Die Pipeline von Nord Stream 1
Reuters/Hannibal Hanschke
Neue „Wartungsarbeiten“

„Nord Stream 1“ liefert drei Tage lang kein Gas

Erneut ist der Durchfluss von Gas aus Russland nach Europa durch „Wartungsarbeiten“ bedroht. Am Freitag kündigte Gasprom an, dass von 31. August bis 2. September die Pipeline „Nord Stream 1“ stillgelegt wird. Das dürfte weitere Störungen der Versorgung bringen, schon jetzt fließen nur rund 20 Prozent der Kapazität durch die Pipeline. Die Ukraine bot unterdessen ihr Pipeline-System als Ausweichmöglichkeit an.

Wieder geht es um eine Turbine: In den drei Tagen, in denen „Nord Stream 1“ vom Netz geht, müsse die einzige funktionierende Turbine der Kompressorstation Portowaja überprüft und überholt werden, hieß es von Gasprom. Das solle in Zusammenarbeit mit Spezialisten von Siemens Energy geschehen.

Ab 3. September sollen laut den Angaben wieder 33 Millionen Kubikmeter Erdgas täglich geliefert werden – sollten keine technischen Fehler auftreten, wie es hieß. Das entspricht den 20 Prozent der täglichen Maximalleistung, auf die Russland die Lieferung schon vor einigen Wochen verringert hat. Die Doppelleitung „Nord Stream 1“ transportiert seit 2011 Gas unter der Ostsee nach Deutschland.

Strom und Energiepreise explodieren

Die Strompreise im Großhandel haben sich im Jahresvergleich ebenso wie die Gaspreise mehr als verfünffacht. Die Regierung arbeitet an einer Stromrechnungsbremse, die zumindest für die Haushalte etwas Entlastung bringen soll.

Druck auf Europa

Wegen angeblich nötiger Reparaturen hatte Gasprom schon seit Längerem den Gasfluss gedrosselt. Zehn Tage war dieser wegen Wartungsarbeiten bereits unterbrochen, darüber hinaus entstand Streit über den Verbleib einer Turbine, die ebenfalls in der Verdichterstation Portowaja eingesetzt war.

Sie wurde in Kanada gewartet und dort wegen der Sanktionen länger als erwartet einbehalten. Auf Bitten Deutschlands lieferte Kanada die Turbine wieder zurück. Nun steht sie dort seit rund einem Monat. Gasprom argumentiert nun, fehlende Papiere machten es unmöglich, das Aggregat wieder anzunehmen. Die EU, die deutsche Regierung sowie zahlreiche Fachleute warfen Moskau vor, die technischen Probleme vorzutäuschen, um Europa im Konflikt über den Krieg in der Ukraine unter Druck zu setzen.

Grafik zum Gas-Pipelinenetz in Europa
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ENTSOG

Selenskyj: Russland stiftet nur Unruhe

Russlands Präsident Wladimir Putin will jedenfalls die fertiggestellte, aber nicht eingesetzte Pipeline „Nord Stream 2“ in Betrieb nehmen, an der die OMV beteiligt ist. Am Freitag kochte auch in Deutschland das Thema erneut hoch. Der Vizechef der Regierungspartei FDP, Wolfgang Kubicki, forderte die Inbetriebnahme von „Nord Stream 2“. Er wurde in der Folge scharf kritisiert, unter anderen von Parteichef und Finanzminister Christian Lindner.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland vor, seine Gaspipelines zur Erpressung zu nutzen. „Russland braucht diese Pipelines nur, um in Europa Probleme zu schaffen, nicht um mit Gas zu helfen“, sagte er in Kiew. Je schneller sich die europäischen Staaten von russischer Energie unabhängig machten, desto eher würden sie ruhig durch die Winter kommen.

Überdies bot die Ukraine ihre Pipelines als Ersatz angeboten: „Die Kapazitäten des ukrainischen Gastransportsystems und der Route durch Polen sind mehr als ausreichend, um die Erfüllung der Lieferverpflichtungen von russischem Gas in europäische Länder sicherzustellen.“ Das teilte der Betreiber des ukrainischen Gasleitungsnetzes mit. Die Alternativroute biete sich „angesichts chronischer Unterbrechungen der Arbeit von ‚Nord Stream 1’“ an.

Kern: „Nord Stream 2“ ist „absurde Diskussion“

Der frühere Bundeskanzler und heutige Energieberater Christian Kern (SPÖ) hält die Debatte über eine Inbetriebnahme von „Nord Stream 2“ für „absurd“, wie er am Freitagabend in der ZIB2 sagte. „Putin spielt mit uns. Der hat quasi seine Freude damit zu sehen, was er da auslösen kann in Europa“, so Kern.

Kern zu Energiepreisen und aktueller Lage

Energieberater und Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) fordert die Politik vehement zum Handeln gegen die immer weiter steigenden Energiepreise auf. Er kritisiert die monopolartige Struktur des Strommarktes und meint zu den geplanten Maßnahmen gegen die Preisexplosionen: „Wir kleben gerade Pflaster auf einen offenen Rippenbruch.“

Mitverantwortung für die starke Abhängigkeit von russischem Gas habe „jeder, der da am Werk war“, sagte Kern auf die Frage nach eigener Verantwortung in der Vergangenheit. Er selbst habe mit dem damaligen „Plan A“ den Ausbau der erneuerbaren Energietechnologiebasis vorantreiben wollen, dazu sei es nicht gekommen. Aber „zweifellos stimmt, in der Vergangenheit haben sich die Regierungen nicht mit Ruhm bekleckert. Und meine nehme ich nicht aus“, so Kern.

Gewessler kritisiert Kreml

Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine versucht die ganze EU, ihre Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern. Um die Speicher für die Heizsaison zu füllen, wird nach anderen Lieferanten gesucht. Österreich will seine Speicher bis November zu 80 Prozent gefüllt haben. Die für Energie zuständige Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) übte am Freitag scharfe Kritik an Moskau.

„Putin nutzt die Abhängigkeit Europas von russischem Gas ganz gezielt aus", so Gewessler. Die angekündigte Unterbrechung zeige deutlich: „Russland verwendet Gaslieferungen als Mittel zur Einschüchterung und Verunsicherung“, hieß es in einem schriftlichen Statement gegenüber der APA. „Russland ist kein verlässliches Gegenüber.“ Man arbeite weiter mit aller Kraft daran, die österreichischen Speicher zu füllen und unabhängiger zu werden, so die Ministerin. „Die Expertinnen und Experten gehen gegenwärtig davon aus, dass das 80-Prozent-Speicherziel weiter erreichbar ist.“

Die Einspeicherung erfolgt seit Anfang August in allen Gasspeichern der Alpenrepublik. Der Speicherstand der österreichischen Gasspeicher lag per 15. August bei rund 60 Prozent. Diese Menge entspricht laut Energieministerium 64 Prozent eines normalen Jahresverbrauchs in Österreich.