptur für das Stift St. Peter. Im Kolleg St. Benedikt hängt dieses imposante, den ganzen Raum einnehmende und in seiner Intensität kaum zu beschreibende Schlüsselwerk des „alpenländischen Expressionismus“.

Die Nachkriegszeit

Bis 1989 ist die Saline in Hallein aktiv, dann endet die 2500 Jahre dauernde Salzgewinnung. Auf der Pernerinsel inmitten der Salzach stehen heute noch die historischen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. Seit 1992 wird das ehemalige Salinengebäude von den Salzburger Festspielen als Spielstätte genutzt, in den angrenzenden, ebenfalls unter Denkmalschutz stehenden Hallen hat ein Team rund um Gutschi und Peter Thuswaldner nun die Ausstellung „151 Jahre Bildhauer Stadt Hallein“ inszeniert.

Skulpturen in einem Garten
CS/ ORF
Einblicke in die Tradition der HTL Hallein

In den kathedraleartigen Räumen der früheren Salzgewinnung können Besucher die weitere Entwicklung der Bildhauerei nachvollziehen. Wie Thuswaldner in der begleitend zur Ausstellung entstandenen Publikation erwähnt, blieben sowohl Bildhauerschule als auch Adlhartwerkstätten von der Kulturpolitik der Nazis verschont. (Adlhart galt als „entartet“, sein von Holzmeister beauftragtes Relief für das Südportal des Salzburger Festspielhauses wurde von den Kulturverantwortlichen der NSDAP abgeschlagen und vernichtet.)

Trotz kirchlicher Auftraggeber finden in der Nachkriegszeit ein deutlicher Bruch und eine Abwendung von christlichen Motiven statt. Hans Baier wirkt als Lehrer einer neuen Künstlergeneration an dieser Neuorientierung genauso mit wie Josef Zenzmaier, der von Oskar Kokoschka ebenso geprägt ist wie von seiner Arbeit in der Werkstätte bei Giacomo Manzu und der sich verstärkt dem Bronzeguss zuwendet. Der für Hallein in den 1960er und 70er Jahren wichtige Lehrer und Wotruba-Schüler Bernhard Prähauser wird in den Hallen ebenso gewürdigt wie viele seiner Schüler, die später in Wien oder Linz studiert haben. Von Hallein in die Wotruba-Klasse. Ein berühmter Halleiner ist auch Werner Würtinger, auch er ein Wotruba-Schüler, der später Präsident der Secession war.

Bildhauerei heute

Im Ziegelstadl auf der anderen Seite der Salzach zeigt sich, wie unterschiedlich die Formensprache der Halleiner Absolventen ausfällt. Archaisch naturalistisch wirken die aus dem Stein gehauenen Figuren von Ferdinand Böhme. Lindenholz ist wiederum das bevorzugte Material, aus dem der aus Kitzbühel stammende Oliver Gogl seine Figuren schnitzt: „Bacchus“ und „Wütender Pulk“ versprühen heiteren Witz und Übermut und bringen auch die Farbigkeit in die Holzskulptur zurück. Die Pongauerin Ulli Zerzer arbeitet mit Ton und modelliert kraftvolle organische Kompositionen, die zurzeit auch im Schloss Wiespach neben Sitzobjekten von Fabian Fink ausgestellt sind.

Schloss Wiespach ist ein privater Ausstellungsort. Der Halleiner Notar Claus Spruzina hat das baufällige historische Gebäude aus dem 15. Jahrhundert gekauft und betreibt in Kooperation mit der HTL Hallein seit 2015 einen Verein, der sowohl Galerien als auch Artists-in-Residence-Programme organisiert. Als einer der ersten Künstler wurde der indische Bildhauer Debasish Bera eingeladen. Was er in Mumbai an der Bildhauerschule erlernt und in Hallein praktiziert hat, kann man auf Wiespach und vor der Salinenhalle auf der Pernerinsel sehen. Gleich neben der Theaterhalle stehen die markanten Holzfiguren, die Besucher auf dem Salzachsteg zum Keltenmuseum passieren.

Gilbert & George

Womit wir bei der letzten Station (oder der ersten, je nachdem wo man beginnt) der Bildhauerausstellung wären. Das Keltenmuseum lockt zurzeit mit unerwarteten Namen: Gilbert & George, das legendäre Künstlerduo aus London, ist mit einigen Arbeiten zu Gast. Bloß, wie um Himmels Willen verschlägt es die schrägen Briten nach Hallein?

Gilbert und George im Keltenmuseum
CS/ ORF
Gilbert & George gerade zu Gast im Keltenmuseum

Nun, Gilbert Prousch, die Südtiroler Hälfte der „Living Sculpture“, hat 1960 vor Beginn seiner internationalen Karriere ein Jahr lang die Fachschule für Bildhauerei in Hallein besucht.

Zum 150-Jahr-Jubiläum (das wegen der Pandemie mit einem Jahr Verspätung stattfindet) haben die Künstler daher (in Kooperation mit der Galerie Ropac) drei große Bilder für das Keltenmuseum zur Verfügung gestellt. Und so kommt es nun, dass Gilbert & George mit ihrem leidenschaftlich antireligiösen Credo „Ban Religion“ im Keltenmuseum in Dialog mit den Exponaten aus dem fürsterzbischöflichen Salzabbau treten.