Israelische Sicherheitskräfte setzen bei Zusammenstößen Tränengas gegen palästinensische Studenten ein
APA/AFP/Abbas Momani
Dschihad-Chef getötet

Neuerliche Eskalation im Nahost-Konflikt

Im Nahost-Konflikt gibt es die schwerste Gewalteskalation zwischen Israel und militanten Palästinensern seit über einem Jahr. Bei israelischen Luftangriffen wurde am Freitag in Gaza Taisir al-Dschabari, ein ranghohes Mitglied des Islamischen Dschihad (PIJ), getötet. Die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestufte Gruppe reagierte mit Raketenangriffen Richtung Israel. Israel selbst stellt sich auf einen längeren Einsatz ein.

„Das Militär ist auf eine einwöchige operative Tätigkeit vorbereitet, entsprechend der Anweisung der politischen Ebene und des Generalstabschefs“, teilte das Militär am Samstag mit. Ministerpräsident Yair Lapid sagte bereits am Freitag: „Israel ist nicht an einer breiten Operation im Gazastreifen interessiert, hat aber auch keine Angst vor ihr.“

Nach Drohungen vonseiten der militanten Palästinenser startete das israelische Militär bereits am Freitag die großangelegte Militäraktion im Morgengrauen. Dabei starb auch der hochrangige Kommandeur, der laut Israel für Raketenangriffe aus dem Gazastreifen verantwortlich sein soll und Angriffe auf Zivilistinnen und Zivilisten geplant habe.

Gewalteskalation in Nahost

Zwischen Israel und Palästinensern ist es zur schwersten Gewalteskalation seit mehr als einem Jahr gekommen, nachdem ein militanter Palästinenserführer gezielt getötet wurde. Seit Freitag sind Hunderte Raketen auf Israel abgefeuert worden und auch die israelische Luftwaffe hat erneut Ziele im Gazastreifen angegriffen.

Über 200 Verletzte

Nach palästinensischen Angaben wurden bei den Angriffen am Samstag drei Wohnhäuser getroffen. Demzufolge starben seit Freitag mindestens 24 Menschen, mehr als 200 seien durch die israelischen Luftangriffe verletzt worden, hieß es. Unter den Toten seien auch ein fünfjähriges Mädchen und zwei Frauen. Berichte über den Tod von fünf Kindern bei einem Luftangriff nahe einer Moschee wies Israel zurück.

Laut israelischem Militär wurden lediglich Waffenproduktionsstätten, Raketenabschussanlagen und Waffenlager zerstört. Berichte über getötete Zivilisten seien bekannt und würden untersucht, sagte ein Vertreter des Militärs am Samstag. Auf Israel seien seit Freitag rund 190 Raketen abgefeuert worden, teilte die Armeeführung mit. Sie seien entweder auf offenem Gelände niedergegangen oder vom Raketenabwehrsystem Iron Dome abgefangen worden. Zahlreiche Städte, darunter auch Tel Aviv, öffneten öffentliche Luftschutzräume. Im Westjordanland gab es in der Nacht bei Anti-Terror-Razzien 20 Festnahmen, davon standen laut Militär 19 in Verbindung mit dem PIJ.

Start einer Rakete des israelischen Verteidigungssystems Iron Dome
APA/AFP/Jack Guez
Das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome fing zahlreiche Raketen aus dem Gazastreifen ab

Widersprüche rund um Angriff in Flüchtlingslager

Bei einem Angriff im Norden des Gazastreifens wurden palästinensischen Angaben zufolge fünf Kinder und ein Erwachsener getötet. Sie sollen demnach bei einem israelischen Luftangriff im Flüchtlingslager Dschabalia nahe einer Moschee ums Leben gekommen sein.

Das israelische Militär weist diese Darstellung zurück: „Basierend auf Militärdaten scheint es, dass das Ereignis auf eine fehlgeleitete Rakete des Islamischen Dschihads zurückgeht.“ Die Streitkräfte hätten zum Zeitpunkt des Ereignisses keine Aktivitäten in Dschabalia durchgeführt.

PIJ: Auch Flughafen als Ziel

Die PIJ ist eng mit dem Iran, Israels Erzfeind, verbunden und stellt nach der Hamas die zweitstärkste militärische Kraft im Gazastreifen. „Die Kämpfer des Islamischen Dschihad sind bereit, den Krieg fortzusetzen“, teilte die militante Organisation Medienberichten zufolge am Samstag mit. Die Raketen Richtung Israel zielten demnach auch auf den internationalen Flughafen Ben Gurion im Zentrum des Landes.

Dem jüngsten Gewaltausbruch vorausgegangen ist die Festnahme zweier ranghoher Mitglieder des PIJ Anfang vergangener Woche. Daraufhin wurden zwei Grenzübergänge zwischen Israel und dem Gazastreifen geschlossen. Das hatte zur Folge, dass das einzige Kraftwerk im Gazastreifen abgeschaltet werden musste, da kein Diesel mehr in den schmalen Küstenstreifen gelangte. Die Stromversorgung in den Palästinensergebieten musste daher von bisher zwölf auf vier Stunden reduziert werden. Ein Mitarbeiter der Stromgesellschaft sprach von einer „katastrophalen Situation“.

Explosion nach einem israelischen Raketeneinschlag in Gaza-Stadt
Reuters/Mohammed Salem
Bei israelischen Angriffen wurden auch Ziele in Gaza-Stadt getroffen

Vermittlungsversuche aus Ägypten

Die Situation erinnert an die Eskalation 2019. Damals hatte Israel bereits den Vorgänger von al-Dschabari, Baha Abu al-Ata, gezielt getötet. Darauf folgten damals Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf israelische Orte und Gegenangriffe der israelischen Luftwaffe in dem Küstenstreifen. Nach einigen Tagen konnte mit Hilfe von Unterhändlern Ägyptens und der Vereinten Nationen eine Waffenruhe vereinbart werden.

Im Mai vergangenen Jahres vermittelte Ägypten ebenfalls eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas. Damals starben palästinensischen Angaben zufolge über 255 Menschen, den israelischen Angaben nach kamen in Israel 13 Menschen ums Leben. Mehr als 4.000 Raketen wurden auf Israel demnach abgefeuert.

UNO-Sicherheitsrat berät am Montag

Auch diesmal soll es Berichten zufolge Vermittlungsversuche von Ägypten, der UNO und Katar geben. Israel signalisierte aber kein Interesse. Auch der PIJ gab bekannt, dass eine Waffenruhe vorerst nicht zur Debatte stehe. Der Fokus der Gruppe liege „auf dem Schlachtfeld“.

Der UNO-Sicherheitsrat soll sich am Montag mit den israelischen Luftangriffen im Gazastreifen beschäftigen. Aus Diplomatenkreisen verlautete am Samstag, dass ein Treffen des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Irland, Frankreich, Norwegen und China angefragt worden sei.

EU und Russland rufen zu Zurückhaltung auf

Sowohl die EU als auch Russland riefen am Samstag beide Seiten zu Zurückhaltung auf. Russlands Außenamtssprecherin Maria Sacharowa erklärte, die jüngste Eskalation sei von der israelischen Armee verursacht worden, Palästinensergruppen hätten darauf mit „massiver und wahlloser Bombardierung“ des israelischen Staatsgebietes reagiert.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte, Israel habe zwar „das Recht, seine eigene Bevölkerung zu schützen“. Es müsse aber „alles getan werden“, um einen „umfassenderen Konflikt“ und somit zusätzliches Leid für die Zivilbevölkerung zu vermeiden.