Wagner-Söldner
AP/French Army
Werben um Rekruten

Wagner-Gruppe tritt aus dem Schatten

Offiziell existiert die private russische Militär- und Sicherheitsorganisation Wagner nicht. Inoffiziell gilt die Truppe – trotz russischen Dementis – als Wladimir Putins Schattenarmee. Im Ukraine-Krieg würden Wagner-Söldner im Dienste Russlands zunehmend Lücken füllen, berichten Geheimdienstler. Dass die Gruppe in Russland zugleich öffentlichkeitswirksam um Rekruten wirbt, lässt Zweifel am Zustand der russischen Armee laut werden.

„Das Wagner-Orchester wartet auf dich“, heißt es auf einem Plakat im russischen Jekaterinburg etwa. „Mutterland, Ehre, Blut, Mut. WAGNER“, steht auf einem weiteren geschrieben. Die Werbetafeln, die in mehreren russischen Städten aufgetaucht waren, seien Teil einer Rekrutierungsoffensive der Wagner-Gruppe, heißt es im britischen „Guardian“. Konkret soll Wagner nach Kämpfern für den Ukraine-Krieg suchen. Rund 20 regionale Rekrutierungszentren dürfte es geben. Geworben wird dort unter anderem mit einem Lohn von rund 3.900 Euro – das Gehalt liegt über dem eines regulären russischen Soldaten.

„Es sieht so aus, als ob sie sich dazu entschlossen haben, dass sie ihre Existenz nicht länger verbergen wollen. Inzwischen weiß jeder, wer sie sind“, wird Denis Korotkow, ehemaliger „Nowaja Gazeta“-Journalist und langjährige Beobachter der Gruppe, im „Guardian“ zitiert. Vor allem im Osten der Ukraine traten Wagner-Söldner zuletzt verstärkt in Erscheinung.

Anfänge im Donbas

Mit dem Ziel, prorussische Separatisten im Donbas zu unterstützen, wurde Wagner auch vor acht Jahren gegründet. Der Name der Gruppe geht auf den Kampfnamen ihres kolportierten Gründers Dmitri Utkin zurück. Der Neonazi Utkin soll diesen in Anspielung auf Richard Wagner, der als Adolf Hitlers Lieblingskomponist galt, gewählt haben – ein pikantes Detail, angesichts der Tatsache, dass Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine mit der „Entnazifizierung“ des Landes begründet hatte.

Seit 2014 waren Wagner-Söldner in mehreren Ländern, die für Russland von strategischem und wirtschaftlichem Interesse sind, aktiv – etwa in Syrien, in Mali, im Sudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Ihnen wurden wiederholt schwere Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Geschäftsmann Yevgeny Prigozhin und Russlands Präsident Vladimir Putin
AFP/Alexey Druzhinin
Wladimir Putin und Jewgeni Prigoschin

„Putins Koch“ als Drahtzieher?

Zweiter Drahtzieher hinter der Organisation soll der russische Oligarch Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin, der als „Putins Koch“ bekannt ist und dem gute Kontakte zum russischen Präsidenten nachgesagt werden, sein. Prigoschin wies das in der Vergangenheit wiederholt zurück und bezeichnete die Existenz der Gruppe als „Legende“.

Auch der Kreml bestritt immer, wieder mit der Gruppe, von der es weder Firmenregistrierung, Steuererklärungen noch Organigramme gibt, zusammenzuarbeiten. In der russischen Öffentlichkeit war die Nennung der Wagner-Söldner damit ein Tabu. Über die Struktur der Gruppe ist generell wenig bekannt.

Krieg holt Wagner vor den Vorhang

„Russlands Krieg in der Ukraine hat die Gruppe jedoch vor den Vorhang geholt“, schreibt der „Guardian“. Ende März waren laut Angaben des britischen Militärgeheimdienstes rund 1.000 Wagner-Söldner in die Ukraine verlegt worden. Die Gruppe scheint seither an Bedeutung gewonnen zu haben. Russland hatte sich infolge der gescheiterten Offensive auf Kiew immerhin auf den Osten der Ukraine fokussiert.

Laut Einschätzungen des britischen Geheimdienstes dürfte Wagner bei der Einnahme der ostukrainischen Städte Popasna im Mai und Lyssytschansk im Juni eine zentrale Rolle gespielt haben. Ende Juli sollen Wagner-Söldner zudem das größte Kohlekraftwerk der Ukraine in Wuhlehirsk eingenommen haben.

London: Wagner-Söldner kämpfen als reguläre Einheit

Überhaupt dürften die Söldner in der Ukraine nach Einschätzung Großbritanniens in enger Abstimmung mit regulären russischen Einheiten kämpfen. Den Kämpfern sei vermutlich die Verantwortung für eigene Frontabschnitte übergeben worden, wie sie sonst normale Armee-Einheiten übernehmen, teilte das Verteidigungsministerium in London Ende Juli unter Berufung auf Geheimdienstinformationen mit.

