Frau im Büro
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„Quiet Quitting“

Debatte über die Grenzen der Arbeit

„Quiet Quitting“ („stille Kündigung“): Unter diesem Schlagwort wird, ausgehend von einem TikTok-Trend, aktuell in US-Medien debattiert, wie viel Engagement im Beruf gut und gesund ist – klare Grenzen statt Arbeit bis ins Burn-out lautet die Devise. Kritik gibt es primär am Begriff, den es, so der Tenor, in einer idealen Arbeitswelt eigentlich gar nicht geben sollte.

Unbezahlte Überstunden, Aufgaben, die über die eigentliche Jobbeschreibung hinausgehen und ständige Erreichbarkeit: Für viele Menschen in unterschiedlichsten Berufszweigen gehört unbezahlte Mehrarbeit zum Alltag. Vor allem von Berufseinsteigerinnen und -einsteigern wird in vielen Branchen erwartet, bei All-in-Verträgen das Privatleben zugunsten der Arbeit zurückzustellen. Was viele Jahre als Karrieremuss hingenommen und von Unternehmen vorausgesetzt wurde, wird von der „Quiet Quitting“-Idee infrage gestellt.

3,4 Millionen Aufrufe verzeichnete TikToker „zaidleppelin“ mit seinem wenige Sekunden langen Video, in dem er erklärt, „stille Kündigung“ bedeute, seine Aufgaben im Job zu erfüllen, nicht aber darüber hinauszugehen – „Die Arbeit ist NICHT dein Leben!“, so der Influencer. In den Kommentaren erklärte er aber darüber hinaus: „Quiet Quitting funktioniert am besten, wenn du deinen Job erträgst, wenn er dich unglücklich macht: Hau ab!“.

Ruf nach Ausgleich von Mehrleistungen

Seit seinem Posting ist die Debatte auf der Plattform in vollem Gange – wobei die Auslegung des Begriffs variiert. Während die einen Kampf gegen Ausbeutung sehen, orten andere einen Trend zu Faulheit und Ambitionslosigkeit. Unzählige Kurzclips machen sich entweder über diejenigen lustig, die sich auf die Pflicht zurückziehen oder über diejenigen, die ihre Arbeit ernster nehmen.

Screenshots von TikTok
tiktok.com/@zaidleppelin/@peopleculturecollective/@saraisthreads
TikTok ist voll von Clips zum Thema „Quiet Quitting“

Folgephänomen der „Great Resignation“

In den USA folgt die „Quiet Quitting“-Diskussion auf das Phänomen der „Great Resignation“, also die Beobachtung, dass auffällig viele Menschen ihrem Job freiwillig den Rücken kehren. Als Initialzündung galt dafür auch die Pandemie, in deren Folge eine wachsende Zahl an zunehmend enttäuschten, schlecht bezahlten und unter großem Effizienzdruck stehenden Beschäftigten sich Ungerechtigkeit in Wirtschaft und Arbeitsmarkt nicht länger gefallen lassen wollen.

„Quiet Quitting“ schließt daran nahtlos an – schlechter gewordene Arbeitsbedingungen – auch durch das „große Kündigen“ – haben die Arbeitslast für viele Beschäftigte noch größer werden lassen. Gleichzeitig wächst die Zahl der offenen Stellen und Unternehmen kämpfen um Arbeitskräfte. War das Schlagwort der Millennials (von den frühen 1980ern bis zu den späten 1990ern Geborene) Work-Life-Balance, so sei es nun bei der Generation Z „Quiet Quitting“.

Wenn mehr als die Pflicht erwartet wird

Dabei sollte es den Begriff eigentlich gar nicht geben, sind sich viele Userinnen und User auf Twitter einig: Es bezeichne schließlich Menschen, die den Job machen würden, für den sie auch bezahlt würden. Start-up-Berater Ed Zitron erklärte gegenüber dem US-Sender NPR, er halte den Terminus für „angriffig“ gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, weil er suggeriere, dass sie sich dem Unternehmen gegenüber feindlich oder schädlich verhalten würden.

Arbeitgeberinnen und -geber profitieren von Angestellten, die mehr als das normale Pensum geben, es sei daher nur rechtmäßig, wenn diese auch dafür belohnt würden. „Es ist Teil einer überwältigenden Pro-Chef-Propaganda, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so hingestellt werden, als würden sie etwas von der Firma stehlen“, so Zitron.

Opfer für die Karriere?

Der kanadische Unternehmer und Reality-Star Kevin O’Leary („Shark Tank“) widersprach dem im Interview mit CNBC und belegte gleichzeitig Zitrons These. Mit „Quiet Quitting“ zerstöre man seine Karriere. Nur wer über die Pflicht hinweggehe, würde Erfolg haben, so O’Leary. Er würde nur Menschen einstellen, die gewillt seien, acht Tage die Woche 25 Stunden täglich einsatzbereit zu sein – wer seinen Laptop um 17.00 Uhr zuklappe, der arbeite nicht für ihn. „Es ist ein Opfer. Aber ist es das wert? Oh ja“, ist O’Leary von seinem Ansatz überzeugt.

„Sechs Anzeichen, dass ein ‚Quiet Quitter‘ unter Ihren Angestellten ist und wie damit umgehen“, titelte das US-Magazin „Forbes“. Unter Berufung auf eine von „Harvard Business Review“ publizierte Studie bezifferte „Forbes“ den Schaden, der US-Unternehmen durch „Quiet Quitter“ entstehen würde, mit einer Höhe von bis zu 150 Milliarden Dollar jährlich. Es gelte als Unternehmen zu unterscheiden, ob jemand nur die Zeit absitze, oder tatsächlich seine Arbeit mache, so Joe Galvin von der Unternehmerorganisation Vistage Woldwide.

Unternehmen müssen Lösungen finden

„Quiet Quitting“ habe es demnach immer schon gegeben. Unternehmerinnen und Unternehmer seien gefordert, herauszufinden, warum jemand sein Engagement zurückfahre. Millennials und GenZ-Angehörige würden viel mehr Wert auf eine angenehme Unternehmenskultur legen und Firmen bevorzugen, denen die psychische Gesundheit und die Work-Life-Balance ihrer Angestellten wichtig ist, hieß es im „Forbes“-Magazin.

Führungskräfte sollten „offene und ehrliche Gespräche“ mit der Belegschaft führen, riet Galvin. Man müsse sicherstellen, dass sich Angestellte gehört fühlen und verstehen, wie ihre Rolle ins Gesamtgefüge des Unternehmens spielt. Start-up-Berater Zitron hatte für Unternehmen, die sich vor „Quiet Quittern“ fürchten, eine relativ einfache Lösung: „Zahlt für extra Arbeit.“