Gaspipeline Nord Stream 1
APA/dpa/Jens Büttner
„Nord Stream 1“

Unsicherheit lässt Gaspreis weiter steigen

Der Gasmangel infolge des Ukraine-Krieges treibt den Gaspreis in Europa weiter nach oben. Er ist derzeit so hoch wie kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Hintergrund ist eine angekündigte Unterbrechung der Pipeline „Nord Stream 1“. Laut NEOS Lab waren Österreichs Gaszahlungen an Russland von Jänner bis Mai bereits so hoch wie im Gesamtjahr 2021. Unterdessen füllen sich auch die heimischen Gasspeicher weiter.

Der Gaspreis sprang am Donnerstagvormittag über die Marke von 300 Euro je Megawattstunde (MWh), nachdem sich der für den europäischen Gashandel richtungsweisende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in Amsterdam an den beiden Vortagen vergleichsweise stabil gehalten hatte. In der Früh stieg der Preis um mehr als sechs Prozent auf knapp 316 Euro je Megawattstunde.

Nur in der Zeit unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges war der Preis für das in Europa gehandelte Erdgas kurzzeitig mit einem Spitzenwert von 345 Euro höher gewesen als Donnerstagvormittag. Der Spotpreis ist der Preis für an einem aktuellen Tag gehandelte Ware im Unterschied zum Terminpreis (Future), also dem ausgehandelten Preis für später gelieferte Rohstoffe, Güter und Waren.

Geplante Unterbrechung nährt Befürchtungen

Auf dem Markt wurde der jüngste Höhenflug mit einer erneuten Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Europa durch die Pipeline „Nord Stream 1“ erklärt. Russland hatte angekündigt, Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline ab dem 31. August für drei Tage zu unterbrechen. Das nährte Befürchtungen, der ohnehin schon stark gedrosselte Gasfluss aus Russland könnte komplett stoppen, sollte die Lieferung nach der Pause nicht wieder aufgenommen werden.

Gasspeicher Haidach
ORF.at/Roland Winkler
Der Gasspeicher Haidach

Die Betreibergesellschaft von „Nord Stream 1“ trägt nach eigenen Angaben keine Verantwortung für die vom russischen Staatskonzern Gasprom angekündigte dreitägige Wartung. Die Kompressorstation Portowaja liege im vorgelagerten Transportsystem und somit außerhalb des Verantwortungsbereichs der Nord Stream AG, erklärte das Unternehmen am Dienstag auf Anfrage. Die von Gasprom angekündigte Wartung werde daher nicht durch die Nord Stream AG durchgeführt.

Auch Strompreis gestiegen

Infolge der gestiegenen Gaspreise stiegen auch die Großhandelspreise für Strom. An der Energiebörse EPEX kostete eine Megawattstunde Strom am Donnerstag für Freitag in der Grundlast rund 700 Euro und in der Spitze sogar über 800 Euro. Selbst in Teilen Norwegens stieg der Spotpreis auf rund 650 Euro. In Deutschland stieg der Terminkontrakt (Future) zur Lieferung einer Megawattstunde Strom in einem Jahr auf 709 Euro. Das signalisiert, dass die Preise hoch bleiben werden.

Um aus Erdgas eine Megawattstunde Strom erzeugen zu können, müssen ungefähr zwei Megawattstunden Gas verbrannt werden. Das liegt am physikalischen Wirkungsgrad der Gaskraftwerke. In der aktuellen Situation bedeutet das, dass Strom im Großhandel meist mehr als doppelt so teuer ist wie Gas im Großhandel. Zu den Brennstoffkosten kommen bei fossilen Kraftwerken noch die Kosten für die CO2-Emissionen. Um die Strompreise wieder zu senken, braucht es Experten zufolge einen großen Ökostromausbau in ganz Europa.

Ministerium: Abhängigkeit von russischem Gas reduziert

In den österreichischen Gasspeichern sind laut Angaben von Montag 59,2 Terawattstunden (TWh) Erdgas eingelagert – damit sind die Speicher zu rund 62 Prozent voll. Die Speichermenge entspricht beinahe zwei Drittel des heimischen Jahresverbrauchs, allerdings ist nicht die gesamte gespeicherte Menge für die österreichischen Verbraucher bestimmt. Vollen Zugriff wird die Republik auf die strategische Gasreserve von 20 TWh haben, wovon 8,5 TWh nicht aus Russland stammen.

