Kernkraftwerk in Saporischschja
Reuters/Alexander Ermochenko
AKW Saporischschja

Warnung vor Austritt von Radioaktivität

In dem von russischen Truppen besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja besteht nach Angaben des Betreibers das Risiko des Austritts von Radioaktivität. Die Anlage sei erneut „mehrmals“ vom russischen Militär beschossen worden, teilte der staatliche ukrainische Energiekonzern Enerhoatom am Samstag mit. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte vor einer neuerlichen Notlage.

Durch den Beschuss sei die Infrastruktur des größten Atomkraftwerks Europas beschädigt worden, so Enerhoatom. Nach Angaben des Betreibers lief das AKW gegen Mittag „mit dem Risiko, Radioaktivitäts- und Feuerschutzstandards zu verletzen“. Seit einigen Wochen werden die Gegend des AKW Saporischschja und auch Teile des Werksgeländes immer wieder beschossen, die Ukraine und Russland machen sich gegenseitig dafür verantwortlich.

Moskau: Ukrainische Armee für Beschuss verantwortlich

Russlands Verteidigungsministerium teilte am Samstag mit, das AKW sei innerhalb von 24 Stunden insgesamt dreimal mit Artillerie von ukrainischer Seite beschossen worden. Dabei seien vier Geschosse in das Dach einer Anlage eingeschlagen, in der Kernbrennstoff der US-Firma Westinghouse gelagert sei, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow in Moskau.

Kriegsschauplatz AKW Saporischschja

Das Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine dürfte wieder mit Strom versorgt werden. Rund um die Kämpfe beim AKW hat sich mittlerweile auch ein Propagandakrieg um die Deutungshoheit zwischen Russland und der Ukraine entwickelt.

Überprüfbar von unabhängiger Seite war das nicht. Der Sprecher sagte auch, dass weitere Geschosse in der Nähe von Lagern mit Brennstäben und mit radioaktiven Abfällen eingeschlagen seien. Die Strahlensituation liege aber weiter im normalen Bereich.

„Die Kontrolle des technischen Zustands des Atomkraftwerks und die Absicherung ihres Betriebs wird vom technischen Personal erledigt“, sagte Konaschenkow. Er betonte erneut, dass die russischen Streitkräfte die Anlage bewachten, aber in der Nähe keine schweren Waffen hätten.

Zwischenzeitliche Notabschaltung

Erst am Freitag war das Kraftwerk nach eintägiger Unterbrechung wieder ans ukrainische Stromnetz angeschlossen worden. Zuvor war das Atomkraftwerk nach ukrainischen Angaben infolge russischer Angriffe erstmals in seiner Geschichte vollständig vom Stromnetz getrennt worden.

Grund für die zwischenzeitliche Notabschaltung zweier Reaktoren war nach Angaben beider Seiten eine beschädigte Hochspannungsleitung. Die Ukraine nannte russischen Artilleriebeschuss als Ursache. Die Besatzer sprachen von einem Brand als Auslöser eines Kurzschlusses. Was den Brand verursachte, sagten sie nicht. Mit insgesamt sechs Blöcken ist Saporischschja das größte Atomkraftwerk Europas. Im März wurde es von Russlands Truppen erobert.

Auch der ukrainische Präsident Selenskyj warnte vor weiteren Notlagen. „Ich möchte betonen, dass die Situation sehr riskant und gefährlich bleibt“, sagte Selenskyj in einer Videoansprache in der Nacht auf Samstag. Selenskyj bekräftigte seine Forderung nach einem baldigen Besuch internationaler Fachleute sowie nach dem Rückzug der russischen Truppen von dem AKW-Gelände.

London: Verstärkte russische Angriffe im Osten

Die russische Armee hat nach britischen Erkenntnissen ihre Angriffe in der Ostukraine wieder verstärkt. In den vergangenen fünf Tagen habe die Intensität russischer Attacken nahe der Großstadt Donezk zugenommen, berichtete das Verteidigungsministerium in London am Samstag. Mit den Angriffen wollten die russischen Truppen vermutlich zusätzliche ukrainische Truppen im Osten binden, um eine erwartete ukrainische Gegenoffensive im Süden des Landes zu erschweren, hieß es unter Berufung auf geheimdienstliche Erkenntnisse.

Es habe heftige Kämpfe nahe der Städte Siwersk und Bachmut nördlich von Donezk gegeben. Truppen der moskautreuen Separatisten seien vermutlich weiter ins Zentrum des Dorfes Pisky nahe dem zerstörten Flughafen Donezk vorgedrungen, hieß es weiter. Insgesamt hätten die russischen Einheiten aber nur wenige Geländegewinne verzeichnet.

Selenskyj: Eine Mio. Tonnen Lebensmittel exportiert

Die Ukraine hat Selenskyj zufolge seit dem Abschluss eines Abkommens unter der Vermittlung der Türkei und der UNO insgesamt eine Million Tonnen Agrarprodukte über ihre Schwarzmeer-Häfen exportiert. Dabei seien 44 Schiffe zu 15 Staaten aufgebrochen, sagte Selenskyj. Ziel seiner Regierung sei es, drei Mio. Tonnen pro Monat zu exportieren.

Getreideausfuhr aus der Ukraine

Etwa eine Million Tonnen Getreide hat man seit dem Abkommen aus der Ukraine exportieren können. Enorm wichtig für die Ukraine, da das Land viel mit Getreideausfuhr verdient, und für jene Länder, in denen die Getreideblockade in den Monaten zuvor für Lebensmittelknappheit geführt hat.

Zur Entfernung von Seeminen vor der ukrainischen Küste stellt Großbritannien den ukrainischen Streitkräften unterdessen sechs Unterwasserdrohnen zur Verfügung. Ukrainisches Personal werde in Großbritannien an den Geräten ausgebildet, teilte das Verteidigungsministerium mit. Der Schritt solle auch dazu beitragen, die Fahrt für Getreidefrachter sicherer zu machen.

Medwedew „unter Bedingungen“ gesprächsbereit

Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew sieht Russlands Regierung unterdessen „unter bestimmten Bedingungen“ zu Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj bereit. Das sagte Medwedew laut russischen Nachrichtenagenturen im französischen Fernsehsender LCI, ohne konkrete Details zu nennen.

Russland werde seine „militärische Spezialoperation“ (Russlands Bezeichnung für seinen Angriffskrieg) aber fortsetzen, bis es seine Ziele erreicht habe, bekräftigte der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats.

Vorgehen „maximal schonend und gemäßigt“

Medwedew zufolge würde jedoch auch ein offizielles Nein der Ukraine zu einem NATO-Beitritt den Krieg in der Ukraine nicht beenden. „Der Verzicht auf einen Beitritt zur nordatlantischen Allianz ist jetzt von absolut entscheidender Bedeutung, reicht aber nicht aus, um Frieden zu schaffen“, sagte er und rechtfertigte den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

„Es wird eine militärische Spezialoperation durchgeführt, damit es nicht zum Dritten Weltkrieg kommt“, sagte Medwedew in dem viertelstündigen Gespräch und nannte das Vorgehen in der Ukraine „maximal schonend und gemäßigt“.