Ulrich Seidl
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Nach Vorwürfen

Weltpremiere von Seidl-Film abgesagt

Eigentlich hätte Ulrich Seidls neues Werk „Sparta“ – es geht um Pädophilie – am Freitag auf dem 47. Toronto International Film Festival (TIFF) in Kanada seine Weltpremiere feiern sollen. Nach der durch eine „Spiegel“-Recherche angestoßenen Diskussion über die Umstände der Dreharbeiten mit jugendlichen Laiendarstellern in Rumänien wird das Werk nun aber doch nicht in Kanada zu sehen sein.

„Das TIFF wird ‚Sparta‘ unter der Regie von Ulrich Seidl nicht länger zeigen“, teilte das Filmfestival in einem knappen Statement mit, das der APA vorliegt: „Alle öffentlichen und professionellen Screenings wurden gestrichen.“ Er selbst hätte seinen Film in Toronto präsentiert, bestätigte Seidl der APA.

Unklar ist nun, ob „Sparta“ dennoch wie geplant kommende Woche beim Filmfestival von San Sebastian zu sehen sein wird, wo das „Geschwisterwerk“ zu Seidls vergangenem Film „Rimini“ in den Wettbewerb berufen wurde. Gegenüber der APA hatte das am 16. September beginnende Festival erst am Dienstag gesagt, an der Vorführung festhalten zu wollen. „Wenn jemand Beweise für ein Verbrechen hat, sollte er das der Justiz melden. Nur ein Gerichtsbeschluss könnte dazu führen, dass wir eine geplante Vorführung aussetzen“, antwortete die Festivalleitung auf Anfrage der APA.

Schwere Vorwürfe

Laut „Spiegel“ waren weder die am Film beteiligten Kinder noch deren Eltern korrekt über das Filmthema informiert worden. Einer der „Spiegel“-Journalisten, Bartholomäus Laffert, sprach nach eigenen Angaben mit neun Crewmitgliedern und sieben minderjährigen Schauspielern und deren Eltern in Rumänien. Die Kinder konnten laut dem Bericht teils nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden.

Keine Weltpremiere von „Sparta“ in Toronto

Die Weltpremiere des umstrittenen Films „Sparta“ von Regisseur Ulrich Seidl beim Internationalen Filmfestival im kanadischen Toronto ist abgesagt.

So soll ein Schauspieler, der einen Alkoholiker spielt, in einer Szene einen Buben an sich drücken und ihm Wasser in ein Schnapsglas schütten. Dann sagt er ihm laut „Spiegel“, „er solle ‚den Schnaps‘ trinken“. Erst nach zehn Minuten Drehzeit soll Seidl abgebrochen haben. Das Kind hat laut „Spiegel“ selbst einen alkoholsüchtigen Vater, von dem sich die Mutter erst kurz davor getrennt hatte. Er habe sich an seinen Vater erinnert gefühlt, so der mittlerweile 13-Jährige laut dem Magazin.

Thematik Pädophilie soll nicht in Verträgen gestanden sein

Ein Crewmitglied habe dem Regisseur vorgeworfen, den familiären Hintergrund des Buben, der im Dreh mit dem alkoholisierten Hauptdarsteller konfrontiert wurde, genau gekannt zu haben. Der Bub sei bewusst gewählt worden, um echte Emotionen filmen zu können.

Kinder sollen, so fasste es die Mittags-ZIB vor einer Woche bei Aufkommen der Vorwürfe zusammen, auf dem Set teils mit ihren Traumata konfrontiert worden sein. Den Eltern sei nur erzählt worden, dass es in dem Film um Judo und Fußball gehe. In keinem der Verträge dieser Minderjährigen stand laut Laffert etwas von der Thematik Pädophilie.

Seidl: Artikel „diffamiert meine Arbeitsweise“

Seidl wies alle Vorwürfe zurück und kündigte rechtliche Schritte an. In einer schriftlichen Aussendung betonte Seidl, in dem „Spiegel“-Artikel würden eine „unzutreffende Darstellung, Gerüchte oder aus dem Kontext gerissene Vorkommnisse am Set von ‚Sparta‘ zu einem in keiner Weise den Tatsachen entsprechenden Zerrbild montiert“. „Meine Arbeitsweise (wird, Anm.) diffamiert und mir Intentionen unterstellt, die weiter weg von der Wirklichkeit gar nicht sein könnten“, heißt es vonseiten des Erfolgsregisseurs.

