Russischer Soldat vor dem AKW Saporischschja
APA/AFP/Andrey Borodulin
Atomkraftwerk Saporischschja

Arbeiten zu Wiederanschluss laufen

Nach einem Notfall in dem von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja arbeitet die Ukraine daran, die Anlage wieder an das Stromnetz anzuschließen. Ein Reaktor war Freitagnachmittag bereits wieder am Netz, teilte die ukrainische Betreibergesellschaft Enerhoatom mit. Kiew drängt unterdessen auf einen baldigen Besuch internationaler Fachleute.

Freitagfrüh war das Kraftwerk noch vom ukrainischen Stromnetz abgeschnitten, so Enerhoatom. Die beschädigte Anschlussleitung, die für den Ausfall verantwortlich war, sei jedoch „repariert“. Am Nachmittag hieß es dann, ein Reaktor sei wieder am Netz und baue Kapazität auf.

Am Donnerstag war es an Europas größtem Atomkraftwerk zu einem Notfall gekommen, infolge dessen es in den umliegenden Regionen einen Stromausfall gab. Der Kiewer Darstellung zufolge wurde das AKW nach russischem Beschuss zwischenzeitlich komplett vom regulären ukrainischen Stromnetz getrennt und nur noch über eine Notleitung mit Elektrizität versorgt. Die beiden bis zuletzt betriebenen Reaktorblöcke seien notabgeschaltet worden.

Ruf nach rascher IAEA-Inspektion

Vertreterinnen und Vertreter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und der Vereinten Nationen sollten nukleare Sicherheitsstandards im AKW untersuchen, forderte am Freitag der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko. Er forderte in einem Facebook-Eintrag zudem den kompletten Rückzug der russischen Truppen von dem AKW-Gelände.

Kiew drängt auf rasche IAEA-Mission

Nach einem Notfall in dem von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja hat Kiew auf einen baldigen Besuch internationaler Fachleute gedrängt.

IAEA-Direktor Rafael Grossi bekräftigte nach dem Vorfall seine Bereitschaft, in den kommenden Tagen mit Fachleuten nach Saporischschja zu fahren. Bisher ist eine solche Mission wegen der Uneinigkeit über die genauen Reisemodalitäten nicht zustande gekommen. Die Verhandlungen zwischen der IAEA und Russland laufen.

Widersprüchliche Angaben aus Russland

Widersprüchliche Angaben zur Lage im AKW kamen aus russischen Quellen. Der von Moskau eingesetzte Statthalter von Enerhodar im Süden der Ukraine, in der die Anlage liegt, sagte am Freitag zunächst, das AKW laufe ohne Ausfälle und liefere wie gehabt Elektrizität an die Ukraine.

Freitagmittag hieß es dann, ukrainische Streitkräfte hätten das letzte noch verbliebene Leitungskabel, das das AKW mit dem ukrainischen Netz verbindet, zerstört. Die Anlage liefere somit gegenwärtig keine Elektrizität in die Ukraine, sagte ein Verwaltungsbeamter.

Moskau teilte zudem mit, russische Truppen hätten eine aus US-Produktion stammende Haubitze vom Typ M777 zerstört, die zum Beschuss des Atomkraftwerks genutzt worden sei. Die Angaben sind von unabhängiger Seite nicht verifizierbar.

Selenskyj: „Strahlenunfall“ verhindert

Auch auf ukrainischer Seite gab es abweichende Meinungen: Während Präsident Wolodymyr Selenskyj davon sprach, dass die Welt einer nuklearen Katastrophe entronnen sei, betonte Enerhoatom, dass es derzeit keine Probleme mit den Maschinen oder den Sicherheitssystemen des Kraftwerks gebe.

Die Anlage in den von Russland besetzten Gebieten geriet in den vergangenen Wochen mehrfach unter Beschuss. Russland und die Ukraine geben einander dafür die Schuld. Selenskyj lobte die ukrainischen Beschäftigten, die die Anlage unter den Augen des russischen Militärs betreiben.

„Hätte unser Stationspersonal nach dem Stromausfall nicht reagiert, hätten wir bereits die Folgen eines Strahlenunfalls zu bewältigen gehabt“, sagte der ukrainischen Staatschef in einer Abendansprache am Donnerstag. „Russland hat die Ukraine und alle Europäer in eine Situation gebracht, die nur einen Schritt von einer Strahlenkatastrophe entfernt ist.“

Wladimir Rogow, ein von Russland ernannter Beamter in der besetzten Stadt Enerhodar in der Nähe des Kraftwerks, machte dagegen die ukrainischen Streitkräfte für den Vorfall verantwortlich. Sie hätten ein Feuer in einem Wald in der Nähe des Kraftwerks verursacht. Die Städte in der Gegend seien mehrere Stunden lang ohne Strom gewesen, schrieb Rogow auf Telegram.

UNO-Chef fordert „Entmilitarisierung“

Die russischen Streitkräfte nahmen das Kraftwerk Anfang März ein. Ukrainische Ingenieure von Enerhoatom stellen aber noch immer den täglichen Betrieb sicher. Westliche Staats- und Regierungschefs haben gefordert, dass Russland die Anlage an die Ukraine zurückgibt. UNO-Chef Antonio Guterres plädierte für eine „Entmilitarisierung“ der Anlage.

Atomexperte: Eklatanter Informationsmangel

Dass das AKW zwischenzeitlich vom Netz genommen worden sei, ist für den Atomexperten Georg Steinhauser von der TU Wien „keine gute Nachricht“. Dieser Schritt bedeute eine extreme Belastung für das ukrainische Stromnetz, sagte Steinhauser am Freitag im Ö1-Morgenjournal. Auch für die Sicherheit des AKW sei das „höchst problematisch“.

Steinhauser beklagte einen „eklatanten“ Informationsmangel, was die Lage im Atomkraftwerk betrifft. Ob man die Meldungen der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde für „bare Münze“ nehmen könne, ist für ihn unklar. Dass die IAEA auf eine Inspektion drängt, begrüßte er. Eine solche Mission sei „dringend notwendig“.

Keine Hinweise auf erhöhte Strahlung

Expertinnen und Experten zufolge ist unklar, wer im Falle einer Atomkatastrophe mit der Bewältigung betraut werden würde. „Wir wissen nicht, was in einer Kriegssituation passiert, wenn wir einen atomaren Notfall haben“, sagte Kate Brown von der US-Universität MIT.

Zur Erinnerung: Bei der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 habe die Sowjetunion Zehntausende Menschen, Ausrüstung und Einsatzfahrzeug an den Ort des Geschehens bringen können. Nach Angaben des Klimaschutzministeriums gebe es aktuell keinen Hinweis auf erhöhte Strahlung im Bereich des AKW Saporischschja.

Saporischschja wurde ab 1980 gebaut, der letzte der insgesamt sechs Reaktorblöcke ging 1995 ans Netz. Die Reaktoren werden mit Uran betrieben und mit Wasser gekühlt.