Gruppenfoto von Rafael Grossi und seinem Team
APA/AFP/@rafaelmgrossi account Twitter
AKW Saporischschja

IAEA-Team vor heikler Mission

Inmitten der Kämpfe in der Ostukraine wird ein Team aus Fachleuten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) diese Woche das AKW Saporischschja inspizieren. Die Anlage wird von russischen Soldaten besetzt, betrieben wird sie von ukrainischen Technikern und Technikerinnen. Die Besatzer wollen für die Sicherheit des Teams sorgen – das AKW-Gelände zu entmilitarisieren lehnen sie aber ab. Unterdessen meldete Kiew einen Frontdurchbruch im Süden der Ukraine.

„Ich bin stolz darauf, diese Mission zu leiten, die im Laufe dieser Woche im Kernkraftwerk sein wird“, twitterte etwas überraschend IAEA-Chef Rafael Grossi am Montag. Eine Reise von IAEA-Fachleuten ist seit Monaten im Gespräch, scheiterte aber bisher unter anderem an fehlenden Sicherheitsgarantien und Streit über die Modalitäten des Besuchs.

Insbesondere die Ukraine hatte Sorge, eine Inspektion durch die IAEA könnte die russische Besatzung international legitimieren. Schließlich stimmte die Ukraine aber zu. Am Freitag drängte Präsident Wolodymyr Selenskyj Grossi zur schnellstmöglichen Entsendung einer Mission angesichts der „gefährlichen“ Lage. Der russische Angriffskrieg läuft mittlerweile seit mehr als sechs Monaten.

Anlage und Gelände unter Beschuss

Grossi kündigte die Mission an, als die Ukraine Russland beschuldigte, neue Raketen- und Artillerieangriffe auf oder in der Nähe der Anlage durchgeführt zu haben. Der Dauerbeschuss verstärkt die Befürchtung, dass die Kämpfe ein großes Strahlungsleck verursachen und zu einer Katastrophe führen könnten. Die Anlage, die über sechs Reaktoren verfügt, war bereits letzte Woche unter dem Beschuss vorübergehend vom Netz genommen worden.

Russland beschuldigte im gleichen Atemzug die Ukraine, die Anlage am Wochenende unter Beschuss genommen zu haben. Das russische Präsidialamt forderte die internationale Gemeinschaft auf, die Ukraine zum Abbau „militärischer Spannungen“ um das Atomkraftwerk zu bringen. Die Ukraine hielt dagegen: „Sie provozieren und versuchen, die Welt zu erpressen“, schrieb der Generalstabschef von Präsident Selenskyj, Andrij Jermak, auf Twitter.

Das AKW befindet sich nicht weit von der im Jahr 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim entfernt. Die staatliche ukrainische Betreibergesellschaft Enerhoatom vermutet deshalb, dass Russland Saporischschja an das Stromnetz der Krim anschließen will.

Eingang zu AKW Saporischschja
Reuters/Alexander Ermochenko
Hier sollen die IAEA-Mitarbeiter in den kommenden Tagen eintreten, um das AKW zu inspizieren

Russlands Interesse am Besuch

Das 14-köpfige Team von IAEA-Chef Grossi brach am Montag in die Ukraine auf. Nach russischen Angaben sollten ein paar Fachleute „auf ständiger Basis im Kraftwerk“ bleiben. Russlands Vertreter bei den internationalen Organisationen in Wien, Michail Uljanow sagte, die Experten würden von einem großen Logistik- und Sicherheitsteam der UNO begleitet werden.

Atomenergiebehörde

Die 1957 gegründete IAEA wacht über die zivile Nutzung der Atomkraft und unterstützt beim sicheren Betrieb der Anlagen. Die Behörde unter dem Dach der UNO mit Sitz in Wien hat rund 170 Mitgliedsstaaten.

Russland sicherte zudem der IAEA die Zusammenarbeit zu. Man sei an der IAEA-Mission interessiert und an deren Vorbereitung beteiligt gewesen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. „Russland ist offen für eine Zusammenarbeit.“ Beim Besuch werde es aber nicht um die Frage nach einer möglichen entmilitarisierten Zone um das Kraftwerk im Südosten der Ukraine gehen.

Die Vereinten Nationen, die USA und die Ukraine hatten zuletzt den Abzug von militärischem Gerät und Personal aus dem größten europäischen AKW-Komplex gefordert, um sicherzustellen, dass er nicht zur Zielscheibe wird. Der Kreml will der Forderung nicht nachkommen, sondern für „Sicherheit sorgen“. Die von Russland eingesetzten Behörden im Osten der Ukraine erklärten, sie würden den Schutz der Expertendelegation gewährleisten.