„In allen meinen Filmen, in meinem gesamten künstlerischen Werk verlange ich nach Empathie für die Angeschlagenen und Abgestürzten, für die Abgedrängten und Geächteten: Ich stelle sie nicht an den (moralischen) Pranger, sondern fordere dazu auf, sie als komplexe und auch widersprüchliche Menschen wahrzunehmen“, so Seidl.

„Die daraus sich ergebenden Ambivalenzen zwischen Fürsorge und Missbrauch zu erkennen und zu beschreiben, hinzuschauen, anstatt wegzusehen und sie damit auszublenden – darin sehe ich eine wesentliche Verantwortung – als Künstler und als Mensch.“

Seidl: Kinder niemals gedrängt

Die Kinderdarsteller seien wie alle anderen Schauspielerinnen und Schauspieler niemals gedrängt worden, vor der Kamera Dinge zu tun, die sie nicht tun wollten. Auch seien die jugendlichen Darsteller durchgehend betreut worden. Und selbstredend seien die Eltern vor den Dreharbeiten über alle wesentlichen Inhalte des Films unterrichtet worden, stellt Seidl die vom „Spiegel“ gemachten Vorwürfe in Abrede: „Nie haben wir beim Dreh die Grenzen des ethisch und moralisch Gebotenen überschritten.“

Die Dreharbeiten erstreckten sich vom Winter 2018/2019 bis zum Sommer 2019. Dass die Kinder in dieser langen Zeit dabeiblieben, führte Seidls Anwalt gegenüber dem „Spiegel“ als Beleg gegen die Vorwürfe ins Treffen. Die im „Spiegel“-Artikel erhobenen Vorwürfe beziehen sich laut der Recherche vor allem auf die letzte Phase der Drehzeit.

Gesetzliche Regeln für Drehs mit Kindern

In Österreich gibt es klare Regeln bei Dreharbeiten mit Minderjährigen, festgelegt sind diese im Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz. Drei zentrale Bedingungen müssen erfüllt sein: Es braucht psychologische Betreuung durch pädagogisch geschultes Personal am Set. Minderjährige dürfen maximal vier Stunden auf einmal arbeiten, und es braucht ein ärztliches Attest, dass die Kinder geistig und körperlich geeignet sind. Ähnliche Regeln gelten laut „Spiegel“ auch in Rumänien.

„Sparta“ wurde wie auch andere Seidl-Filme mit Förderungen der öffentlichen Hand mitfinanziert. Seidl, der zunächst Dokus machte und mit „Hundstage“ seinen ersten Spielfilm drehte, ist bekannt dafür, Tabuthemen aufzugreifen und Menschen und Schicksale direkt bis schonungslos zu zeichnen. Dieser Stil brachte ihm mehrere Preise ein, allen voran den Großen Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig 2001 für „Hundstage“.

Zweiter Teil zu „Rimini“

Bei „Sparta“ handelt es sich um das „Bruderstück“ zu Seidls letztem Film „Rimini“, der bei der heurigen Berlinale seine Premiere feierte und bei der Diagonale zum besten Spielfilm gekürt wurde. Ursprünglich war es als ein Film geplant, Seidl entschied sich dann aber, zwei getrennte Filme daraus zu machen. In „Rimini“ wird der eine Bruder, Richie Bravo, porträtiert, der in dem italienischen Badeort vor Seniorinnen auftritt. In „Sparta“ geht es um dessen Bruder Ewald, dargestellt von Georg Friedrich.

Der Mittvierziger Ewald hat seine Freundin verlassen, um in der rumänischen Einöde einen Neuanfang zu wagen. Dort baut er mit Burschen aus der Umgebung ein verfallenes Schulgebäude zu einer Festung aus. Damit erregt er den Argwohn der Dorfbewohner, und Ewald entdeckt seine pädophile Neigung und muss sich einer lange verdrängten Wahrheit stellen.

Seidl zeichnet nicht nur für die Regie, sondern gemeinsam mit Veronika Franz auch für das Drehbuch verantwortlich. Neben Friedrich sind in weiteren Rollen Florentina Elena Pop, der bereits verstorbene Hans-Michael Rehberg, Marius Ignat und Octavian-Nicolae Cocis zu sehen.