„Bis 2027 haben wir die Abhängigkeit von russischem Erdgas beendet“, zeigte sich Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) zu Wochenbeginn in einer Aussendung sicher, auch wenn dafür ein „nationaler Kraftakt“ notwendig sei, „jeder und jede soll sich daran beteiligen“. In den vergangenen Monaten habe Österreich seine Abhängigkeit von russischem Gas von 80 auf unter 50 Prozent reduziert, hieß es aus dem Ministerium.

Speicher Haidach soll heuer angeschlossen werden

Im Hinblick auf den bevorstehenden Winter hat sich die Lage im Vergleich zum Frühjahr etwas entspannt, der Gassicherheitspolster ist deutlich dicker geworden. Dazu beigetragen hat auch, dass dem russischen Speichervermarkter GSA bisher ungenutzte Kapazitäten im Gasspeicher Haidach entzogen und die Vermarktung der RAG übertragen wurde – dieser Speicher wird mit der strategischen Reserve befüllt. Haidach soll noch heuer an das österreichische Marktgebiet angeschlossen werden, bisher dient der Speicher nur zur Versorgung von Verbrauchern in Deutschland.

Damit das russische Gas schneller durch teureres Gas aus anderen Ländern ersetzt werden kann, sieht das Gasdiversifizierungsgesetz u. a. vor, dass Teile der Mehrkosten vom Bund übernommen werden. Die OMV hat sich dazu wie berichtet 40 TWh Leitungskapazität besichert, um Gas aus Norwegen, den Niederlanden und Italien nach Österreich bringen zu können.

Haushalte sollen zum Sparen motiviert werden

Der Gasbedarf soll außerdem reduziert werden, indem Anlagen gefördert werden, die auf andere Energieformen als Gas zurückgreifen können. Um auch die Haushalte zum Sparen zu motivieren, ist zu Beginn der Heizsaison eine großangelegte Werbekampagne geplant. Falls die Gaslieferungen aus Russland ganz ausbleiben sollten, kann der Staat Energielenkungsmaßnahmen ergreifen, damit bevorzugt Haushalte, die Nahrungsmittelerzeugung, die Stromversorgung und die Spitäler versorgt werden können.

„Wir befinden uns in einer Situation, wie wir sie seit Bestehen der E-Control noch nie erlebt und zu bewältigen hatten“, sagte E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch. Man habe etliche Datenerhebungen unter Großabnehmern, Fernwärmeunternehmen, Netzbetreibern und Speicherkunden im In- und Ausland durchgeführt und ausgewertet, acht Verordnungen angepasst und vorbereitet. Einige davon seien bereits in Kraft, andere für mögliche Eskalationsstufen vorsorglich ausgearbeitet.

Rascher Ausbau von Infrastruktur moniert

Gewessler lässt sich in Energiefragen vom früheren E-Control-Vorstand Walter Boltz beraten. Er urgierte etwa den raschen Ausbau der Infrastruktur für den Gasimport aus Deutschland, Italien, Slowenien und Kroatien, „sodass wir bis zu 100 Prozent des österreichischen Gasverbrauchs bei Bedarf von dort importieren können“.

Dieser Ausbau müsse so geplant werden, dass man künftig auch Wasserstoff in den Leitungen transportieren kann. Die Diversifizierung weg von russischem Gas müsse auch bei geänderten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen weitergeführt werden, so Boltz. „Österreich darf nie mehr von einem einzelnen Lieferanten so massiv abhängig werden.“

NEOS Lab: Heuer werden es bis zu zehn Milliarden sein

NEOS Lab berechnete indes, dass Österreich für russisches Gas von Jänner bis Mai 3,4 Milliarden Euro bezahlte – das ist fast so viel wie im gesamten Jahr 2021. Das Geld fehle langfristig bei der Kaufkraft in Österreich, sagte Lukas Sustala, Direktor des NEOS Lab, im Ö1-Interview. „In einem normalen Jahr machen die Zahlungen für russische Gasimporte ungefähr ein bis zwei Milliarden Euro aus. Heuer werden es bis zu zehn Milliarden sein.“ Dadurch würden das russische Kriegstreiben unterstützt und die EU-Sanktionen geschwächt.

„Wir müssen endlich in einer EU-weiten Kraftanstrengung die größte Lücke im Sanktionsregime schließen und mit hohen Zöllen auf Gas- und Ölimporte aus Russland (Präsident Wladimir, Anm.) Putins Kriegsgewinne abschöpfen“, so Sustala in einer Aussendung. Das Risiko eines sofortigen Lieferstopps durch den russischen Präsidenten hält Sustala für überschaubar.