G-7: Russische Besatzer erhöhen AKW-Risiko

Die Gruppe der G-7-Staaten begrüßte die geplante Inspektion und kündigte ihre Unterstützung an. Die im Staatenbund der G-7 für nukleare Sicherheit zuständigen Fachleute forderten, die IAEA-Mission müsse zeitnah und sicher Zugang zu der nuklearen Infrastruktur in der Ukraine bekommen und ohne Druck oder Einmischung arbeiten können. Dabei müsse unbedingt die ukrainische Souveränität respektiert werden.

Zuvor hatte es unter anderem Streit darüber gegeben, ob die IAEA-Fachleute über russisch kontrolliertes Territorium oder ukrainisches Gebiet anreisen. „Wir bekräftigen, dass das Atomkraftwerk Saporischschja und die Energie, die es produziert, der Ukraine gehört, und betonen, dass jegliche Versuche von Russland, das Kraftwerk vom ukrainischen Stromnetz zu nehmen, inakzeptabel sind“, hieß es in der G-7-Mitteilung.

Die russische Besatzung erhöhe das Risiko eines nuklearen Unfalls und gefährde die Bevölkerung der Ukraine, der Nachbarstaaten und der internationalen Gemeinschaft. Zu den G-7-Staaten, die die Inspektion sowohl technisch als auch finanziell unterstützen wollen, gehören neben Deutschland und den USA auch Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada und Japan.

Viele Aufgaben zu erledigen

IAEA-Experten wollen die Sicherheitssysteme und die Schäden am AKW untersuchen, weil die Angaben aus Kiew und Moskau dazu oft widersprüchlich waren. Außerdem möchte sich die IAEA ein Bild von den Arbeitsbedingungen der ukrainischen AKW-Mitarbeiter machen, die seit Monaten unter der Kontrolle russischer Besatzer ihren Aufgaben nachgehen müssen. Obendrein wollen IAEA-Inspekteure sicherstellen, dass alles Nuklearmaterial noch an Ort und Stelle ist.

Inspektion im AKW Saporischschja geplant

Fachleute der Internationalen Atomenergiebehörde wollen noch in dieser Woche in der Ukraine das Atomkraftwerk Saporischschja inspizieren. Seit Wochen ist es von russischen Truppen besetzt.

Besonders besorgt sind Fachleute in und außerhalb der IAEA über die Stromversorgung des AKW, mit dem die Kühlung des Nuklearmaterials betrieben wird. Von vier Stromleitungen war zuletzt nur noch eine intakt. Bisher ist in Saporischschja keine Radioaktivität ausgetreten. Laut IAEA sind in den vergangenen Monaten jedoch alle Prinzipien der Anlagensicherheit verletzt worden.

Nach ukrainischen Angaben war das AKW am Donnerstag erstmals in seiner Geschichte vollständig vom Stromnetz getrennt worden. Am Freitag wurde die Verbindung wiederhergestellt. Als Ursache für die Trennung vom Netz hatte die staatliche ukrainische Betreibergesellschaft Enerhoatom mit Blick auf die russische Armee „Handlungen der Invasoren“ genannt.

Frontdurchbruch in Südukraine

Unterdessen gehen in der Ukraine die Kämpfe weiter. So sollen im südukrainischen Gebiet Cherson ukrainische Truppen die russische Front durchbrochen haben. „Die Streitkräfte der Ukraine haben Offensivhandlungen in vielen Abschnitten im Süden der Ukraine begonnen“, zitierte das Internetportal Hromadske die Pressesprecherin der Südgruppe der ukrainischen Armee, Natalija Humenjuk.

Einheiten der Donezker Separatisten und unterstützender russischer Marineinfanterie sollen zum Rückzug gezwungen worden sein. Humenjuk sagte, jüngste Angriffe auf russische Nachschubwege hätten „zweifellos den Feind geschwächt“. Innerhalb der vergangenen Woche seien unter anderem zehn Munitionsdepots der Russen getroffen worden.

Genauere Ortsangaben wurden nicht gemacht. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Sei Kriegsbeginn eroberte Russland große Teile der Süd- und Ostukraine. Die ukrainische Führung nährt seit Juni Hoffnungen auf eine größere Gegenoffensive im Süden.