Wien Energie Hauptquartier
Reuters/Leonhard Foeger
Wien Energie

Börsengeschäfte als Achillesferse

Die Wien Energie braucht Geld, die benötigten Summen und die Dringlichkeit sind allerdings überraschend. Was sich bisher zeigt: Es waren Termingeschäfte an der Börse, die das Energieunternehmen im Besitz der Stadt Wien in die Bredouille gebracht haben. Zum Verhängnis dürften dem Unternehmen dabei vor allem Stromverkäufe geworden sein.

Am Dienstag gaben Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und Finanzstadtrat Peter Hanke (beide SPÖ) zusammen mit Peter Weinelt von der Wien Energie eine Pressekonferenz, um drängende Fragen zum aktuellen Finanzdesaster zu beantworten. Fazit: Die Vorgänge seien korrekt gewesen, die derzeit „verrückten Märkte“ trügen Schuld an der Lage des größten Energieversorgers des Landes. Auch in einer detaillierten Aussendung des Unternehmens selbst wird betont: Die zuverlässige Energieversorgung der Bevölkerung habe oberste Priorität, es gelte zudem ein „absolutes Spekulationsverbot“, man tätige „selbstverständlich keine Leerverkäufe“.

Ursprung der Turbulenzen sind wohl die Termingeschäfte an der Strombörse: Dort dürfte die Wien Energie im großen Stil gehandelt haben – das Unternehmen sieht das als notwendig an: Die europäischen Energiebörsen seien die einzigen Stellen, „wo man diese großen Mengen handeln und langfristig absichern kann. Das ist der ausschließliche Grund für diese Geschäfte“, so Wien Energie.

Doch nun angesichts der explodierenden Energiepreise habe sich die „Marktlage dramatisch entwickelt. Das war nicht vorhersehbar“. Die Folge: Engpässe bei der Liquidität.

Fritz Dittlbacher (ORF) zur Causa Wien Energie

Fritz Dittlbacher (ORF) spricht über die finanzielle Notlage der Wien Energie. Um die Versorgungssicherheit sicherzustellen, soll nun der Bund einspringen. Auch der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat sich inzwischen zu Wort gemeldet. Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) fordert schonungslose Aufklärung und Konsequenzen.

Termingeschäfte und deren Absicherung

Dahinter steht die Art und Weise, wie an der Börse Termingeschäfte abgewickelt – und vor allem auch abgesichert werden. Ein Verkäufer bietet dort Strom für einen bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem bestimmten Betrag pro Megawattstunde an. Eine Käuferin stimmt diesem in der Zukunft liegenden Geschäft zu. Zugleich müssen Käuferin und Verkäufer bei der Börse Sicherheiten hinterlegen. Mit diesen sollen Preisschwankungen ausgeglichen werden, die im Falle eines Vetragsausfalls für die Käuferin beziehungsweise den Verkäufer relevant werden könnten.

Am besten lässt sich das an einem – vereinfachten – Beispiel zeigen: Ein Termingeschäft von Anfang des Jahres sah vor, dass zwölf Monate später eine Megawattstunde Strom für 100 Euro gehandelt wird. Da zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, ob das dann unter oder über dem aktuellen Tagespreis liegt, mussten Verkäufer und Käuferin eine Sicherheit – Margin genannt – hinterlegen. Diese berechnet die Börse aufgrund der vermuteten Schwankungen beim Preis.

Stromverkäufe als Akutproblem

Verändert sich der Preis nun in der Folge stärker als erwartet, müssen entweder Käuferin oder Verkäufer bei den Sicherheiten nachbessern. Dabei gilt ganz generell: Bei sinkenden Marktpreisen muss die Käuferin die Margin erhöhen, bei steigenden Preisen der Verkäufer. Dahinter steht die Idee, dass beim Ausfall einer der beiden Vertragspartner die Börse den anderen schadlos halten kann.

Grafik zu Termingeschäften
Grafik: APA/ORF.at

Um beim vorigen Beispiel zu bleiben: In den zwölf Monaten seit Abschluss des Termingeschäfts stieg der tagesaktuelle Strompreis auf die fünffache Höhe des vereinbarten Preises. Wenn nun der Verkäufer nicht liefern kann, muss die Börse den Strom zum hohen Tagespreis kaufen, ihn aber zum ursprünglich vereinbarten Preis an die Käuferin weitergeben. Die Differenz von 400 Euro muss durch die Margin abgesichert sein, die deshalb laufend angepasst wird. Das so gebundene Kapital erhält der Verkäufer zurück, wenn das Geschäft wie geplant über die Bühne geht.

Wenn die Wien Energie von stark gestiegenen Sicherheiten auf – bereits getätigte – Termingeschäfte spricht, ist davon auszugehen, dass sie dabei die Verkäuferin ist. Mit anderen Worten: Wien Energie hat – in der Vergangenheit – Termingeschäfte über den Verkauf von Strom abgeschlossen. Und muss nun angesichts explodierender Strompreise die Sicherheiten dafür stark aufstocken. Dabei geht es augenscheinlich um Garantiezahlungen in Milliardenhöhe.

