Eisschmelze in Spitzbergen
AP/Stocktrek Images/Ofer Zidon
Meeresspiegel steigt

Rekordwärme auch in Arktis

Nicht nur in Europa herrschte im Sommer eine Rekordhitze. Auch in der Arktis war es schon wieder viel zu warm, die norwegische Inselgruppe Spitzbergen erlebte den heißesten Sommer seiner Geschichte und einen enormen Eisverlust. Was in der Arktis passiert, hat globale Folgen, dort liegen nämlich wichtige Kipppunkte unseres Klimas.

„Schluss mit den Kühlschranktemperaturen“, formulierte es der norwegische Wetterdienst in seiner Sommerbilanz für Spitzbergen. Die Inselgruppe im arktischen Ozean in 78 Grad Nord ist eines der nördlichsten bewohnten Gebiete der Welt, bis zum Nordpol sind es nur noch etwas mehr als 1.000 Kilometer.

7,4 Grad beträgt das Temperaturmittel der Monate Juni, Juli und August am Flughafen in Spitzbergen, damit wurde der Rekord vom Jahr 2020 gebrochen. Noch bis 1990 lag die Sommertemperatur ziemlich stabil bei vier Grad, seitdem kennt der Anstieg kein Halten mehr. Im Schnitt der vergangenen zehn Jahre lag die Sommertemperatur schon bei 6,4 Grad.

Epizentrum des Klimawandels

Die extremen Sommertemperaturen in diesem Jahr stimmen mit jüngsten Forschungsergebnissen überein. Die Arktis hat sich in den letzten Jahrzehnten viermal schneller als der Rest der Welt erwärmt. In keiner Region der Erde steigen die Temperaturen so schnell und so umfangreich. Die Arktis ist ein Epizentrum des Klimawandels.

Satellitenbild von Spitzbergen
EU/Copernicus Sentinel-2/DEFIS_EU
Das Satellitenbild vom 1. August zeigt die schmelzenden, dunklen Gletscher in Spitzbergen. Mit dem Schmelzwasser gelangen viele Sedimente ins Meer und färben es braun.

Das liegt auch daran, dass sich das Meereis immer weiter zurückzieht und dadurch immer größere Wasserflächen frei werden. Wasser ist dunkel und erwärmt sich durch die Sonneneinstrahlung schneller, was wiederum mehr Eis schmelzen lässt. Ein Dominoeffekt mit selbstverstärkenden Folgen. In der Wissenschaft spricht man von einer positiven Rückkopplung.

Das arktische Meereis zählt zu den wichtigen Kipppunkten unseres Klimas. Es wird seit ein paar Jahrzehnten immer kleiner. Setzt sich der Trend fort, ist ein „Blue Ocean Event“, eine völlig eisfreie Arktis im Spätsommer Mitte dieses Jahrhunderts möglich.

Rekordschmelze der Gletscher

In Spitzbergen ist das Meereis heuer schon im späten Frühjahr verschwunden, was auch im Spätsommer nicht immer der Fall ist. Zudem war der Winter schneearm. Der extrem warme Sommer hat zu einer sehr großen, noch nie da gewesenen Gletscherschmelze auf Spitzbergen geführt. Mehr als die Hälfte des Archipels ist von Gletschern bedeckt, insgesamt 34.000 Quadratkilometer. Zum Vergleich: In den Alpen nehmen alle Gletscher nur rund 1.800 Quadratkilometer ein.

Eisschmelze in Spitzbergen
Ketil Isaksen

Die Schmelze auf Spitzbergen war fast zweimal größer als beim bisherigen Rekord 2018, meldete Xavier Fettweis, Klimaforscher an der Universität Lüttich. Ohne Klimawandel wäre die Eintrittswahrscheinlichkeit für dieses Ereignis bei eins zu 3,5 Millionen und damit praktisch unmöglich gewesen.

