IHS-Direktor Klaus Neusser
APA/Roland Schlager
Wien Energie

Ökonomen orten viele offene Fragen

Für Fachleute sind in der Causa rund um die Finanzprobleme der Wien Energie noch viele Fragen offen. Im Kern geht es darum, dass der Energieversorger für den Kauf von Strom an internationalen Energiebörsen Gelder zur Besicherung von künftigen Lieferverträgen (Futures) benötigt.

Für Klaus Neusser, den Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), ist in puncto Wien Energie noch einiges ungeklärt. Dass andere Energieversorger in eine ähnliche Schieflage kommen könnten, sei ihm derzeit nicht bekannt. So habe der Verbund zuletzt hohe Gewinne verkündet, da könne wohl keine Bedrohungssituation vorliegen. Und wie auch die Tiwag sei der Verbund durch den hohen Anteil an Strom aus Wasserkraft in einer „komfortablen Situation“, sagte Neusser gegenüber ORF III.

Dass Energieversorger Termingeschäfte abwickeln, sei durchaus üblich. Insbesondere für das erste Quartal des jeweiligen Jahres, weil hier typischerweise Engpässe herrschen würden. „Und das ist natürlich ein Spekulationsgeschäft, weil das in der Zukunft liegt“, so Neusser Montagabend. Ob man von einer drohenden „Pleite“ der Wien Energie sprechen könne? Es gehe hier um Garantien, die schlagend werden könnten, aber nicht müssen, so Neusser. „Dazu fehlt uns einfach jetzt das Detailwissen.“

EcoAustria-Direktorin verweist auf „volatile Märkte“

Ursächlich für die Milliardenlücke bei der Wien Energie sind auch aus Sicht der Direktorin des industrienahen Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, Monika Köppl-Turyna, „sehr volatile Märkte, die in den vergangenen Tagen besonders volatil waren“.

Zuerst habe es eine neue Verdoppelung der Strompreise gegeben, dann habe die gestrige Ankündigung von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, den europäischen Strommarkt zu reformieren, wieder für Entspannung gesorgt. Für sie ist aber rund um den Milliardenfinanzierungsbedarf der Wien Energie derzeit die Grenze zwischen normalem Geschäft und zu viel Risiko bei Spekulationen noch offen. Es gebe noch wenig Information, grundsätzlich handle es sich um „Terminverträge, ein übliches Hedging am Markt“.

IV-Chefökonom äußert sich vorsichtig

Auch Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV), äußerte sich am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz vorsichtig zu den Finanzproblemen der Wien Energie. Ob hier alles korrekt gelaufen ist, sei „aus heutiger Sicht nicht beantwortbar“. Ebenso ob ein bundesweiter „Schutzschirm“ für alle Energieversorger notwendig sei – wie ihn nun der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) und die Branchenvertretung der Energieversorger fordern –, sei „von außen nicht zu beantworten“.

Sollten andere Versorger betroffen sein, sei es aber sinnvoll, „sehr früh über einen solchen Schutzschirm nachzudenken“. Derzeit gebe es aber keine Evidenz dafür, dass sich auch andere Energieversorger in einer ähnlichen Schieflage befänden. Diese seien nämlich in der „angenehmen Situation“, über eine höhere Eigenproduktion zu verfügen – anders als die Wien Energie, die gezwungen ist, mehr Strom an den Handelsplätzen zu kaufen.

Energieexperte Haslauer über Kurzfristigkeit verwundert

Energieexperte Florian Haslauer sagte bei ORF2-„Aktuell nach eins“ Dienstag zu Mittag, dass ihn weniger die nötigen Summen wunderten, die die Wien Energie braucht. Vielmehr sei es die Kurzfristigkeit, in der die Milliarden benötigt würden. „Der übliche Geschäftsvorgang ist der, dass man über die Börse versucht, sein Risiko möglichst zu minimieren.“ Er gehe davon aus, dass das die Wien Energie wie üblich gemacht habe.

Energieexperte Haslauer zur Wien Energie

Die Nachricht, dass der größte Energieanbieter Österreichs, die Wien Energie, in finanzielle Turbulenzen geraten ist, hat am Montag für große Aufregung gesorgt. Zur komplexen Lage rund um die Wien Energie ist Energieexperte Florian Haslauer zu Gast im Studio.

Es gebe aber auch ein Risiko, wenn man auf fallende oder steigende Preise „spekuliert“ bzw. auch ohne Spekulation für die Zukunft einkauft. „Da muss ich heute schon Mengen für 2024 kaufen, aber ich weiß noch nicht, wie viel ich brauche; da ist auch ein Risiko drin.“ Bei den jetzt nötigen hohen Zahlungen gehe es auch um Garantieleistungen, die Käufer und Verkäufer hinterlegen müssen, um Geschäfte abzuwickeln.

Risiken bei Termingeschäften

Beim Terminhandel über die Börse vereinbaren Verkäufer und Käufer den Verkauf eines Gutes zu einem bestimmten Preis, in einer bestimmten Menge und zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft. „Sie wissen heute, was morgen passiert, und können so ihr Risiko reduzieren“, erklärte Michael Böheim vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) im Ö1-Mittagsjournal am Dienstag.

Dabei gibt es ein System von Sicherheitsleistungen, das Margining. Es handelt sich dabei um eine Art Kaution, die beide Seiten für die Transaktion bereitstellen müssen. Diese hinterlegten Sicherheiten dienen der Absicherung der getätigten Börsengeschäfte und erfordern bei starken Preisschwankungen zusätzliche Liquidität.

Wenn der Preis des Gutes bis zum vereinbarten Verkaufstermin steigt, muss der Verkäufer glaubhaft machen, dass er die vereinbarte Menge trotzdem liefern kann. Dafür muss er eine höhere Sicherheitsleistung hinterlegen. Bei extremen Preissteigerungen besteht die Gefahr, dass der Verkäufer die Kaution nicht in entsprechender Höhe hinterlegen kann. In einem solchen Fall würde die Börse sämtliche Geschäfte des Verkäufers rückabwickeln, um die finanziellen Risiken der Zukunft zu vermeiden und den Verkäufer vom Handel an der Börse ausschließen, erklärte Walter Boltz, ehemaliger Chef der Stromregulierungsbehörde E-Control, am Dienstag im Ö1-„Journal um acht“.

„Risikomanagement ist nicht Wahrsagerei“

Das sei allerdings ein Risiko, das ein Unternehmen gar nicht erst eingehen dürfte: „Ich muss als Unternehmen darauf achten, dass mein theoretisches maximales Risiko so groß ist, dass ich es noch vernünftig managen kann“, sagte Boltz. Sei das nicht der Fall, müsse das Unternehmen seine Handelsgeschäfte beschränken.

„Risikomanagement ist nicht Wahrsagerei“, sagte auch Böheim. Es sei eine Technik, die Risiken beherrschbar macht und sich auch von extremen Preisbewegungen nicht überraschen lassen sollte, so der WIFO-Experte.