Gewagte Entscheidungen bei Filmpreisen in Locarno

Zum Finale des 75. Internationalen Filmfestivals Locarno hat gestern der Spielfilm „Regra 34“ („Regel 34“) der brasilianischen Regisseurin Julia Murat den Goldenen Leoparden gewonnen. Der Titel der brasilianisch-französischen Koproduktion bezieht sich auf die sogenannte Regel 34, nach der im Internet zu allem, was dort existiert, pornografisches Material zu finden sei.

Im Zentrum des Spielfilms steht eine Jusstudentin. Sie lebt im Internet, und nicht nur dort, verschiedene, teils bizarre sexuelle Fantasien aus. Giona A. Nazzaro, künstlerischer Leiter des Locarno Film Festival, sprach von einem „gewagten und politischen Werk, das ein wichtiges Zeichen setzen wird“. Außerdem betonte er die Bedeutung der Auszeichnung für die brasilianische Filmkunst.

Gleich drei Preise für „Tengo suenos electricos“

Mit der Vergabe des Hauptpreises und mit einigen anderen Entscheidungen haben die Jurys überrascht. Die zweitwichtigste Auszeichnung, der Spezialpreis im Concorso internazionale, ging an die Komödie „Gigi la legge“ („Gigi, das Gesetz“) vom italienischen Regisseur Alessandro Comodin. Darin wird in einer dialoglastigen Szenenflut der ländliche Alltag des Verkehrspolizisten Gigi beobachtet. Vor allem diese Entscheidung sorgte für Erstaunen.

Der Leopard für die beste Regie ging an die aus Costa Rica stammende Regisseurin Valentina Maurel für „Tengo suenos electricos“. Sie beobachtet mit großer Sensibilität das schwierige Erwachsenwerden der sechzehnjährigen Eva. Ihr Film hat auch gleich die Leoparden für die beste Darstellerin (Daniela Marin Navarro) und den besten Darsteller (Reinaldo Amien Gutierrez) abgeräumt.

Umweltpreis für Nikolaus Geyrhalter

Für seinen Film „Matter out of Place“, in dem er bildgewaltig schildert, wie unser Planet langsam mit den Müllbergen des Menschen verwächst, erhielt der Österreicher Nikolaus Geyrhalter zwar nicht den Goldenen Leoparden, dafür aber den Umweltfilmpreis Pardo Verde WWF. Auch eine zweite österreichische Produktion, Ruth Maders Glaubensdrama „Serviam“ um Druck und Gewalt in einer Klosterschule, war im Wettbewerb vertreten.

In der Kategorie Concorso Cineasti del presente gewann die slowakische Regisseurin Tereza Nvotova für ihren Film „Svetlonoc“ („Nightsiren“) einen Goldenen Leoparden. Darin erzählt sie die Geschichte einer jungen Frau, die in ihr Heimatdorf in den Bergen zurückkehrt. Dort sucht sie nach Antworten auf Fragen, die auf ihre schwierige Kindheit zurückgehen.

Der Spezialpreis in derselben Kategorie ging an Christina Tynkevych für „Yak Tam Katia?“ („How Is Katia?“), jener für die beste Nachwuchsregie an Juraj Lerotic für „Sigurno Mjesto“ („Safe Place“). Letzterer gewann außerdem den Preis für den besten Debütfilm. Alle Preise wurden am Abend im Rahmen einer Festivalabschlusszeremonie auf der Piazza Grande überreicht.