Ein Sommer wie dieser war also keine Laune der Natur und kein Ausreißer, sondern ganz klar Ausdruck der Klimakrise. Was in der Arktis passiert, hat globale Folgen. Sollten eines Tages alle Gletscher Spitzbergens schmelzen, steigt der Meeresspiegel weltweit um 1,7 Zentimeter. Dazu kommt noch die Ausdehnung des Meeres aufgrund der Erwärmung.

Entscheidend für den Meeresspiegel ist Grönland

Weit größer und wichtiger ist der Einfluss von Grönland. Neben dem arktischen Meereis stellt auch die vergletscherte Insel einen Klimakipppunkt dar. In Grönland ist so viel Wasser in Form von Eis gebunden, dass bei vollständigem Abtauen der Meeresspiegel um 7,4 Meter steigen würde. Viele Millionenstädte würden dann unter Wasser liegen, ganze Inseln wie die Malediven verschwinden, und die Landkarten der Erde müssten neu gezeichnet werden.

Grönland verliert so wie Spitzbergen und andere Inseln in der Arktis schon jetzt netto an Masse. In den letzten zwanzig Jahren hat die Eisschmelze Grönlands den Meeresspiegel schon um 1,2 Zentimeter steigen lassen. Grönland ist derzeit der Hauptfaktor für den Anstieg der Ozeane.

27 Zentimeter Anstieg auf jeden Fall

Selbst bei einem sofortigen weltweiten Stopp des CO2-Ausstoßes und ohne weitere Klimaerwärmung würden in Grönland etwa 3,3 Prozent des Eises – in Summe 110 Billionen Tonnen – abschmelzen und der Meeresspiegel um weitere 27 Zentimeter steigen, so eine neue Studie der Geologischen Forschungsanstalt für Dänemark und Grönland. Es dauert nämlich eine Zeit, bis der riesige Eisschild ein neues Gleichgewicht findet.

Falls das in Grönland extreme warme Jahr 2012 als Basis herangezogen und als durchschnittliches Klima in diesem Jahrhundert betrachtet wird, vergrößert sich der verursachte Masseverlust des grönländischen Eisschilds. Der Anstieg der Ozeane steigert sich dann auf 78 Zentimeter.

Ein sofortiger Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist nicht in Sicht, selbst die EU verfolgt nur einen Plan für ein klimaneutrales Europa bis zum Jahr 2050. Grönland wird also weit mehr abschmelzen. Die globale Erwärmung auf unter zwei Grad, möglichst unter 1,5 Grad zu begrenzen, sollte im Eigeninteresse der Menschheit liegen.

Rekordwerte am vergangenen Wochenende

Der Sommer 2022 war für Grönland eigentlich vergleichsweise günstig, wie dänische Forschungseinrichtungen auf Polarportal.dk meldeten. Es war relativ kühl und feucht. Der Masseverlust an Eis in Grönland bis zum 31. August lag bei 84 Milliarden Tonnen, das ist weniger als im Schnitt der letzten Jahre. Trotzdem bleibt unter dem Strich wieder eine negative Bilanz, und die hat sich in den letzten Tage noch einmal deutlich vergrößert. Eine für September noch nie da gewesene Hitzewelle hat Grönland erfasst.

Am vergangenen Wochenende wurden in Grönland extrem hohe Temperaturen gemessen. In Paamiut, im Südwesten der Insel, hatte es über 20 Grad, und selbst auf dem höchsten Punkt des Grönländischen Eisschilds in 3.200 Meter Höhe gingen die Werte ins Plus, ein Rekord für September. Diese Hitzewelle führte zur stärksten Eisschmelze, die es je im September gegeben hat. Alleine am Wochenende hat Grönland noch einmal rund 20 Milliarden Tonnen Eis verloren. Die Temperaturen haben sich bis heute nicht normalisiert. Der Sommer im Hohen Norden ist noch nicht vorbei.