Karel Schwarzenberg und Lila Schwarzenberg sitzen auf einer Parkbank
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„Mein Vater, der Fürst“

Weltpolitik als Beziehungssache

Einige Monate vor Karel Schwarzenbergs 85. Geburtstags im Dezember kommt ein Dokumentarfilm seiner Tochter ins Kino: Gemeinsam mit Regisseur Lukas Sturm ist Lila Schwarzenberg mit „Mein Vater, der Fürst“ ein vielschichtiger Film gelungen, der die Balance zwischen intimer Familiengeschichte und Weltpolitik hält.

Die Erinnerungen sind so unterschiedlich: die kleine Lila mit kurzen Haaren und in Lederhosen. Das Tor der Kapelle, gegen das sie beim Fußballspielen im Hof des Schlosses den Ball gedonnert hat, dem Vater war’s gar nicht recht. Dann Ausschnitte von Filmen, in denen Lila Anfang zwanzig mitspielt, unglücklich sieht sie da aus, hatte ihre Familie hinter sich zu lassen versucht. Außerdem gibt es Nachrichtenbilder aus dem Jahr 1992, in denen ihr Vater Karel an der Seite von Vaclav Havel steht, voll Zuversicht für ein neues Tschechien.

Gerade erst hatte Havel ihn als Außenminister nach Tschechien geholt. Mit Schwarzenberg als politischem Menschen beginnt auch der Film „Mein Vater, der Fürst“, mit einer Rede, die er im April 2014 hielt, über die Europapolitik Russlands. „Es gibt Abschnitte in der Geschichte, wo wir sehen, dass eine Periode endet und eine neue anfängt. Als Wladimir Putin beschloss, die Krim zu besetzen, wischte er mit einem Federstrich alle Übereinkommen und alle Sicherheiten, die wir seit dem Jahr 1945 in Europa gehabt haben, beiseite.“

Zeitzeuge Europas

„Sobald ein Rechtsbruch passiert, folgt der nächste auf dem Fuße, das kann ich Ihnen garantieren.“ Die Krim sei nur die Vorspeise, „ich fürchte, wir werden noch eine ukrainische Hauptspeise erleben“. Diese Rede von Schwarzenberg war so visionär, weil sie von einem erfahrenen Europapolitiker und Zeitzeugen der Geschichte Europas an gleich mehreren ihrer Knotenpunkte gehalten wurde.

Der Film seiner Tochter Lila gemeinsam mit dem Regisseur Sturm porträtiert Karel Schwarzenberg in all seiner Komplexität. Entlang der Biografie dieses Mannes, der Flucht und Weltkrieg überlebt hat und als Politiker sein Geburtsland verändert hat, zeichnet der Film ein Stück europäischer Zeitgeschichte nach. Die meiste Zeit aber wird der Film aus der Perspektive seiner Tochter erzählt, und ist damit ein ungewöhnlich privater Blickwinkel auf diesen öffentlichen Menschen, über den sie sagt: „Die Familie allein war nie genug.“

„Mein Vater, der Fürst“ ist eine Collage aus Dutzenden historischen Quellen und langen Gesprächen, die Schwarzenberg mit ihrem Vater zwischen 2016 und 2021 führte, an unterschiedlichen Orten, die für ihn bedeutend sind. Manche dieser Interviews finden in seiner Küche in seinem Haus in der Nähe von Prag statt, wo er sich selbst seine Mahlzeiten kocht, nur zum Aufräumen und Putzen kommt jemand vorbei. Für die meisten Gespräche reisten die beiden aber zu Residenzen in Südböhmen, in Prag, im Palais Schwarzenberg in Wien, in Murau in der Steiermark.

Aufwachsen als Schlosskind

Endlose, bedrückende Flure voller Jagdtrophäen, die Kapelle im eigenen Haus und das Bewusstsein um die Bedeutung der Familie in der Geschichte Europas: Wie ein Aufwachsen als Teil der Familie Schwarzenberg sich angefühlt haben muss, lässt der Film zumindest erahnen. Und auch, wie schwierig es ist, als Tochter in eine solche Familie geboren zu sein, in der aus Tradition Titel und Besitz nur an Söhne weitervererbt werden. Ohne die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten, ist das nicht zu ertragen.

Schloss bei einem See
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Eine Kindheit im Schloss: Burg Orlik in Südböhmen

Oder auch dann nicht: Wie sich Schwarzenbergs progressive Politik vereinen lässt mit seinem Katholizismus und der Bevorzugung seines Sohnes, des Erbprinzen, stellt die Tochter offen infrage. „Wie kann er die Welt immer noch so sehen, dass Töchter nicht so viel gelten?“ Eine befriedigende Antwort bekommt sie nicht, obwohl sie an den tradierten Regeln der Adelsfamilie fast zerbrochen wäre.

„Der Film hat sich gewandelt von einem Film über den Vater zu einem Film über die Tochter, die einen Film über den Vater macht. Der Ansatz hat sich stark gedreht“, so Sturm. Nicht nur die Gespräche zwischen Vater und Tochter, auch ein langes Interview mit Lila selbst bilden das Gerüst des Films, sie reflektiert da über Aussagen des Films, versucht einzuordnen, denkt über Versäumnisse, gemeinsame Stärken und Schwächen nach.

Offenheit ohne Exhibitionismus

Gemeinsam sehen sich Vater und Tochter dieses Gespräch dann wieder an, in einem kraftvollen Versuch maximaler Offenheit. Die Sprachlosigkeit zwischen den beiden löst sich da zumindest teilweise auf. In schonungsloser Selbst- und Familienbespiegelung, aber ohne Exhibitionismus erinnert Lila da an die schlimmsten Momente ihres Lebens, an tiefe Verletzungen, ihre rebellische Kindheit, ihre spätere Drogensucht, als sie alle von sich gestoßen, belogen, betrogen hat. Als sie nach Jahren zum Vater zurückkam, nahm er sie wieder auf, ohne Vorwürfe.

Szene aus dem Film „Mein Vater, der Fürst“ zeigt Karel Schwarzenberg in einer Küche
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Zu Gast beim Fürsten: Karel Schwarzenberg beim Fachsimpeln über Butter und Gewürze

Die Widersprüche, die Schwarzenberg ausmachen, erklären sich durch aufblitzende Offenbarungen dann doch, etwa wenn er von dem einen Sohn erzählt, der nicht sein leiblicher ist. Mit dem konnte er am leichtesten liebevoll umgehen, da beschwerte die Last des Familienerbes nicht die Beziehung. In solchen Momenten gelangt der Film unversehens von individuellen, privaten Beobachtungen über eine einzigartige Familie zu Aussagen, die weit ins Allgemeinmenschliche hinausreichen.

„Mein Vater, der Fürst“ ist, zum einen das Porträt eines Mannes, der das umfangreiche Erbe seiner adeligen Herkunft mit einem modernen politischen Geist zu verbinden versteht und mit der Erfahrung seiner eigenen Lebensgeschichte in den Geschicken seines Geburtslandes Tschechoslowakei eine entscheidende Rolle spielte. Und zum anderen ist es ein inniger Film über einen Vater und eine Tochter geworden, die ihre eigenen Stärken und Defizite im Gegenüber wiedererkennen.