Wien Energie: Nur Verkäufe über 4,48 TWh offen

Laut dem Finanzbericht für das vergangene Jahr der Wiener Stadtwerke – die Muttergesellschaft der Wien Energie – hatte der Konzern mit Ende 2021 für das Jahr 2022 Termingeschäfte über den Verkauf von rund 6,4 Terawattstunden offen – und für die Zeit danach noch einmal rund 3,3 Terawattstunden. Zum Vergleich: Die eigene Stromproduktion der Stadt Wien lag im Jahr 2021 bei rund 6,3 Terawattstunden. Vonseiten der Wien Energie hieß es am Dienstag allerdings, dass man aktuell nur 4,48 Terawattstunden Strom als offene Verkaufspositionen an der Börse halte.

Dass die Garantien auf Termingeschäfte die Finanzen belasten, schrieb die Wien Energie allerdings auch selbst in ihrem Jahresbericht. „Der signifikante Anstieg der kurzfristigen Verbindlichkeiten resultiert hauptsächlich aus der stichtagsbezogenen Bewertung von Strom- und Gasderivaten, welche die internationalen Verwerfungen auf den Energiemärkten widerspiegelt“, heißt es dort.

Risikominimierung vs. Spekulation

Doch was steht nun hinter den Börsengeschäften der Wien Energie? Handelt es sich dabei um ein Vorgehen, um möglichst große Planbarkeit zu erhalten und gleichzeitig das Risiko zu minimieren? So lautet die Erklärung von Wien Energie und Stadt Wien. Eine andere Möglichkeit ist, dass das Unternehmen durchaus riskante Spekulationen durchgeführt und auf fallende Strompreise gesetzt hatte, wie es etwa der Ökonom Stefan Schulmeister in den Raum stellte.

Er wies auch daraufhin, dass es bei Termingeschäften nicht um den Handel mit „echtem“ Strom gehe. „Derivatmärkte dienen der Absicherung des gegenwärtigen Preises oder der Spekulation mit künftigem Preis“, so Schulmeister auf Twitter.

Dass die Wien Energie mit Termingeschäften spekuliert habe, wiesen sowohl Wien-Energie-Aufsichtsrat Peter Weinelt als auch der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke zurück – mehr dazu in wien.ORF.at. Fachleute haben hier unterschiedliche Meinungen. Der ehemalige E-Control-Chef und nunmehrige Berater des Klimaschutzministeriums, Walter Boltz, sagte im Interview mit der ZIB Nacht am Montag, er glaube nicht an Spekulation „in dem Sinn, wie man das in der Öffentlichkeit diskutiert“.

Die Wiener hätten sich für „eine gewisse Beschaffungsstrategie und Strategie der Absicherung gegen Preisveränderungen entschlossen. Und diese Strategie hat sich nachträglich als, sagen wir so, nicht so erfolgreich herausgestellt“, so Boltz.

Der Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), Klaus Neusser, sagte in ORF III, dass Energieversorger Termingeschäfte abwickeln, sei durchaus üblich. Doch sei es „natürlich ein Spekulationsgeschäft, weil das in der Zukunft liegt“, so Neusser.

Walter Boltz zu Wien Energie

Dringlichkeit wirft Fragen auf

Für Verwunderung sorgte auch, dass die nun kolportierten Liquiditätsprobleme so kurzfristig publik gemacht wurden. Dass die Probleme „unvorhergesehen“ gewesen wären, sei „schwierig vorzustellen“, sagte Boltz etwa zu ORF III.

Auch Energieexperte Florian Haslauer sagte am Dienstag, dass ihn weniger die nötigen Summen wundern, vielmehr die Kurzfristigkeit. „Der übliche Geschäftsvorgang ist der, dass man über die Börse versucht, sein Risiko möglichst zu minimieren.“ Er gehe davon aus, dass das die Wien Energie wie üblich gemacht habe. Es gebe aber auch ein Risiko, wenn man auf fallende oder steigenden Preise „spekuliert“ bzw. auch ohne Spekulation für die Zukunft einkauft. „Da muss ich heute schon Mengen für 2024 kaufen, aber ich weiß noch nicht, wie viel ich brauche; da ist auch ein Risiko drin.“

Gerald Zmuegg von der Beratungsplattform Finanzombudsmann analysierte am Dienstag im Ö1-Mittagsjournal, dass die Wien Energie mit dem Umfang der Termingeschäften ein zu großes Risiko aufgenommen und sich „verspekuliert“ habe.

Auch Folgen für Einkäufe

Die jetzt schlagend gewordenen Steigerungen bei den Sicherheitszahlungen haben also wohl primär mit Terminverkäufen zu tun. Das heißt aber nicht, dass Wien Energie nicht auch bei – künftigen – Einkäufen mit höheren Garantien konfrontiert ist. Je mehr die Energiepreise schwanken, desto höher fällt auch die Sicherheit aus, die beim Abschluss neuer Termingeschäfte zu leisten ist.

Das könnte in Zukunft auch andere Energieanbieter betreffen. Wenngleich es am Montag noch von den anderen Unternehmen in Landesbesitz hieß, man sehe keine mit der Wien Energie vergleichbaren Probleme. Begründet wurde das von mehreren Energieversorgern auch damit, dass man im Vergleich mit der Wien Energie weit weniger stark an der Börse aktiv sei.

Tatsächlich läuft ein Großteil des Energiehandels hierzulande über „Over the counter“-Geschäfte ab. Dabei handelt es sich um direkte Geschäfte zwischen Käufer und Verkäuferin ohne dazwischen geschaltete Börse. Dort können zwar auch Sicherheiten fällig werden, das machen sich die Vertragsparteien aber untereinander aus.