„Das stellt eine bedeutende Änderung im Vergleich zu vorherigen Einsätzen der Gruppe seit 2015 dar, bei denen sie typischerweise Missionen durchführte, die sich von offenen, großangelegten regulären russischen Militäraktivitäten unterschieden“, hieß es. Diese Integration untergrabe die jahrelangen Behauptungen der russischen Regierung, es gebe keine Verbindungen zwischen dem Staat und privaten Söldner-Gruppen.

Die Rolle habe sich vermutlich deshalb verändert, weil die russischen Streitkräfte einen eklatanten Mangel an Infanterie-Einheiten auszugleichen versuchten, hieß es vom Verteidigungsministerium in London. Allerdings sei es „höchst unwahrscheinlich“, dass die Wagner-Kräfte ausreichten, um den Verlauf des Krieges wesentlich zu verändern.

Bericht: Enge Verflechtungen mit Verteidigungsministerium

Die Beziehung zwischen dem russischen Verteidigungsministerium und der privaten Gruppe soll sich laut einem Bericht des unabhängigen Internetportals meduza.io zuletzt nochmals vertieft haben. Das Verteidigungsministerium habe demnach die Kontrolle über die meisten Netzwerke, mit welchen Wagner Soldaten rekrutiert, übernommen, heißt es.

Der Journalist Korotkow merkt zudem an, wie schwierig es sei, zwischen Wagner-Söldnern und regulären russischen Soldaten zu unterscheiden. „Das Verteidigungsministerium hat Wagner größtenteils vereinnahmt, und es sieht jetzt eher nach einer koordinierten Gruppe aus“, so Korotkow. Es sei daher schwer, die Anzahl an Wagner-Söldnern zu beziffern.

Imagepolitur in Russland

Mit den militärischen Erfolgen in der Ukraine besserte sich allmählich auch das Image der Gruppe in Russland. Im Mai erhielt Wagner laut „Guardian“ offenbar erstmals im Staatsfernsehen Anerkennung, als ein Reporter in Anspielung an den Decknamen der Gruppe meinte, die russische Armee habe ihr „eigenes Orchester“ in der Ukraine.

Dazu kommt, dass der vermeintliche Wagner-Financier Prigoschin im April für den Wagner-Einsatz in der ostukrainischen Region Luhansk die Auszeichnung als „Held der Russischen Föderation“ erhalten habe. Ende Juli widmete das reichweitenstärkste Boulevardblatt „Komsomolskaja Prawda“ der Einnahme des Wuhlehirsk-Kraftwerks durch Wagner sogar die Titelseite.

Niedrige Rekrutierungsstandards

Tatsächlich dürften die Gefechte im ostukrainischen Donbas die Gruppe stark geschwächt haben. Spekuliert wurde etwa, dass Wagner ob der schweren Verluste nun so offensiv nach neuen Kämpfern suche. Das führe zu niedrigeren Standards bei der Rekrutierung neuer Soldaten, unter denen verurteilte Kriminelle und zuvor abgelehnte Bewerber seien. Diese neuen Rekruten würden nur sehr eingeschränkt ausgebildet, was die Schlagkraft der Truppe und damit ihren Wert als Unterstützung für das russische Militär vermutlich verringern werde, so britische Militäranalysten.

„Schon vor dem Konflikt waren weniger als 30 Prozent der Wagner-Soldaten echte Profis“, wird der ehemalige Wagner-Kommandeur Marat Gabidullin, der in seinem jüngst erschienenen Buch Einblicke in die Strukturen der Truppe gibt, im „Guardian“ zitiert. „Nun besteht die Gruppe großteils aus Amateuren. Der Zirkus Russland geht weiter.“

Mozart-Gruppe als Gegenbewegung?

Trainieren statt rekrutieren lautet unterdessen das Ziel der ebenso in der Ukraine aktiven Mozart-Gruppe. Die Gruppe wurde kürzlich von dem US-Kriegsveteranen Andy Milburn gegründet. Eine Antwort auf Wagner will Mozart mit seinen bis zu 30 freiwilligen Helfern nicht sein. Bei der Namensfindung ließ man sich dennoch inspirieren und wählte ebenso den Namen eines berühmten Komponisten. „Ich wollte nicht mit der Wagner-Gruppe in Verbindung gebracht oder verglichen werden. Wir sind kein Gegenstück zur Wagner-Gruppe“, so Milburn.

Neben mehrtägiger Crashkurse für ukrainische Soldaten, die mit wenig militärischer Erfahrung an die Front geschickt worden waren, leistet die Gruppe humanitäre Hilfe. Das ukrainische und das russische Heer würden vor ähnlichen Problemen stehen, hält ein Helfer im „Guardian“ schließlich fest – auf beiden Seiten sei das eine zu großen Teilen schlecht ausgebildete Armee.